Episode 250: Halloween- und Jubiläumsfolge – Nosferatu (1922 – 2024) 🥳🧛♂️
Im beschaulichen Städtchen Wisborg im Norden Deutschlands sitzt ein manisch kichernder Immobilienhändler in seinem Büro und flüstert seinem Angestellten mit irrem Blick zu: “An diesem Grafen lässt sich eine Stange Geld verdienen!“
So weit so alltäglich. Ein ganz normaler Montag bei Engel und Völkers.
Aber der Blutsauger in dieser Geschichte ist überraschenderweise ein anderer. Denn der Graf der in Wisborg ein Haus kaufen will, scheint so ein dicker Fisch zu sein, dass man dafür eine sechswöchige Reise auf sich nimmt, um ihm eine Unterschrift abzuringen.
Besagter Mitarbeiter, Herr Hutter, reist nach Transilvanien, nur um dann festzustellen, dass er es mit einem Creep zu tun hat, in dessen Gegenwart man sich nicht mal beim Brot schneiden, den Daumen verletzen darf. Der Graf hat einen ausgewachsenen Blutfetisch, den selbst der naive Herr Hutter irgendwann anerkennen muss. Allerdings zu spät, da Graf Orlok ihn in seiner Ruine einschließt und sich mit seiner Sammlung antiker Särge auf den Weg nach Wisborg macht. Er hat sich nämlich in den Hals von Hutters Freundin verliebt. Von einem Foto. Tinder 0.9.
Ein Wettlauf beginnt. Hutter versucht vor Graf Orlok in Wisborg anzukommen, um seine Freundin zu retten. Zum Glück keine große Sache, da der Graf darauf besteht, den Seeweg zu nehmen, der um einiges umständlicher ist. Aber viel ausrichten kann Hutter nicht. Graf Orlok kommt unvermeidlich an, bringt Pest und Tod. Und die einzige, die einen Plan zu haben scheint, ist Hutters Freundin. Die will sich nämlich opfern, um den Grafen so lange mit ihrem Hals abzulenken, bis er vergisst, dass er ja eine Lichtallergie hat, die ihn umbringt.
So endet der Film mit zwei Toten im Morgengrauen und der Frage: Kann dieser Film, der über 100 Jahre auf dem Buckel hat, auch heute noch Schrecken und Horror verbreiten?
Plor! Antworte gefälligst!
P.S.: Mir fällt grad auf, dass du einen sehr schönen Hals hast!
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: Podcast: Der mussmansehen Podcast - Filmbesprechungen Episode: Episode 250: Halloween- und Jubiläumsfolge – Nosferatu (1922 – 2024) 🥳🧛♂️ Publishing Date: 2025-10-15T09:39:52+02:00 Podcast URL: https://podcast.mussmansehen.de Episode URL: https://podcast.mussmansehen.de/2025/10/15/episode-250-halloween-und-jubilaeumsfolge-nosferatu-1922-2024-%f0%9f%a5%b3%f0%9f%a7%9b%e2%99%82%ef%b8%8f/
Johannes Franke: Und man darf nicht unterschätzen, wie krass das für Leute 1922 war, Bilder aus dieser Gegend zu sehen, im Kino. Wie sieht das da wirklich aus? Vor allem, weil ganz viele Filme damals im Studio zu Hause entstanden sind. Wie zum Beispiel eben Dr. Caligari. Polonäse, Polonäse, Floor, wir haben 250. Episode.
Florian Bayer: 250 Episoden. Wir haben eine Vierteltausend geschafft. Eine Vierteltausend. Wahnsinn, unglaublich. Absoluter Wahnsinn. Und jede einzelne Episode mit dir war ein großes Vergnügen.
Johannes Franke: Vielen Dank, Floor. Das kann ich nur zurückgeben. Es ist großartig.
Florian Bayer: Ich will das jeden Tag machen, Floor, und mein Leben lang. Es ist toll. Auf jeden Fall. Am meisten Vergnügen bereiten mir natürlich die Horror-Episoden. Warum haben wir ausgerechnet schon jetzt unsere 250. Mitten im Spooktober. Und heute ist ein ganz besonderer Tag. Heute ist das erste Mal in diesem Jahr, dass Johannes mir einen Horrorfilm geben muss. Wir hatten einen Publikumswunsch letzte Woche. Stimmt. Und die Woche davor habe ich einen Horrorfilm ausgesucht. Und besonders interessant wird es, wenn... Johannes kramt in seinem Filmwissen, was für Horrorfilme er denn mag, weil, Spoiler, da gibt es nicht sonderlich viele.
Johannes Franke: Da gibt es überhaupt nicht viele, da gibt es bei weitem nicht so viele wie bei dir, aber auch, ich komme nicht mal auf eine Top 5 oder sowas. Na komm,
Florian Bayer: seit diesem Monat kannst du Re-Animator zu deinen Top 5 zählen.
Johannes Franke: Das stimmt, ja. Aber nur, weil er auf weiter Flur ist, weil ich sonst nichts gucke. Vielleicht noch ein bisschen, ich hatte diesen Film von Lars von Trier geguckt, den Antichrist, ich fand das so hart und ich musste mich zwischendurch, ich musste ausmachen und atmen. Und ich fand den aber tatsächlich insgesamt einfach ein spektakuläres, krasses Erlebnis. Also insofern geht das schon irgendwie. Und du hast mich auch ein kleines bisschen über die Jahre an Sachen gewöhnt, muss man dazu sagen.
Florian Bayer: Du bist etwas abgehaktet. Letztes Jahr habe ich dir Martyrs gegeben. Das war ja schon so Peak-Krausamkeit im Horrorfilm und du kannst mittlerweile einiges ab.
Johannes Franke: Ja, das stimmt. Skin in the Meringue war relativ easy abzugeben, weil man musste nicht irgendwie Body-Horror mitgucken oder so.
Florian Bayer: Und dennoch, was macht Johannes als Nicht-Horrorfilm-Liebhaber, wenn er einen Horrorfilm geben muss? Er greift ganz tief hinein in die Filmgeschichte.
Johannes Franke: Weil ich weiß, dass ich vor diesem folgenden Film sitzen kann, ohne dass mir schlecht wird, ohne dass ich Body-Horror angucken muss. Es ist einfach nur so ein Connoisseur-Film, wo man sagt, ja, das muss man mal gesehen haben, weil das ist ja Filmgeschichte. und ich hab dir einfach als Ausweg habe ich dir Nosferatu gegeben.
Florian Bayer: Eine Symphonie des Grauens aus dem Jahr 1922.
Johannes Franke: Ihr wisst es sicherlich. Ihr habt ja die Episode angeklickt insofern. Aber wir haben auch nicht nur den 1922er-Film geguckt, sondern, Flo, du hast auch den aktuellen von Eggers geguckt.
Florian Bayer: Ich habe den von Eggers geguckt, weil du gesagt hast, den musst du unbedingt noch gucken vorher. Und dann dachte ich, jetzt bin ich so ein richtiger Streber und habe auch nochmal das Remake von Werner Herzog geguckt. Habe ich auch noch. Hast du es geschafft? Ja, ich habe es geschafft. Oh, ich freue mich sehr drauf. Und ich habe nochmal Shadow of the Vampire so ein bisschen durchgeguckt, der ja quasi ein Metafilm ist und sich mit der Entstehung befasst. Und ich habe noch einen Film aus dem Jahr 2023 geguckt, nur ein Jahr älter als der Eggers-Film, der auch ein Remake ist. Das heißt, wir haben heute das gesamte Nosferatu-Paket.
Johannes Franke: Oh ja.
Florian Bayer: Das ist ja eine spezifische Art von Interpretation des ... Dracula-Mythos ist. Guckt noch mal auf die Laufzeit dieser Episode. Wir wissen es noch nicht, aber vielleicht sind wir bei drei Stunden. Und bevor ihr jetzt weiterhört, wenn ihr den Film noch nicht gesehen habt, Leute, ihr hattet 100 Jahre Zeit, mehr als 100 Jahre.
Johannes Franke: Schaut ihn euch an.
Florian Bayer: Und Johannes wird uns dann jetzt mal erzählen, worum es geht. Euler ahead.
Johannes Franke: Im beschaulichen Städtchen Wissburg im Norden Deutschlands sitzt ein manisch kichernder Immobilienhändler in seinem Büro und flüstert seinem Angestellten mit irrem Blick zu, an diesem Grafen lässt sich eine Stange Geld verdienen. So weit, so alltäglich. Ein ganz normaler Montag bei Engel und Völkers. Aber der Blutsauger in dieser Geschichte ist überraschenderweise doch ein anderer. Denn der Graf, der in Wissburg ein Haus kaufen will, scheint so ein dicker Fisch zu sein, dass man dafür eine sechswöchige Reise auf sich nimmt, um ihm eine Unterschrift abzuringen. Besagter Mitarbeiter, Herr Hutter, reist nach Transsilvanien, nur um dann festzustellen, dass er es mit einem Creep zu tun hat, in dessen Gegenwart man sich nicht beim awkward Brotschneiden den Daumen verletzen darf. Der Graf hat einen ausgewachsenen Blutfetisch, den selbst der naive Herr Hutter irgendwann anerkennen muss. Allerdings zu spät, da Graf Orlok ihn in seine Ruine einschließt und sich mit seiner Sammlung antiker Särge auf den Weg nach Wissburg macht. Er hat sich nämlich in den Hals von Hutters Freundin verliebt. Von einem Foto. Tinder 0.9 Ein Wettlauf beginnt. Hutter versucht vor Graf Orlok in Wissburg anzukommen, um seine Freundin zu retten. Zum Glück keine große Sache, da der Graf darauf besteht, den Seeweg zu nehmen, der um einiges umständlicher ist. Aber viel ausrichten kann Hutter auch nicht. Graf Orlok kommt unvermeidlich an, bringt Pest und Tod. Und die einzige, die einen Plan zu haben scheint, ist Hutters Freundin. Die will sich nämlich opfern, um den Grafen so lang mit ihrem Hals abzulenken, dass er vergisst, dass er ja eine Lichtallergie hat, die ihn umbringt. So endet der Film mit zwei Toten im Morgengrauen und der Frage, kann dieser Film, der über 100 Jahre auf dem Buckel hat, auch heute noch Schrecken und Horror verbreiten? Plor, antworte gefälligst. Ach, mir fällt übrigens gerade auf, dass du einen sehr schönen Hals hast. Ach, diese lästigen Stechmücken immer.
Florian Bayer: Kann er Horror und Schrecken verbreiten?
Johannes Franke: Ja.
Florian Bayer: Ich habe mich nicht gefürchtet bei diesem Film.
Johannes Franke: Ach, schade, Flor. Schade, schade, schade. Ich sitze auch davor und kicher echt wahnsinnig viel,
Florian Bayer: oder? Es gibt ein paar wirklich witzige Stellen, einfach weil der Film halt 100 Jahre auf dem Kugel hat. Sprich, man guckt es anders, als man Filme von heute guckt. Das ist einfach was anderes, eine andere Art der Immersion. Ich hatte auch das Gefühl, ich habe den schon mal im Kino gesehen, mit Livemusik, und das war ein krasses Erlebnis. Das war auch so das, was dem Film nachgesagt wird, dass er ... sehr hypnotisch ist und dass er so unglaublich immersiv ist, sich total reinzieht und selbst so ein kleines, okkultes Monstrum ist. Das hatte ich diesmal nicht. Ich hab ihn diesmal am Computer geguckt, was man nicht machen sollte, aber unter Kopfhörern.
Johannes Franke: Die schlechteste Variante.
Florian Bayer: Nee, unter Kopfhörern und nah am Computer und im dunklen Zimmer, das ist schon okay. Aber ich hab ihn diesmal... was mir auch ein bisschen leid tut für ihn, sehr steril geguckt. Sprich so, oha, oh ja, das sind tolle Bilder. Oh, das ist interessant. Ja, das hat das inspiriert und so weiter. Aber halt die ganze Zeit mit so einem analytischen Mindset.
Johannes Franke: Ja, ja, ja.
Florian Bayer: Und was einfach eine andere Art von Gucken ist. Und dennoch sehe ich nach wie vor in diesem Film, was für hypnotische Eigenschaften der hat und mit dem richtigen Mindset geguckt auch entfalten kann, auch beim Publikum von heute.
Johannes Franke: Ja. Das hat mich tatsächlich am meisten umgetrieben beim Überlegen und beim Gucken und beim danach Recherchieren. Was ist es denn, was den Film zum Horrorfilm gemacht hat damals? Weil also die Tropes sind da. Ja. Ich finde es wahnsinnig interessant, weil er ist ja nun einer der ersten großen Horrorfilme überhaupt.
Florian Bayer: Überhaupt, ja.
Johannes Franke: Im ganzen... Universum. So krass, man. Über 100 Jahre alt, 1922 rausgekommen. Es gab 1911 schon mal so einen Horrorfilm. Es gab zwischendurch nochmal so zwei, drei Versuche, die ein bisschen erwähnenswert wären vielleicht. Aber das ist der große Film, der auch unsere Zukunft an Horrorfilmen maßgeblich beeinflusst.
Florian Bayer: Es gibt einen Vampirfilm, der ein, zwei Jahre älter ist, aber Lost Media, der nicht mehr gefunden wird und der sich offensichtlich nicht am Roman Primes to die Stokers orientiert hat, im Gegensatz zu diesem Film. Und der offensichtlich einfach eine Vampirgeschichte erzählt. Aber auch da schreitet Nosferatu neue Wege. Es ist auch der erste richtige Vampirfilm. Und eine der ersten sehr akkuraten Romanverfilmungen. Was ganz interessant ist, wenn wir zur ganzen Geschichte von diesem Film kommen. Aber um ganz kurz auf deine Frage nochmal zurückzugehen. Was macht dieses Hypnotische aus? Ich glaube, eine ganz große Rolle spielt dabei. Und das habe ich jetzt zum ersten Mal so wahrgenommen. Das Genie, das hinter diesem Film sitzt und das ist nicht Friedrich Wilhelm Murnau, sondern das ist Albin Grau, der Produzent des Films, aber vor allem auch der Gestalter des Films.
Johannes Franke: Der Okkultist des Films.
Florian Bayer: Der Okkultist des Films, der Mann, der diesen Film vorangetrieben hat. Und wenn man die Topfilme von Friedrich Wilhelm Murnau aufzählt, kommt Nosferatu auch immer ganz früh. Aber Friedrich Wilhelm Murnau war in diesem Film auch einfach so ein Stand-In. Der hat seinen Namen gegeben. Der war ein berühmter Regisseur. Obwohl er noch gar nicht so lange gedreht hat.
Johannes Franke: Auftragsarbeit?
Florian Bayer: Es war eine Auftragsarbeit. Und vor allem hat er gesagt, naja, ich mach, was ihr wollt. Und ich geb euch meinen Namen. Aber es ist euer Film und eure Idee. Und Murnau hat sich auch wohl sehr eng an Skript gehalten von Galen. Der das zweite Genie hinter diesem Film ist. Und teilweise 1 zu 1 Einstellungen so übernommen wie Galen und ... Grau das wollten. Das heißt, Murnau hat mit der kreativen Richtung dieses Films relativ wenig zu tun.
Johannes Franke: Relativ wenig. Also ich meine, natürlich hat er sich irgendwie auch damit auseinandersetzen müssen. Er hätte das nicht so drehen können, wenn er nicht auch selber sich da gut reingearbeitet hätte und auch als Regisseur wirklich ein sehr, sehr guter Regisseur gewesen wäre. Du kannst als schlechter Regisseur dich an Sachen halten, die dir der Produzent vorgibt und es kommt ein schlechter Film daraus. Also er ist schon auch ein guter Regisseur.
Florian Bayer: Er ist ein großartiger Regisseur. Aber er wurde für diesen Film gewählt, weil er den Ruf hatte, ein großartiger Regisseur zu sein. Er ist nicht wegen dieses Films der großartige Regisseur, als den wir ihn heute sehen. Richtig, genau.
Johannes Franke: Was ist es, was damals überhaupt möglich machte, dass die Leute... Glauben, dass das so gruselig ist. Also ich will ein bisschen am Zeitgeschehen bleiben und ich habe das Gefühl, dass wir da, dass wir die spanische Grippe im Hintergrund haben, die 1918 richtig hart Massensterben verursacht hat. Bei Dracula gibt es die Pest an sich nicht. Hier bringt Graf Orlok die Pest mit. Und ich glaube, das ist einer der großen Dinge, warum das im Kino so effektiv ist. effektiv war oder effizient war. Ja,
Florian Bayer: definitiv.
Johannes Franke: Um Ängste zu schüren, um Ängste nach vorne zu bringen. Dann war es eine Zeit, wo die Angst vor dem Fremden vielleicht auch einfach so hart krass war, weil sie auch gerade den Weltkrieg verloren haben. Und solche Sachen in Deutschland tatsächlich diese Angst vor dem Slaven oder vor den Leuten da drüben im Osten.
Florian Bayer: Auf jeden Fall.
Johannes Franke: Dass die massiv ausgeschlachtet ist für den Film.
Florian Bayer: Definitiv. Auf einmal,
Johannes Franke: weil sie auch sagen, wir gehen ins Reich der Diebe und Geister. Wo du denkst, oh, was für eine fremdenfeindliche Formulierung. Aber fürchte dich nicht. Weißt du, solche Sachen.
Florian Bayer: Ja, die Ohnmachtserfahrung generell, auch mit dem Ersten Weltkrieg verbunden, dieser Film spielt sehr viel mit dem Gefühl von Ohnmacht. Weil, was sich auch ganz stark von der Vorlage unterscheidet, wir haben hier keine handelnden Personen, die irgendwas machen können. In Bram Stokers Roman haben wir unseren Van Helsing, unseren Vampirjäger. Und wir haben Van Helsing und Harker, die dann zusammen losziehen, um zum einen dieses Lucy von ihrem Leid zu erlösen und zum anderen, um Minna zu retten, wie jetzt im Film Ellen heißt. Und in diesem Film sind alle unbrauchbar. Ellen ist die Einzige, die so ein bisschen brauchbar ist, aber es gibt niemanden, der das Heft in die Hand nimmt und sagt, ich kämpfe jetzt gegen Dracula.
Johannes Franke: Das ist aber auch das Nächste, was ich sagen würde, die Männlichkeit, die in diesem Film ... auf den Deckel bekommt, weil kein Mann etwas hinkriegt. Ja, das ist auch so ein Punkt.
Florian Bayer: Definitiv.
Johannes Franke: Auch aus dem Krieg kommend und so. Ich glaube, das Bild der Männlichkeit, und ich glaube, das haben wir heute auch so ein bisschen, ist einfach auch ein bisschen auf den Kopf gestellt. Und da bedient sich der Film auch. Ja,
Florian Bayer: der hat wirklich spannende Motive, was Geschlechtlichkeit betrifft.
Johannes Franke: Ja.
Florian Bayer: Und auch Motive, die für seine Zeit halt unglaublich progressiv sind. Ja. Wenn wir sehen, wie schwach... unser vermeintlicher Protagonist ist, der nachher nicht viel Protagonist ist, oder der Hutter, der wie gesagt vor allem der Naivling ist, der keine große Rolle spielt. Und wie stark dagegen und vor allem wie weitsichtig eben das reine Opfer ist, Ellen, die quasi Minna verkörpert aus dem Roman. Und da haben wir einfach Geschlechtsbilder, die umgedreht sind. Und dann haben wir unseren vermeintlichen Van Helsing, der in diesem Film nichts anderes macht, als Pflanzen zu untersuchen. Und überhaupt keinen Aktionsraum bekommt.
Johannes Franke: Ja, und auch politisch gibt es ja keinen. Also die Vertreter der entscheidenden Klasse in diesem Film sind ja auch völlig machtlos. Dieses Gefühl von politischem Versagen, das irgendwie auch da so ein bisschen mit eingewoben ist, auch wenn es nicht ausgeschlachtet wird. Und die Angst dann eben vor jemandem, der dann aus dem Ausland kommt und... alles auf den Kopf stellt. Moment mal, wenn ich jetzt die nächsten zehn Jahre von 1922 vorausschaue, wenn die so Angst hatten vor diesem Vampir, warum dann Hitler? Egal. Ich glaube, man muss so ein bisschen eben einfach in die Zeit reingehen und was für Ängste sind damals gewesen und was haben wir heute für Ängste und Sehgewohnheiten, die dem Ganzen entgegenstehen und weswegen wir das heute ein bisschen lächerlich finden, während es damals tatsächlich, auch in der Art und Weise des Filmemachens, aber darüber können wir später drauf eingehen, Expressionismus und Romantik und so, das ist auch etwas, was einfach damals eine andere Sehgewohnheit mit sich brachte.
Florian Bayer: Was auch eine wichtige Rolle spielt, und da kommen wir dann auch gleich zu Albin Grau, zu dem Schenier, dem Film, ist diese Verbindung von Ratio und Okkultem. Wir haben, wenn wir von der Moderne sprechen, also von der gesellschaftlichen, künstlerischen Moderne, also irgendwie so Anfang 20. Jahrhundert bis zum Nationalsozialismus, der dann der krasse Einschnitt war, haben wir eine Zeit, in der es zum einen dieses Gefühl gab, Gott ist tot, wir haben ihn getötet, die Wissenschaft hat übernommen, wir sind in einer säkularen Welt angekommen. Und zum anderen aber auch diese Suche nach Ersatzreligionen, was dann auch in den Faschismus gemündet hat. Und was auch die Künstler der Moderne angetrieben hat, wenn wir uns anschauen, was die Expressionisten gemacht haben. Da wurde Kunst auch sehr so als Gottesdienst zelebriert, dass die Ästhetik quasi auch die neue Religion war. Und das ist auch was, was... was mit diesen Ängsten spielt, nämlich, dass man nicht genau weiß, was ist Wissenschaft und was ist Parawissenschaft, was ist Metaphysik und dass die Leute irgendwie nach Antworten suchen und dabei halt oft so hin und her springen und glauben, sie sind schon sehr wissenschaftlich und gleichzeitig trotzdem einen ganz großen Hang dazu haben, halt auch irgendwie eine Art von spirituellen oder eben okkulten Antworten zu finden.
Johannes Franke: In einer anderen Form haben wir das heute auch, muss ich sagen. Man sieht es ja oft, dass man so pseudowissenschaftliche Gurus im Internet findet, die einem dann, die wirklich auf Rattenfänger machen und Leute einsammeln, die in der aktuellen politischen Lage keine Antworten finden und das dann verwechseln mit Antworten aus dem Okkulten.
Florian Bayer: Ja, definitiv. Und der 20. Jahrhundert, der Anfang des 20. Jahrhunderts, war eine große Zeit für den Okkultismus.
Johannes Franke: Total.
Florian Bayer: Und Albin Grau, der Produzent dieses Films, war ganz vorne mit dabei. Richtig tief drin. Richtig, richtig tief. Die Filmgesellschaft, die diesen Film produziert hat, die er zusammen mit einem Freund gegründet hat, nämlich die Prana Film, 1921 wirklich für diesen Film gegründet, hat da ein Yin und Yang Symbol als Logo. Das ist sehr süß. Das ist so süß.
Johannes Franke: Und er wollte da wirklich richtig viel. Also Nosferatu sollte einer als Anfang sein von ganz vielen Filmen, die er machen wollte in die Richtung. Und dann war halt leider dieser Film so ein bisschen auch sein Untergang gleich wieder.
Florian Bayer: Dieser Film war ein ganz großer Untergang für mich. Albin Grau war auf jeden Fall, er war Okkultist. Er hat Alistair Crowley kennengelernt.
Johannes Franke: Ja.
Florian Bayer: Nach diesem Film.
Johannes Franke: Er kannte ihn. Wie krass ist das denn?
Florian Bayer: Er war ein Alistair Crowley Fan. Alistair Crowley galt damals als der neue Jesus für die Okkultisten. Und der wurde gefeiert. Und der war dann irgendwann in Deutschland. Und wurde da quasi gefeiert und zu irgendeinem König von irgendwas ernannt. Und da hat Albin Grau ihn getroffen. Und Albin Grau wurde... später auch Leiter von einer Loge, nämlich der Pansophia. Und dann könnte man jetzt ganz viel komisches esoterisches Zeug aufzählen. Er war auf jeden Fall darin tief verwurzelt. Und dieses Nosferatu-Ding ist natürlich ein okkulter Film. Und es ist ein Film, der ganz viel mit diesen okkulten Symbolen spielt. Und wenn man sich anschaut, wenn man daran denkt, dass das Kraus der Designer war, wenn man sich dann anschaut, wie die Briefe zum Beispiel aussehen, die Orlok an seine Leute schickt.
Johannes Franke: Die sind voll mit okkulten Symbolen. Auf den ersten Blick denkt man, was? Was ist das denn? Das liest keiner, da weiß keiner was mit anzufangen. Was sind das für Symbole? Es ist wie, als wenn ein siebenjähriges Kind so einen Brief entwirft.
Florian Bayer: Mein erster Gedanke war, ein 16-jähriger Gothic-Hörer oder sowas, kritzelt auf seinen Blog in der Schule ein paar Pentagramme und ein paar komische Symbole und freut sich darüber. So sehen diese Dinger aus. Super süß. Das macht eben,
Johannes Franke: das ist damals... Am Set, als er das gemacht hat, gab es viele Crewmitglieder, die das wahnsinnig unheimlich fanden und nicht so richtig komfortabel damit waren, dass er das getan hat. Ich hätte ja nur daneben gestanden und hätte gelacht, wie jetzt beim Film gucken. Man sieht den Brief und lacht. Also ich weiß nicht, welche Konnotation man damals eben damit verbunden hat, wie schlimm das war.
Florian Bayer: Man darf nicht unterschätzen, wie stark das Christentum in der Gesellschaft verwurzelt war und wie stark dieser Aberglaube auch in der Gesellschaft verwurzelt war. Der dann halt doch immer nochmal zurückgegriffen hat in die Vorstellungen aus dem 19., 18. oder meinetwegen auch 17. Jahrhundert. Und ja, das war den Leuten einfach unheimlich, wenn sie sowas gesehen haben. Vor allem, weil sie vage von den Predigten wussten, der Teufel ist hinter euch her, hütet euch. Und dann kommt dieser Albin Grau und wenn man sich Bilder von Albin Grau anschaut, wie der aussah, der hatte durchaus was Teufliches an sich.
Johannes Franke: Ja, der war auch nach vorne gestellt.
Florian Bayer: Der wollte auch. Wenn man Alistair Crowley Fan ist. Ja, genau.
Johannes Franke: Ich finde es eine wahnsinnig spannende und interessante Geschichte. Natürlich jetzt aus der Entfernung von 100 Jahren. Dann guckst du auf die Zeit und du weißt ja, wenn du in der Zeit bist, weißt du das nicht, aber wenn du zurückschaust, weißt du, wie okkult die Zeit allgemein war und wie krass das dann auch... in die Nazi-Zeit übergegangen ist, was die Nazis für einen Scheiß damit gemacht haben, wo die überall Antworten gesucht haben und so. Das ist, und das ist auch nicht auf Deutschland beschränkt, das war auf der ganzen Welt, gab es diese sehr okkulten Stränge, die in alle möglichen Richtungen gezerrt haben und geguckt haben und Sachen untersucht haben und das irgendwie sich sehr viel wissenschaftlicher gefühlt haben, als sie am Ende waren.
Florian Bayer: Ja, springen wir nochmal zurück zur Entstehung von diesem Film, von dem Drehbuch. Das wurde nämlich von... Wurde nämlich in Auftrag gegeben und zwar Henry Garlin sollte das schreiben. Henry Garlin, ein riesengroßer Drehbuchautor, der hat den Golem geschrieben. Und das Wachsfigurenkabinett 1924, der hat Riquille geführt beim Golem, mit Paul Wegner 1914 gedreht. Und dann hat er noch für den Golem und wie er in die Welt kam, ein anderer Golem, hat er das Drehbuch geschrieben. Ein wirklich großer Autor und ihm wurde in Auftrag gegeben, schreib uns diesen Vampirfilm. Und es war klar, Alvin Grau wollte Dracula verfilmt haben. Und dann kommen wir zu einem der Ursünden dieses Films. Nämlich Henry Garland hat gesagt, na klar, Dracula kann ich. Und wohlgemerkt, Bram Stoker, Bram Stokers Dracula, war damals nicht so alt. Das war aus dem Jahr 1897. Das heißt, das Ding war 25 Jahre alt. Stell dir vor, jemand schreibt ein Drehbuch, eine Verfilmung für einen 25 Jahre alten Roman. Es ist fucking Harry Potter. Und sagt einfach, ich nenne jetzt Harry Potter, Harald. Und ich versetze das Ganze von England nach Deutschland. Das ist das, was sie gemacht haben. Sie haben einfach gesagt, okay, Nosferatu nennen wir die Geschichte, weil Nosferatu Kommt nur einmal in der Vorlage vor als Wort. Aber kommt vor als Wort.
Johannes Franke: Nicht mal ein eigenes Wort, weißt du?
Florian Bayer: Wir machen und wir ändern alle Namen ab und wir werden schon damit durchkommen. What the fuck? Wie dämlich, vor allem weil vorne im Film noch drin steht,
Johannes Franke: nach Dracula. Und du denkst dir, jetzt erzähl den Leuten nicht doch auch noch, was du da machst für eine Scheiße. Die waren irgendwie, zum einen glaube ich, waren sie einfach dreist und zum anderen waren sie, glaube ich, auch rechtlich schlecht beraten. Die haben... Muss man auch dazu sagen, wenn man sich den Film anschaut, sieht man das vielleicht auch, die haben mehr an der künstlerischen Vision gehangen als an allem anderen. Der Film war ja finanziell eine absolute Katastrophe am Ende für alle Beteiligten im Grunde.
Florian Bayer: Oh ja.
Johannes Franke: Und die waren aber so nah an dieser Idee dran, was die machen wollten, wie sie es machen wollten. Es sind einfach fucking Künstler gewesen, die keine Ahnung von Recht hatten, weißt du? Und dann haben sie sich vielleicht eine Rechtsberatung geholt, die dann gesagt hat, ja, passt schon. Und dann haben sie dem vertraut. Das ist halt schon scheiße ein bisschen.
Florian Bayer: Das tut mir so leid auch. Und sie haben ja auch ein paar Sachen geändert, unter anderem diese Ohnmacht. Die hat man nämlich im Original nicht in der Vorlage.
Johannes Franke: Ja, und die Pest und so weiter. Genau, ich finde die Änderungen, da müssen wir total viel drüber reden. Die Änderungen sind total cool.
Florian Bayer: Die Änderungen machen den Film theoretisch besser als das Buch.
Johannes Franke: Ja, ne?
Florian Bayer: Prem Stoker war vor zehn Jahren gestorben. Und Bram Stoker hatte natürlich eine Witwe, die not amused war, als sie herausgefunden hat, dass dieser Film geschrieben und gedreht und veröffentlicht wurde.
Johannes Franke: Ja, nach der Premiere hat sie es mitbekommen. Und dann hat sie gesagt, Leute, was ist denn da los? Ich habe dem nie zugestimmt. Bitte lasst mal Geld rüber wachsen. Und dann haben die Kampagnot angemeldet und es gab kein Geld mehr. Und dann hat sie gesagt, na gut, wenn ihr kein Geld rüber wachsen lassen könnt, dann wird jetzt alles zerstört, was mit diesem Film zu tun hat.
Florian Bayer: Das... wirklich krass. Und wohlgemerkt, wir haben ein scheiß Glück, dass wir diesen Film haben. Es hätte auch anders kommen können. Die sind dann nämlich rum mit einer Truppe von Anwälten und haben die Filme gesucht, haben die Filmrollen gesucht. Und wir sind im Jahr 1925 dann ungefähr so um den Dreh. Und es ist nicht so, dass du schnell mal eine digitale Kopie machst, sondern es gibt nur eine Anzahl x von den Filmrollen. Das heißt, wenn du einen Film komplett zerstören willst, dann ist die Chance relativ groß, dass du das auch schaffst. Vor allem, wenn du zu den Kinos fährst und wenn du zu den Orten fährst, wo der Film gezeigt wurde und sagst, her damit und dann das Ding verbrennst.
Johannes Franke: Das haben die echt gemacht und das große Glück, was wir haben, ist, dass es schon weltweit auch vertrieben wurde. Es gab in Amerika schon eine Kopie. Die haben zwar erst 1929, glaube ich, ihre Premiere in Amerika gefeiert, wurde aber auch dann groß aufgenommen. Die hatten einfach eine Kopie. Aber die originale, richtig originalen Sachen sind erst Jahrzehnte später aufgetaucht.
Florian Bayer: Es gab verschiedene Versionen von diesem Film, was halt auch damals gemacht wurde. Es wurden für verschiedene Märkte, vor allem für die Zwischentitel, wurden verschiedene Versionen geschnitten. Und die waren auch so überall verteilt. Es gab zum Beispiel eine französische Version, die in den 20er Jahren in Frankreich sehr beliebt war. Und in der die Filmfiguren wieder nach Bram Stokers Figuren benannt wurden. Das heißt, es gab eine Version, wo in den Zwischentiteln wieder nicht Hutter stand, sondern Jonathan Harker. Und nicht Ellen, sondern Mina und so weiter. Und Dracula anstatt Graf Orlok.
Johannes Franke: Na toll.
Florian Bayer: Und dann gab es noch zehn andere Versionen. Es gab unter anderem 1930 eine Version, die die 12. Stunde hieß und vertont war, übrigens ohne Murnau zu fragen.
Johannes Franke: Oh, okay. Auch das passierte damals recht häufig.
Florian Bayer: Es war auch einfach eine wilde Zeit und es war eine wilde Zeit, was Urheberrechte beschritt. Aber vor allem gab es diese eine Kopie, die in England war und wo die Leute gesagt haben, shit, da kommt sie. Und ich stelle mir vor, wie Florence Stoker kommt wie der Vampir mit ihrer... gierigen Hand und der Schatten bewegt sich über London und die sagen, versteck die Rolle, Und sie schaffen es.
Johannes Franke: Es ist wirklich krass, dass wir überhaupt eine Chance haben, diesen Film zu gucken. Man muss dazu sagen, es gibt, ich glaube, ich hatte mal eine erschreckende Zahl von so 80% gehört, der Filme, die damals gemacht wurden, die einfach nicht mehr zu retten waren. Die einfach geschrottet wurden, verbrannt wurden, weil die Leute auch nicht genug... Räumlichkeiten hatten, um die aufzuheben, haben sie gesagt, ja, der Film ist gelaufen, wir haben damit Geld verdient, jetzt verbrennen wir das Zeug. Weil es einfach auch überhaupt keine Kultur dafür gab, sowas aufzubewahren. Weil es keine Kultur dafür gab, sowas zu vervielfältigen oder sowas. Das war einfach immer teuer. Jeder Film, den du gemacht hast, war teuer. Und dann hast du die irgendwie verbrannt oder weiterverarbeitet oder zu irgendwas anderem verarbeitet. Du wolltest die nicht in einem riesigen Lager haben. Vor allem, weil auch teilweise Film, also bestimmte Art von Film sehr brennanfällig war.
Florian Bayer: Es ist unglaublich viel Kunst aus der damaligen Zeit verloren gegangen. Es gab einfach noch nicht dieses Bewusstsein für den Erhalt von Kunst, wie wir ihn heute kennen. Vor allem von Filmkunst, weil Film auch einfach noch nicht so als Kunst angesehen wurde. Obwohl gerade so ein Film wie Nosferatu oder auch der davor erschienene Caligari einfach mal schreien, wir sind mehr als nur blöde Publikumsunterhaltung. Schätzt uns und gibt uns den Respekt, der uns gebührt, nämlich der eines wirklichen Kunstwerkes. Genau, Albin Kraut, seine Filmfirma hat Pleite gemacht, er hat sich als Okkultist in Deutschland rumgetrieben. Es gab teilweise etwas sich widersprechende Angaben, wie es mit ihm weiterging. Es gab eine Zeit lang das Gerücht, dass er verfolgt gewesen wäre von den Nazis, in die Schweiz geflohen wäre. Es gab sogar das Gerücht, dass er im Konzentrationslager gestorben wäre. Das ist wohl alles Quatsch. Es gab dann 2014 ein... Eine Dissertation, die sich mit Albin Grau befasst und zwar von Stefan Strauß. Und der hat herausgefunden, dass Albin Grau einfach in Deutschland geblieben ist und als technischer Zeichner unter anderem auch für die Wehrmacht gearbeitet hat.
Johannes Franke: Er hat in Bayern gewohnt.
Florian Bayer: Genau.
Johannes Franke: Bayerisch Zell.
Florian Bayer: Und er ist im Gegensatz zu vielen anderen, die an diesem Film beteiligt sind, relativ spät gestorben, nämlich 1971.
Johannes Franke: Also für die Beteiligten an diesem Film ist er wirklich sehr, sehr spät gestorben. 71 in Haus Hamm. Krass, ne?
Florian Bayer: Ja, voll krass. Weil wenn wir an andere Leute aus der Crew schauen, dann haben wir halt das typische Phänomen von was passiert, was ist mit Menschen passiert, die in der Zeit gelebt haben und vor allem mit Künstlern und mit Menschen mit jüdischem Background, als die Nationalsozialisten an die Macht kamen und wir haben, wie wir es öfter haben bei Filmen aus der Zeit, über die wir schon geredet haben. Sehr viele, sehr traurige Migrationsgeschichten. Auch Menschen, die gestorben sind. Menschen, die von den Nazis ermordet wurden. Friedrich Wilhelm Murnau, der gehört zu denen, die geflohen sind.
Johannes Franke: Oh, wollen wir über Murnau reden? Gehen wir rüber zu Murnau?
Florian Bayer: Wir müssen rüberspringen zu Murnau. Weil Murnau war homosexuell. Er ist übrigens mit seinem Partner auch in diesem Film zu sehen. Es gibt einen kurzen Cameo-Auftritt von ihm. Echt?
Johannes Franke: Das wusste ich gar nicht.
Florian Bayer: Wenn die Pest wütet und dann Leute rumlaufen mit ... mit Nachrichtenmeldungen oder so. Und dann gibt es so zwei Typen, die irgendwo sitzen und die ein extra Blatt kriegen oder so. Das ist Murnau mit seinem Partner zusammen. Schön.
Johannes Franke: Ja, Murnau. Gleich am Anfang der Funfact. Murnau hat acht Flugzeugabstürze überlebt. Murnau war natürlich im Krieg, ne? Also das ist ja die Zeit.
Florian Bayer: Um dann bei einem Autounfall zu sterben. Es ist so bitter. Weil das einen 14-jährigen Dienstjungen veranlässt. What the fuck?
Johannes Franke: Wie doof kann man sein? Seinen 14-jährigen Dienst, also wirklich. Der hat ihn einfach ins Steuer gelassen und hat halt seinen Unfall gebaut und Monau ist gestorben. Die anderen haben überlebt. Monau ist gestorben.
Florian Bayer: Scheiße. Das ist wirklich traurig. Er wurde geboren als Friedrich Wilhelm Plumpe und Murnau war sein Künstlername, den er in den 1910er Jahren angenommen hat, als er Schauspieler war vor allem und zwar im Theater. Wir haben hier auch natürlich auch wie damals oft Leute, die beim Film arbeiten, die kommen halt alle von der Bühne, weil Film war noch ein relativ junges Medium und er hat... hat unter anderem an der Max-Reinhard-Schauspielschule gelernt.
Johannes Franke: Ja, Max-Reinhard, ganz großer Name im Schauspiel. Merken. Gut, merken.
Florian Bayer: Und er hat im Ersten Weltkrieg gekämpft. Und er hat dann nach dem Ersten Weltkrieg angefangen, Filme zu drehen. Und er hat innerhalb kürzester Zeit, nämlich wir haben hier einen Zeitfenster von 1919 bis 1921, als er für diesen Film engagiert wurde, hat er Filme gedreht, die ihn zu einem der bedeutendsten deutschen Regisseure gemacht haben.
Johannes Franke: Das ist absurd, oder? Also der war ja anscheinend wirklich wahnsinnig talentiert. Der hat nach dem Film, hat er in Der letzte Mann 1924 die bewegliche Kamera eingeführt, was vorher in Deutschland so in der Form nicht existierte. Der hat sich Sorgen gemacht, okay, wie können wir das schaffen, dass die Kamera sich von A nach B bewegen kann, damit ich andere Perspektiven reinkriegen kann. Das ist heute völlig normal, aber damals war das immer sehr statisch. Und dann 1924 schon es zu schaffen, so eine riesige Kamera so zu montieren, dass du sie kontrolliert von A nach B kriegst. Das war schon krass.
Florian Bayer: Er hat den Tatüf verfilmt von Molière. Er hat den Faust verfilmt und damit haben wir schon so zwei riesige Volkstexte. Und er wurde dann auch, er ging nach Amerika. Und zwar Ende der 20er Jahre wurde er von Fox engagiert, weil die gesagt haben, geil, der hat es voll drauf.
Johannes Franke: Und es war er nicht so glücklich mit denen. Nee,
Florian Bayer: er war nicht sehr glücklich. Er hat noch Oscars gekriegt. Und zwar mit dem Film Sunrise, den er in den USA gedreht hat. Aber ihm wurde zu viel in seine künstlerische Freiheit eingegriffen. Es lag auch daran, dass das so die Übergang zum Tonfilm ist. Die haben seine Filme vertont und er wollte das nicht. Die haben Tonversionen von seinen Filmen gemacht, auf die er eigentlich gar keinen Bock hatte, weil er war ein Stummfilmregisseur.
Johannes Franke: Und er hat gekündigt. Er hat einfach gesagt, ich kündige. Er hatte keine Lust mehr drauf. Und dann hat er gesagt, ich finanziere meine Sachen selber. Was ein Riesenakt war, seine Sachen zu finanzieren, das irgendwie hinzubekommen. Hat den Film, 1931 den Film Tabu gemacht, was so ein bisschen eine Dokumentarfilm-Melodramen-Mischung war.
Florian Bayer: Den ich unbedingt noch sehen muss, der gehört so auf meiner Watchlist relativ weit oben. Ja,
Johannes Franke: ich habe ihn auch noch nicht gesehen. Hat es geschafft, dass Paramount den gesehen hat und gesagt hat, den müssen wir vertreiben. Und der ist so gut, dass wir dir zehn Jahre Vertrag anbieten.
Florian Bayer: Und was für ein Glück. Er hat sich nämlich komplett verschuldet dafür. Dieser Film hätte ihn in Bankrott getrieben. Und Paramount hat gesagt, nein, nein, das ist voll geil. Und er war wieder oben. Er war wieder da. Es war alles gut. 1931. Nur noch. glücklich, zufrieden. Hey, lass uns feiern, Junge, dann fährst du auch nochmal lenken. Ja, dann fährt er mit einem Auto, kurz nachdem alles gut war und stirbt.
Johannes Franke: Ach Gott, ist das hart. Das tut mir echt wahnsinnig leid. Wirklich auf diesem Höhepunkt, dann zu sterben, weil irgendein 14-jähriger Idiot das mit dem Fahren nicht hinkriegt. Fuck, Alter.
Florian Bayer: Ja, ist total krass. Und traurig.
Johannes Franke: Ja. Also wir hätten von Murnau noch sehr viel mehr sehen können, wenn das nicht gewesen wäre.
Florian Bayer: Murnau, ein großes Genie für den deutschen Film. Nicht für diesen Film. Dieser Film ist halt doch vor allem Albin Grau und Henry Galenwerk. Ja,
Johannes Franke: das stimmt schon.
Florian Bayer: Darf man nicht unterschätzen. Und ich wusste das auch nicht. Also ich habe diesen Film immer als eines der Murnau-Meisterwerke eingeordnet und war dann doch überrascht, wie groß die Rolle von Albin Grau war, wie groß die Rolle von Galen war und wie klein offensichtlich die Rolle von Murnau war. Der am Set halt irgendwie da war, aber auch nicht so richtig. Das gibt wohl ein Abschlussfoto mit allen. Murnau ist nicht drauf.
Johannes Franke: Oh nein. Übrigens kleiner Nachtrag. An seiner Beerdigung waren elf Personen da. Mehr nicht. Es waren elf Personen. Unter anderem Greta Garbo.
Florian Bayer: Oh, das ist traurig.
Johannes Franke: Ja. Ich glaube 2011 hat er nochmal einen neuen Grabstein bekommen. Sie haben es nochmal erneuert.
Florian Bayer: Okay, Murnau verfilmt diesen Film, orientiert sich sehr stark am Skript von Galen. Wir haben sehr viele Zwischentitel. 115 Zwischentitel.
Johannes Franke: Es ist so geil, weil er später einen Film gemacht hat, wo er sich bemüht hat, nicht einen einzigen Zwischentitel unterzubringen. Ich glaube, er hat es geschafft, oder? Ist das nicht der Film, wo es hieß, okay krass, da hat es jemand geschafft, einen Stummfilm ohne einen einzigen Zwischentitel zu machen? Ich bin mir nicht mehr ganz sicher. Ich bin drüber gestolpert.
Florian Bayer: Aber auch ein Film für einen Stumpffilm mit sehr vielen Einstellungen. 540. Damit sind wir fast bei Jerry Bruckenheimer angekommen.
Johannes Franke: Krass,
Florian Bayer: Mann. Junge, mach mal ein bisschen langsam. Mach mal ruhig. Ja, also ich finde es ist tatsächlich, um das mal zu übersetzen, wenn man so Zwischentitel hat, ich finde es ist ein sehr geschwätziger Film. Ist es, definitiv. Und es ist ein Film, der in dieser Geschwätzigkeit auch sehr ästhetisch ist und das ist natürlich auch das Albin-Krau-Ding, dass wir eine große Bandbreite an Zwischentiteln haben. Wir haben zum einen natürlich die Erzählerstimme, wo nie ganz klar ist, wer das genau erzählt.
Johannes Franke: Ich frage mich die ganze Zeit, Alter, wer ist der Ich-Erzähler? Erzähl mir das, jetzt sag mir doch mal, wer du...
Florian Bayer: bist. Dann haben wir aber auch Briefe werden eingeblendet, Buchausschnitte werden eingeblendet, vor allem von diesem Buch über Vampire. Und diese Texte, die da eingeblendet werden, haben dann auch alle ihre eigene Ästhetik. Also wir haben einfach die Handschrift von Hutter, wie er seiner Freundin schreibt und ich kann nichts davon entziffern und ich drücke kurz Pause und denke, okay, ich versuche es nochmal irgendwie zu lesen. Ich kann es nicht lesen. Ich habe dann Untertitel in einer YouTube-Version nochmal.
Johannes Franke: Ich habe mir nochmal danach den Film nochmal angeschaut. Ja. Mit Untertiteln auf Englisch.
Florian Bayer: Nur die Stellen, wo da irgendwie was eingeblendet wird. Weil ich konnte es zum Verrecken nicht lesen. Wir haben Zeitungsartikel, die gezeigt werden, wenn die Pest angekündigt wird. Stimmt. Auch großartig. Ganz toll. Und das ist natürlich voll Albin Grau. Das ist der Gestalter Albin Grau, der sagt, wir machen hier schöne Zwischentitel. Wir haben einen Film, der primär in drei Farben stattfindet. Also es ist ein Schwarz-Weiß-Film, der quasi drei Farboverlays hat. Und zwar haben wir einmal das dunkelgrün-türkis, würde ich behaupten, ist es so ungefähr, das eigentlich ziemlich konsequent in der Nacht gemacht wird. Wir haben diesen Sepia-Ton für den Tag. Und wir haben irgendwie so einen Morgengrauen und Abenddämmerungsrot, rosa, relativ helles Rot. Ein Rosé-Ton, würde ich behaupten.
Johannes Franke: Ja. Das ist über eine chemische Lösung gemacht. Also du hast ja normalerweise einen Schwarz-Weiß-Film und dann werden über eine chemische Lösung, die über den Film gekippt wird mehr oder weniger, werden diese Schwarztöne eingefärbt in eine bestimmte Farbe. Und dann hast du eben die Illusion, in Anführungsstrichen, natürlich hast du sie nicht wirklich, aber so ein Gefühl von, okay, das soll jetzt Tag sein und das soll jetzt Nacht sein. Das ist früh morgens, dann gibt es den leichten Magenta-Ton und so. Fand ich tatsächlich gut und auch viel eingesetzt und fast ein bisschen zu bunt. Ich hatte zwischendurch das Gefühl, okay, das sind nämlich nicht nur die drei Farben, sondern es sind dann schon noch mehr zwischendurch. Vielleicht ist es auch chemisch daneben gegangen oder sowas, aber sie haben mehr als drei Farben und das hat mich zwischendurch doch ein bisschen, what, jetzt noch das?
Florian Bayer: Und wir haben auch auf dieser Bildebene das Spiel mit Effekten. Wir haben nämlich zum Beispiel eine Szene im Negativ. Ja, krass. Wenn die Kutsche zur Hütte fährt und du sitzt da und denkst, wow, was ist hier passiert?
Johannes Franke: Ja, und am Anfang, weil du aus dem Abstand kommst, denkst du, was ist denn da schiefgegangen? Aber nein, natürlich nicht, ist da nichts schiefgegangen, sondern das sind tatsächlich einfach die frühen Versuche mit leichten Tricks und dem, was man eben konnte mit so einem Film, eine Andersartigkeit herzustellen und so einen Irritationsmoment.
Florian Bayer: Und ich fand es schon bei Caligari ganz großartig. Und jetzt hier auch wieder großartig. Ich mag dieses minimalistische Spiel mit Farben, mit dem, was möglich ist. Und bei Caligari ... Vielleicht habe ich es falsch in Erinnerung, war es nicht so konkret auf Zeiten gesetzt. Weil hier markieren die Farben ja vor allem die Zeiten, in denen wir uns gerade befinden, die Tageszeiten, in denen wir uns befinden.
Johannes Franke: Man muss dazu sagen, dass das nicht neu ist. Also es gab es auch vorher schon. Es haben schon andere Filme so gemacht. Und eigentlich war es schon gesetzt, dass Blau Nacht ist und dass Magenta hier Sepia Tag ist.
Florian Bayer: Ich müsste Caligari nochmal im Hinblick darauf... Ich hatte das Gefühl, es war so ein bisschen wilder, wie mit den Farben gespielt wurde. Es wurde öfter gebrochen, was... Was für eine Farbe jetzt draufgelegt wird.
Johannes Franke: War Caligari im Ursprung tatsächlich überhaupt eingefärbt? Ich dachte, das wäre ursprünglich auch ein komplett schwarz-weißer Film gewesen.
Florian Bayer: Ich glaube, auch so wie dieser Film.
Johannes Franke: Okay, weiß ich nicht mehr. Wir haben Caligari lange besprochen. Wenn wir darüber reden, hört euch das an, wie wir darüber reden. Und dann könnt ihr jetzt rausfinden, wir wissen schon selbst nicht mehr, was wir gesagt haben.
Florian Bayer: Aber Caligari natürlich der große Film, mit dem auch dieser Film verglichen wurde. teilweise auch eine Abreibung gekriegt. Auch ganz so nach dem Motto, ey, der versucht zu machen, was Caligari gemacht hat. Caligari hat das vor zwei Jahren viel besser gemacht.
Johannes Franke: Was will Mono hiermit eigentlich? Das ist ja fies. Nein, nein, nein, nein. Und er macht natürlich auch noch andere Sachen. Der Negativfilm, hast du gerade gesagt, die Farbtönung. Er macht Stop-Motion.
Florian Bayer: Er macht einiges an Special Effects. Ja. Das finde ich schon geil. Auch,
Johannes Franke: muss ich sagen. Vor allem, weil das auch nicht so... Easy peasy, wenn du heute ein Stop Motion machst, dann machst du ein Bild, guckst dir das Bild an, stimmt das, dann legst du es so ein bisschen halbtransparent über das Bild von davor und guckst dann, ah ja, das kann ja so ein Stückchen nach vorne und dann mache ich noch ein Bild und dann habe ich eine Bewegung, wenn ich 24 Bilder oder 12 Bilder die Sekunde gemacht habe. Und die konnten einfach nur mit ihrer Kamera, wo man nicht sehen konnte, was habe ich denn jetzt aufgenommen, immer ein Stückchen weiter kurbeln den Film. Bild quasi belichten und dann wieder ein Stückchen weiterführen.
Florian Bayer: Dann haben wir in Stop-Motion Türen, die sich automatisch öffnen oder Klappen, die sich automatisch öffnen auf dem Schiff.
Johannes Franke: Super geil.
Florian Bayer: Wir haben Doppelbelichtung, wir haben einige Szenen von Orlok als geisterhafte Figur, die so halbtransparent zu sehen ist oder wirklich halbtransparent erscheint aus dem Nichts. Vor allem in dem Schiff ist ja wirklich ein Hammerbild.
Johannes Franke: Krass. Die Doppelbelichtung funktioniert folgendermaßen, um das nochmal zu sagen, wie krass das eigentlich ist. Man dreht einen Film, damals mit Kurbel, den Film weiter gedreht, damit er belichtet wird in einem bestimmten Tempo. Dann musst du, damit du dann eine Art Geisterfigur drauflegen kannst, den Film wieder zurückspulen, an die Stelle, wo es angefangen hat. Und dann belichtest du ihn nochmal. Du musst aber vorher berechnen, dass er ja ein zweites Mal belichtet werden wird. Damit das Ganze nicht überbelichtet wird, musst du also vorher halbieren, das Licht. Du musst also einen Haufen technische Sachen noch beachten. um dann ein zweites Mal den gleichen Film nochmal zu belichten, diesmal mit der Figur im Bild. Wenn die Kamera zwischendurch bewegt wurde, hast du einen Scheiß. Du kriegst die Kamera nie wieder genau an die gleiche Stelle.
Florian Bayer: Gott sei Dank waren die Kameras damals so schwer und klobig, dass sie nicht viel bewegt wurden. Und wir haben, wofür der Film wahrscheinlich am berühmtesten ist, sehr exzessives Spiel mit Licht und Schatten, bis zu dem Punkt, dass die Schatten wirklich die Stands-ins für die Figuren sind. Szenen, in denen Orlok nur als Schatten dargestellt wird und sehr viel als Schatten agiert.
Johannes Franke: Ja.
Florian Bayer: Und mit einem nicht zu unterschätzenden Einfluss auf die Horrorfilmgeschichte, weil zahllose Filme danach haben das gemacht, bis hin zu dem, das Original Dracula-Filme, Verfilmungen von Prince Docas Roman gesagt haben, wir orientieren uns an der Ästhetik, an diesem kleinen, dreckigen, urheberrechtsverletzenden Meisterwerk.
Johannes Franke: Komm, also diese Schattengeschichte hat jeder Horrorfilm danach gemacht, oder? Also das ist doch der... Der... Trick schlechthin, um Leute eine Vorahnung unterzuschieben oder ein Oh, da kommt jemand von hinten und die Hauptfigur sieht es noch nicht.
Florian Bayer: Das ist alles Schatten. Und das ist alles von diesem Film irgendwie. Weil dieser Schatten das so genial macht. Aber um das auch noch zu sagen, wir haben schon gesagt, es sind viele Schnitte in diesem Film. Die Dynamik ist auch über die Schnitte hinaus. Und zum Beispiel diese entfesselte Kamera, die Mono später entwickelt hat. Gedanken davon sieht man schon in diesem Film. Unter anderem, wenn die Kamera auf das Schiff zufährt und an dem hier vorbeifährt und du hast das Gefühl, wow, wir haben hier eine Kamerafahrt, die eigentlich viel zu gut ist für diese Zeit und viel zu gut für den statischen Stummfilm, weil wenn wir an die Zeit, an die 20er Jahre denken, Filme sind damals noch sehr statisch und vor allem Kameras sind damals noch sehr statisch und solche Kamerafahrten, wo die Kamera auf ein Objekt zufährt oder von einem Objekt flieht, ist jetzt auch nicht unbedingt das, was man zu sehen kriegt in der Zeit.
Johannes Franke: Gar nicht. Ich kann mich nicht erinnern, dass es sowas gab. Ich glaube, in diesem Film muss ich es sagen.
Florian Bayer: Es gibt diese eine Kamerafahrt beim Schiff. Die finde ich sehr auffällig. Die fand ich total krass, wo die Kamera, wo das alles sehr bewegt wird.
Johannes Franke: Ja, okay. Also nicht, wo das Schiff in den Hafen einfährt.
Florian Bayer: Nein, nein, nein, nicht wo das Schiff, davor sehen wir einmal das Schiff auf hoher See und die Kamera fährt dazu. Krass. Und wir haben diese Kutschen-Szene, wo es vielleicht auch nur so einen Anflug von Bewegung gibt.
Johannes Franke: Okay.
Florian Bayer: Aber zumindest, es gibt diese Momente, wo so ein Gefühl von Dynamik erzeugt wird, die über das Statische hinausgeht. Geil.
Johannes Franke: Ja, es gibt dann auch noch andere Tricks, wie wenn du gerade bei der Kutsche bist, dieses Zeitraffer-Ding.
Florian Bayer: Ja.
Johannes Franke: Das finde ich auch natürlich heutzutage sehr comically, dass man auch echt lachen muss, weil das so ein Mittel von Comedy geworden ist mit der Zeit. Laurel und Hardy machen das viel. Ich glaube, Chaplin hat das auch irgendwann mal noch aufgenommen. Einfach Bilder schneller ablaufen lassen, macht eine absurde Situation auf. Und hier soll es natürlich die Übernatürlichkeit dieser Person darstellen. Und wie sie das gemacht haben, Kamera wird gekurbelt, damit der Film im richtigen Tempo da langläuft. Und dann haben sie halb so schnell gekurbelt. Das heißt, du hast im Grunde nur noch halb so viele Bilder. für die gleiche Zeit. Und wenn du das dann aber wiederum genauso schnell abspielst wie die anderen, hast du plötzlich ein schnelles Bild, eine schnelle Bewegung. Und geniale Idee. Also großartig.
Florian Bayer: Um vielleicht noch zwei, drei Sachen aus der verspielten Ecke zu nennen. Wir haben diese Aufnahmen von den fleischfressenden Pflanzen zum einen. Makroskopische Aufnahmen. Mikroskopische Aufnahmen, nämlich von den Polypen mit Fangarmen. Wenn unser Professor Gruver heißt, unser Van Helsing, der nichts tut, seine Pflanzen untersucht, dann Ja. haben wir auch einfach mal einen Blick ins Mikroskop und wir denken, wow, ja, krass.
Johannes Franke: Ich habe das Gefühl, dass der Film auch durch diese Aufnahmen, aber auch durch seine Haltung versucht, einen Dokumentarfilm- Charakter aufzubauen. Dass du das Gefühl hast, okay, das ist wirklich passiert. Das ist wirklich etwas, wovon berichtet wird. Das ist ja auch, ich meine, das ganze Buch, dieser Ich-Erzähler am Anfang, der sagt, ich möchte euch von Wissburg und seiner Pest Seuche und so weiter erzählen. Das ist ja alles quasi als Dokumentarfilm aufgemacht. Natürlich sieht man den Film an, dass er irgendwie inszeniert ist. Aber er hat sehr viele Elemente, wo ich dann fast schon wieder an so Mockumentary denken muss.
Florian Bayer: Was er ja tatsächlich auch so als Inspiration von der Vorlage mitnimmt. Weil Dracula ist auch sehr viel geschrieben in Briefen,
Johannes Franke: in
Florian Bayer: Tagebucheinträgen und ähnlichem. Also hat auch so diesen Versuch, hier irgendwie so ein reales Szenario zu schaffen. Aber ich stimme dir vollkommen zu. Es gibt dieses... Es gibt diesen Versuch zu sagen, das ist wirklich passiert, wir haben hier die Fakten, schaut euch mal an, was für eine Geschichte, es klingt alles Wahnsinn, aber es ist echt, es ist wirklich echt. Aber im Gegensatz dazu stehen dann auch die Sachen, die halt so sehr, sehr stark dieses Okkulte mit sich tragen. Ich fand zum Beispiel die Landschaftsaufnahmen, die wir sehr viel haben, wir haben ja sehr viele Naturaufnahmen, gerade in der ersten Hälfte des Films, wenn Hutter nach Transsilvanien reist. Da haben wir diese Düsterromantik-Ästhetik. Dieses Gefühl von das Übernatürliche ist irgendwie in der Natur vorhanden. Es schwebt, es wabert irgendwie über uns. Und wenn wir einen Wald sehen, sehen wir halt nicht einfach nur einen Wald, sondern wir sehen einen Ort, an dem Geister geboren werden.
Johannes Franke: Naja, aber guck dir den Wald mal an. Das ist doch, was ist denn das für ein Wald? Da war der Bockenkäfer, oder? Das ist ja wirklich, das ist ja hart.
Florian Bayer: Ja.
Johannes Franke: Da hat der Geist gewütet. Da ist nicht mehr viel. Das ist super krass. Und die haben ja wirklich vor Ort gedreht. Und man darf nicht unterschätzen, wie krass das für Leute 1922 war, Bilder aus dieser Gegend zu sehen im Kino. Wie sieht das da wirklich aus? Vor allem, weil ganz viele Filme damals im Studio zu Hause entstanden sind. Wie zum Beispiel eben Dr. Caligari. Die wirklich ein Set zu Hause aufgebaut haben, im Studio, alles expressionistisch überhöht haben. Und hier hast du ja fast ein naturalistisches Ding. Weswegen ich mich frage, warum ist denn das es? als expressionistisches Meisterwerk unterwegs?
Florian Bayer: Ja, das ist eine sehr berechtigte Frage. Das ist es nämlich ganz viel nicht. Also es hat dieses, ich finde es hat ganz viel diese Düsterromantik und es gibt natürlich den Zusammenhang zwischen Expressionismus und Düsterromantik. Ja. Und zumindest dieses, dass die Natur irgendwie auch so ein bisschen das Innere ausdrückt des Menschen. Das haben wir aus dem Expressionismus. Aber wenn du die Art, wie hier Sets gestaltet sind und wie Landschaft gezeigt wird, vergleichst mit zum Beispiel sowas wie Caligari oder auch mit dem Golem. Dann hast du hier was anderes. Du hast hier nicht diese Verzerrung, sondern du hast hier wirklich, du hast Schauplätze. Du hast Original-Schauplätze.
Johannes Franke: On-Set gedreht.
Florian Bayer: Orte, die man heute noch besuchen kann. Wie zum Beispiel diese Burg, in der Orlok lebt. Die genauso sind wie damals. Es ist einfach mal eine fucking Burg, die irgendwo in Transsilvanien steht. Und da kann man hingehen. Ja. Und sie sind einfach da. Sie sind in der Natur. Und das gibt dem Film natürlich so einen Realismus. Ja. Und doch hat der Film halt auch dieses Traumhafte, ganz viel durch die Inszenierung und auch ganz viel durch die Montagen.
Johannes Franke: Und ich glaube, das ist das Expressionistische daran. Und ich finde es interessant, weil ich natürlich aus meiner Perspektive am Naturalistischen, an dem Bild viel mehr hänge und mich viel mehr festhalten kann, während es damals genau andersrum war. Die waren an Dr.
Florian Bayer: Caligari gewöhnt.
Johannes Franke: Ja. Und die Kritiker haben diesem Film vorgeworfen, dass er zu realistisch wird. Und du denkst dir, what? Ja, aber natürlich, das ist ja das Gute daran, was ist denn los? Und es ist super interessant, was für Sehgewohnheiten die damals haben und gesagt hätten, nee, wir wollen doch solche Sachen wie Dr. Caligari, warum stellt ihr denn in einem echten Wald die Kamera auf?
Florian Bayer: Die Realität können wir auch da draußen gucken.
Johannes Franke: Naja, aber eben nicht. Du kommst ja nicht einfach so nach Trans-Berlin. Deswegen war es auch ein bisschen Sensation.
Florian Bayer: To be fair, es gibt diese Szenen, die auch stark dieses Caligari-Setting haben. Zum Beispiel vor allem Knock, der am Gutter beauftragt, der in seiner Schreibstube sitzt und dann später in der Anstalt, nachdem er verrückt geworden ist, da haben wir auch diese Räume, die sehr eng wirken. die so ein bisschen drüber wirken. Nicht realistisch, sondern ein bisschen zu groß, ein bisschen zu klein. Und da haben wir so ein bisschen dieses Caligari-Gefühl. Aber gerade am Anfang spielt der Film natürlich viel in der Natur und viel auf dieser Burg. Und da haben wir einfach mal den Schauplatz, den Ort des Geschehens, direkt vor uns.
Johannes Franke: Ich wäre so gerne einmal, ich würde Mäuschen spielen wollen. Ich will wissen, wie die Leute drauf waren, wie sie das gesehen haben. Für mich ist es so unvorstellbar, da hinzugucken und zu sagen, ja, viel zu realistisch.
Florian Bayer: What? Ja, es ist einfach, wir haben diesen 100 Jahre Abstand. Und den werden wir auch nicht los. Über den kommen wir nicht hinweg. Und das führt natürlich dazu, dass man auch oft sich dabei ertappt, dass man einfach denkt, oh, das war wegweisend. Aber nicht halt so, nicht dieses Gefühl von damals hat, sondern nur dieses, ich kann verstehen, dass Leute sich damals wahrscheinlich so und so gefühlt haben. Wollen wir mal in die Geschichte reinspringen, bevor wir uns zu sehr in diesen Bildern verlieren? Lass uns mal in die Geschichte rein. Also wir haben unser Setup. Wir haben einen Hutter, der zu Orlok geschickt wird. Was halten wir von Hutter? Was halten wir von Orlok?
Johannes Franke: Ich hab's ja in meinem Eingangsfext schon so ein kleines bisschen angedeutet. Der sitzt ja schon so fies da, der Immobilienhai. Knock.
Florian Bayer: Knock,
Johannes Franke: der Hutter zu Orlok schickt. Und ich hab mich bei der Verfilmung, um das mal ganz kurz vorwegzunehmen, von Eggers und auch in der Verfilmung von Werner Herzog, hab ich gedacht, wieso kichert der denn da so absurd vor sich hin? Was soll denn das? Das ist so eine super seltsame Entscheidung, da so richtig... unmotiviert, wo sich hinzukichern, wie so so on the nose diabolisch, weißt du? Und dann gucke ich mir diesen Film an und denke mir, ja, ist alles angelegt. Ist alles schon da.
Florian Bayer: Es ist genau das, was er tut. Er ist dieser absolut fiese, bösartige, kleine Ghoul. Er ist ein Ghoul, oder? Er wird ja nicht näher definiert. Im Original gibt es Renfield. Das ist der Typ, der nicht HK auf die Reise geschickt hat, sondern der von Anfang an in dieser Anstalt ist. Und hier wird... diese Verbindung gezeugt, was ganz interessant ist, dass das Knock quasi von Anfang an mit Dracula im Bunde steht und Hutter nur deswegen dahin geschickt wird, um Orlok diese Möglichkeiten zu geben.
Johannes Franke: Ist das ein Kommentar auf Gentrifizierung?
Florian Bayer: Bitte was? Nein.
Johannes Franke: Nein, der Immobilienhai, der den Ausländer reinholt und sagt, hier, jetzt das gehört alles euch.
Florian Bayer: Also ich habe jetzt nicht näher gelesen, wie... inwiefern antisemitische Motive in diesem Film vorkommen, der von einem Juden gedreht wurde. Hab ich ein bisschen nachgelesen, muss man sagen.
Johannes Franke: Es gibt ja durchaus genug Leute, die dem ganzen antisemitische Mittel unterstellen. Und es ist auch nicht völlig von der Hand zu weisen. Aber darüber reden wir später. Ich würde sagen, wir gehen wirklich mal in die Geschichte rein.
Florian Bayer: Aber Gnock ist natürlich ein herrlich koboldartiger Fies. Ja. Es macht ihm Spaß zuzugucken und natürlich denkt man direkt von Anfang an, ey, dem würde ich nicht trauen. Und wenn der dich nach Transsilvanien schickt, dann tu es nicht.
Johannes Franke: Bedeutet das aber auch, dass diese Figur von Anfang an besessen von Orlok ist?
Florian Bayer: Ich glaube ja, ich glaube, das ist ein Diener Orloks. Und das sind ja diese Ghouls, oder? Das ist diese Ghoul-Thematik. Ghouls sind die Diener der Vampire, die von den Vampiren gebissen wurden, aber nicht ganz ausgesaugt wurden. Ich bin nicht so... mythenfest, was das betrifft.
Johannes Franke: Das Ding ist, dass in diesem Film das ja nicht funktioniert. In diesem Film verwandelt der Vampir nicht andere in Vampire. Ja,
Florian Bayer: richtig.
Johannes Franke: Das lässt dieser Film komplett weg. Das nimmt er komplett raus, was ich auch eine gute Entscheidung finde, weil das die komplette Romantik, die in Dracula ist, komplett rausnimmt. Dracula ist wahnsinnig sexuell und romantisch. Dieser Film macht das zu größten Teilen nicht.
Florian Bayer: In diesem Film ist er auch sexuell, finde ich. Er hat nicht nur Romantik, aber es ist was anderes, ja.
Johannes Franke: Ja, es ist eine andere Art von Sexualität und auch keine... Weil, du guckst dir Dracula an, guck dir alle Verfilmungen davon an, das ist immer ein heißer Typ, weißt du? Das ist einer, der... Der die Frauen verführt, das ist ein Verführer.
Florian Bayer: Ich finde über den Sexappeal von Bela Lugosi kann man streiten, aber ja natürlich, Dracula wird oft als der Verführer dargestellt. Absolut.
Johannes Franke: Und auch der sexuelle Verführer und so. Und das ist natürlich, das bedient eine andere Angst. Also in Großbritannien hast du eher die Angst, dass... Sagen wir mal, das Aristokraten, der in die Gesellschaft kommt und alle verführt und in eine Richtung lenkt, die nicht gesellschaftlich den Verfall herbeibringt, weißt du?
Florian Bayer: Die Briten sind Puritaner, sagen wir es einfach so.
Johannes Franke: Genau. Und in Deutschland ist die Angst eine andere und deswegen musst du das ändern. Und dann ist der halt kein Verführer, sondern einfach der fucking Tod. Der bringt die Pest.
Florian Bayer: Ich finde diesen, ich finde Orlok super interessant und ich finde das ist was, was dann... Was auch interessant ist im Hinblick auf die späteren Verfilmungen, ohne dazu jetzt schon zu viel zu sagen. Orlok ist eine unglaublich traurige Figur. Weil Orlok, und Orlok durstet nach Blut, ganz klar. Und er saugt ja auch offensichtlich Hutter an, aber ohne ihn umzubringen. Ich habe das Gefühl, wenn ich diesen Film sehe, Orlok will den Tod unbedingt, will gar nicht den ganzen Tod dahin bringen. Der Tod reißt halt einfach mit ihm mit, weil er ihn im Gepäck hat. Er kann es nicht ändern. Orlok, ganz klar, er will Blut saugen. Er sucht sich seine Opfer, aus die er aussaugen will. So. Aber ich glaube nicht, dass Orlok vorhat, einen Haufen Ratten und die Pest und das alles nach Deutschland zu bringen und die Stadt in Angst und Schrecken zu versetzen.
Johannes Franke: Aber er bringt es mit.
Florian Bayer: Aber er bringt es mit. Aber das macht diese Tragik von seiner Figur aus, dass er nicht einfach nur dieser Bösewicht ist, sondern dass das Böse auch einfach irgendwie ein schweres Gepäck ist, was er mit sich trägt.
Johannes Franke: Du spielst auf Werner Herzog an.
Florian Bayer: Ich spiele definitiv auf Werner Herzog an, natürlich. Und das finde ich, sieht man auch, wenn man diesen Orlok... Wenn man diesem Orlog zum ersten Mal begegnet in dem Film. Das ist nämlich ganz am Anfang, wenn der mit Hutta zu tun hat, das ist so eine kleine, hutzelige Figur. Das ist kein übergroßes Monster. Jetzt spiele ich auf Eggers an. Das ist kein bösartiges, übergroßes Monster, sondern das ist so ein ganz kleiner, natürlich so ein bisschen rattiger, hilfloser, aber auch irgendwie bemitleidenswerter Mann, der sehr lange isoliert war. Aber der wirkt nicht, als ob er eine Bedrohung sein könnte.
Johannes Franke: Und da hast du wieder die antisemitischen Stereotype, die in der Zeit ganz stark nach vorne gebracht wurden.
Florian Bayer: Definitiv. Und vor allem auch eben mit diesen Facial Features, die Max Schreck mit sich bringt, nämlich die Nase.
Johannes Franke: Ja, die Nase... Aber so extrem war sie nicht, ne? Die haben die schon noch ein bisschen verstärkt, oder?
Florian Bayer: Es ist die Figur. Es ist das, wie er aussieht, auch wie die Augen geschminkt sind mit diesen dunklen Augenringen. Dann hat er Kleidung, die ein bisschen zu groß ist. Und er sitzt halt auch oft so da wie der Geschäftsmann, der irgendwie einen Vertrag mit dir schließen will und du musst mit deinem Blut unterschreiben und jeder schreit, tu es nicht!
Johannes Franke: Ja, genau. Und das ist schon, also, ob sie das wollten oder nicht. Aber sie leben in ihrer Zeit und ich glaube, dass dieser Film einfach sehr viele... Probleme und Stereotype dieser Zeit mit sich bringt. Egal wie sehr er das will oder nicht will, aber das ist einfach da eingebacken. Da kommst du nicht drum rum.
Florian Bayer: Nee, was ich da halt vor allem sehe, ist eine andere Art von Bösewicht als dieses Überstarke. Ja, das beängstigend ist wegen seiner schieren Kraft. Das ist halt auch irgendwie was Bemitleidenswertes. Und natürlich stecken da ganz viele antisemitische Stereotype drin, die man da rauslesen kann.
Johannes Franke: Total.
Florian Bayer: Aber es ist halt spannend, wie wir ihn sehen, wie er gar nicht wie so eine krasse Betrugung wirkt und die Art, wie er zur Betrugung wird, ist dann vor allem auch durch die Wahrnehmung, nämlich von Ellen. Die aus der Ferne den Schrecken wahrnimmt, mit dem Hutter sich da gerade einlässt und die von Anfang an den Schrecken ahnt, auf den Hutter sich einlassen wird und sagt, geh nicht.
Johannes Franke: Ja, ja, ja.
Florian Bayer: Und wo wir wirklich großartige Montagen haben, wie sie schlafwandelt und parallel sehen wir, wie der Schatten Hutter bedroht und Ellen, die halt zum Fenster geht und zum Balkon geht und da wandelt. Und das sind wirklich gute Schnitte und da ist auch diese Dynamik drin, die über ein Stumpffilm aus der Zeit hinaus geht.
Johannes Franke: Und das ist dann vielleicht wieder Monau, oder? Der das schafft. Weil ich finde das wirklich, und der Film legt da gar nicht so wahnsinnig viel Wert drauf. Ich finde, der schüttelt das so aus dem Ärmel und sagt gar nicht so sehr, guck mal, guck mal, ich habe hier gerade einen genialen Schnitt gesetzt. Sondern das, so en passant passiert das. Und du denkst dir, wow, was für eine geile Welt macht der gerade auf. Der Nosferatu guckt da in die Richtung, während dann der Schnitt zu der Frau, zu ihm und so. Und der Schnitt eine Verbindung herstellt, die ich wahnsinnig kraftvoll finde.
Florian Bayer: Absolut.
Johannes Franke: Ganz beeindruckend.
Florian Bayer: Und das krasse ist ja auch dann diese Schnitte. Hutter ist bedroht, Ellen spürt es und wir schneiden hin und her und wir haben so eine krasse Dynamik und so eine wirklich großartige, spannende Montage, die auch diese Urgency hat, diese Dringlichkeit. Das haben wir auch später, wenn wir parallel geschnitten kriegen, wie Orlok und Hutter nach Deutschland zurückreisen und wie wir quasi diese Schnitte haben, als ob es ein Weltrennen wäre, wer kommt zuerst bei Ellen an.
Johannes Franke: Und das ist damals auch nicht selbstverständlich gewesen. Nein,
Florian Bayer: überhaupt nicht.
Johannes Franke: Das ist auch echt eine neue Art zu schneiden. So dynamisch und so sehr, wie du vorhin gesagt hast, wahnsinnig viele Einstellungen in diesem Film. Und wenn man sich andere Filme anschaut, die sind statischer und bleiben wesentlich länger auf irgendwas drauf und schneiden nicht so viel wahnsinnig hin und her. Das ist einfach damals noch nicht so gewesen.
Florian Bayer: Und damit haben wir natürlich dann auch, kommt jetzt ins Spiel die spannendste und leider... sehr unterrepräsentierte Figur in diesem Film, nämlich Ellen. Ja, total unterrepräsentiert. Die hat die ganze Zeit diese Naivität mit sich rumgekriegt. Ach ja, Stechmücken, ach ja, ja, ja. Sie ist so fröhlich in der Gegend rumgestolpert. Das ist so süß. Es passieren ihm ständig schreckliche Sachen und zwei Minuten später ist er so Das ist gut. Das schmiegelt sich in den Briefen wieder. Wie er sagt, ich hab da so komische zwei Dinger. Ach na ja, das ist bestimmt irgendeine Stechmücke gewesen. Aber es ist schon gruselig hier. Aber na ja. Und dann haben wir diesen geilen Gegenentwurf, nämlich Ellen, die angstgepeinigt ist von Anfang an, die ihn nicht gehen lassen will, die auch diesen krassen, starren Blick ganz viel hat, diesen angsterfüllten, angstgepeinigten Blick. Und wo wir die ganze Zeit sehen, ah, das ist so spannend, ich will mehr von ihr wissen. Vor allem, weil es wird ja, in diesem Film wird nie erzählt, wie die Verbindung von ihr zu Orlok ist und warum Orlok ausgerechnet sie jetzt so ausgesucht hat. Und warum sie weiß, also ja, wir wissen, warum sie es weiß, weil sie es gelesen hat, dass sie die ist, die sich für Orlok opfern muss. Aber diese Figur kriegt dann, so wenig sie zu sehen ist, dadurch eine krasse Stärke.
Johannes Franke: Sie kriegt eine eigene Agenda, die ja Frauen damals in Filmen nur ganz, ganz, ganz wenig hatten. Muss man sagen. Auch wenn die 20er zwischendurch so ein Aufbäumen von Freiheit waren und auch so LGBTQ-Rechte plötzlich, also gerade wenn wir an Berlin denken. In Berlin gab es in den 20ern ein richtiges, ein Mecca für LGBTQ-Community. Ja. Und bis dann die Nazis das alles kaputt gemacht haben wieder. Aber die Möglichkeit bestand. Wenn du auf der Welt irgendwo angeeckt bist als queerer Mensch, hast du gesagt, geh nach Berlin.
Florian Bayer: Ja. Du bist irre, geh nach Berlin. So ein bisschen in die Richtung wurde das gedrängt.
Johannes Franke: Aber es war großartig, was möglich war. Warum bin ich darauf gekommen? Keine Ahnung.
Florian Bayer: Weil es in diesem Film, es gibt diese Stärke in der Frauenrolle. Achso,
Johannes Franke: genau, genau. Und die gab es damals sonst eben einfach nicht. Und wer hatte damals schon eigene Agenda als Frauenfigur? Das gab es einfach so in der Form nicht. Das Problem ist bloß, dadurch, dass die neue Frau, wie man das damals nannte, irgendwie nach vorne gekommen ist und man aber auch gemerkt hat, dass man in dieser Gesellschaft noch nichts damit anzufangen wusste, was macht man denn mit einer Frau, die wirklich Macht über ihr Leben hat oder Macht über, in diesem Fall über die ganze Stadt.
Florian Bayer: Sie hat ja die Macht, die Stadt zu retten. Sie rettet die Stadt. und sie muss dann halt sterben. Ja, das ist es. Sie ist keine Heldin, sie ist das Opfer. Und zwar das Opfer im wahrsten Sinne des Wortes. Das Opfer, das sie selbst erbringt, aber letzten Endes ist sie halt die, die geopfert wird, die sich selbst opfert, um alle zu retten. Was halt stark ist, ist, dass wir in ihr die ganze Zeit diese Sehereigenschaften haben. Sie will nicht, dass so etwas geht. Sie liegt nachts wach, sie träumt und sie träumt, sie hat quasi im Traum Diese Vision von Hutta, der von Orlok angegriffen wird. Sie wandelt raus, sagt Hutta nein und so weiter. Und wir erfahren nicht warum. Sie hat auch so eine mystische Stärke, weil wir wissen nicht, was das ist. Hat sie The Shining? Hat sie ein drittes Auge? Was ist das, was sie dazu bringt, das zu sehen? Und vor allem diese Verbindung zu haben zu Dracula. Was Eggers dann ja in seinem Film versucht zu erklären. Wo Eggers versucht, drumherum eine Geschichte zu bauen, die das plausibel macht, dass sie das hat. Ich finde es sehr stark, dass es hier nicht erzählt wird, sondern dass wir mit diesem Mystizistischen alleingelassen werden.
Johannes Franke: Ja. Wobei ich sagen muss, das ist der Teil von Eggers Film, der mich nicht so weit stört wie andere Teile. Aber darüber können wir später reden.
Florian Bayer: Wir reden später über Eggers. Wir reden später über Herzog und wir reden später über Eggers. Muss sein. Kommen wir nicht drum herum. Auf jeden Fall ist diese Verbindung, die sie haben, von Anfang an stark. Sie ist sehr gut erzählt. Ja. Und gleichzeitig denkt man auch, ich will eigentlich mehr sehen von Alan. Ja.
Johannes Franke: Ich finde, muss ich jetzt mal einer dazwischen grätschen, wenn wir jetzt gerade dabei sind, die Geschichte so ein kleines bisschen zu erzählen. Hutter fährt ja dahin, dann ist er noch in diesem Dorf, was da irgendwie ihn warnt. Er findet dieses Buch, das er sehr dramatisch in die Ecke wirft. Nachdem er es gelesen hat, er liest es, es ist unglaublich gruselig. Und dann lacht er. Und das ist so einer der Momente, wo ich denke, naja. Ich weiß, in den 20ern wurde größer gespielt auch oft. Aber muss man das so doppel machen? Ich weiß nicht. Es ist natürlich auch Teil des Expressionismus, muss man dazu sagen. Das ist ein wichtiges stilistisches Mittel der Zeit, dass man auch so ein bisschen dieses Stand-in hat. Dass man gar nicht mal nur echte Charaktere hat, die mit echten Problemen oder so... Sondern du hast ein Stand-In. Du hast ein, wie sagt man dazu? Plot übernimm mal. Du hast meinen Gedanken im Kopf.
Florian Bayer: Dieser Film lebt einfach vom Overacting.
Johannes Franke: Nein, das stimmt nicht. Ich weiß nicht. Braucht man das? Alle overacten. Ja, alle overacten.
Florian Bayer: Und es ist gut. Ich finde, es passt einfach zur Atmosphäre. Und ja, natürlich ist das was anderes als Method Acting.
Johannes Franke: Aber ich will auch mit einem Vorurteil aufräumen. Nicht alle Filme in den 20ern haben das gemacht. Das stimmt ja nicht. Nein,
Florian Bayer: haben sie nicht. Nein, nein, aber dieser Film hat das gemacht. Dieser Film macht das richtig. Ich bin bei ihm, muss ich sagen, bin ich mir nicht ganz sicher.
Johannes Franke: Ich finde Graf Orlok großartig, weil der kann ja, wie der da guckt, allein der Blick, wie er das durchhält. Da fällt dieses Amulett runter mit dem Foto von der Frau und er ist so konzentriert auf dieses Ding. Da kann eine Bombe hinter ihm explodieren und er guckt auf dieses Ding. Er hat so einen krassen Blick, das ist unglaublich.
Florian Bayer: Und warum wird Hutter immer noch nicht misstrauisch, wenn Orlok sagt, Oh, einen schönen Hals hat eure Frau. Ich kaufe das Haus, das direkt gegenüber von eurem Haus ist. Das eine hat nichts mit dem anderen zu tun. Nein,
Johannes Franke: nein, nein.
Florian Bayer: Lass mich unterschreiben. Oh, schöner Hals. Moment, ich muss nur kurz meine Unterschrift machen. Blut. Oh Mann, wie er auch reagiert auf das Blut. Das ist so geil. Ich finde es großartig. Es ist fantastisch. Ja, das kommt vielleicht dazu. Darauf muss man sich, glaube ich, auch einlassen. Es gibt in diesem Film Szenen, die auch einfach sauwitzig sind. Total, absolut. Wenn er bei Orlok zum ersten Mal zum Abendessen sitzt und dann haben wir diese Gruseluhr mit dem Skelett drauf. Ja, ja, ja, genau. Okay, Spuk-Meme jetzt. Wie toll.
Johannes Franke: Und ich glaube, diese Uhr stand seitdem in so vielen Horrorfilmen, also auch so Gruselfilmen aus den Hammerfilmen und 80er-Jahre-Filmen und so. Richtig schön trashig noch.
Florian Bayer: Ach, wie toll.
Johannes Franke: Oh mein Gott, Plur. Was ist das für eine Musik? Was war das? Wo sind wir? Oh mein Gott, ich glaube... Oh nein, wir sind in einer Self-Promo.
Florian Bayer: Nein, shit. Ganz schnell, damit wir zurückfinden.
Johannes Franke: Ihr da draußen, es gibt wahnsinnig viele Wege, wie ihr uns unterstützen könnt. Und wir brauchen Unterstützung, glaubt uns.
Florian Bayer: Wenn ihr uns ein bisschen Trinkgeld dalassen wollt, macht das doch bitte über buymeacoffee.com. Den Link findet ihr auch in der Episodenbeschreibung.
Johannes Franke: Dann könnt ihr uns gerne ein paar Euro geben. Gerne auch gleich monatlich einstellen, nicht wahr? Denn Kosten haben wir genug.
Florian Bayer: Wenn ihr uns mit Geld zwingen wollt, einen bestimmten Film zu besprechen, Ist das eure Chance? Das könnt ihr nämlich über dieses Formular auch machen.
Johannes Franke: Oder ihr schickt uns einfach so einen Filmvorschlag, ohne Geld. Und Feedback gerne an johannes.mussmansehen.de und florian.mussmansehen.de.
Florian Bayer: Außerdem freuen wir uns natürlich über jedes Abonnement, egal ob bei Spotify, Apple Podcast, Deezer, Amazon Music,
Johannes Franke: whatever. Was uns total helfen würde, ist, wenn ihr uns so 5 Sterne oder Herzchen oder sonst irgendwas, was auch immer euer Podcatcher anbietet, gebt. Und am besten auch noch gleich eine Review dazu schreiben.
Florian Bayer: Ah, super. Fehlt noch irgendwas?
Johannes Franke: Nee, ich glaube, wir haben alles, wa?
Florian Bayer: Okay, dann ganz schnell zurück in die Episode.
Johannes Franke: Yes.
Florian Bayer: Hyänen. Warum fucking Hyänen?
Johannes Franke: Ja, weil sie den Werwolf-Vorstellungen am ehesten kommen. Ich habe keine Ahnung.
Florian Bayer: Haben sie gedacht, sie reden ja, ihr müsst aufpassen, der Wolf zieht umher. Werwolf. Aber gehen sie davon aus, dass ihr Publikum nicht weiß, wie ein Wolf aussieht und deswegen packen sie eine Hyäne dahin?
Johannes Franke: Ich glaube, Werwölfe sollen anders sein als der normale Wolf. Und deswegen nehmen sie ein mystisches Wesen, von dem man in den 20ern in Deutschland nicht viel weiß.
Florian Bayer: Ich habe die Zähne gesehen und dachte, oh jetzt kommt gleich der gruselige Wolf um die armen kleinen Hyänen zu reißen, weil die sehen wirklich süß aus.
Johannes Franke: Sieht ja ein bisschen schon. Nein, aber der erschreckt auch das Pferd oder sowas. Wie war das? Ich weiß es schon gar nicht.
Florian Bayer: Die Jagen werden dann weg.
Johannes Franke: Ja.
Florian Bayer: Aber die Hyänen wirken nicht gruselig, die wirken niedlich. Ich will so eine Hyäne auf meinen Fuß haben.
Johannes Franke: Also es gibt ganz viele Szenen, die so entweder unfreiwillig komisch oder vielleicht auch absichtlich komisch. sind. Ich kann aber nicht mehr auseinanderhalten, was was ist.
Florian Bayer: Ich glaube, dieser Film hat relativ wenig absichtlichen Humor im Gepäck.
Johannes Franke: Doch, ich glaube schon. Ich glaube, er hat Kommentare auf die Gesellschaft von damals, die wir nicht verstehen.
Florian Bayer: Wenn du dir anschaust, was für eine deprimierende, düstere und lethargische Atmosphäre dieser Film die ganze Zeit mitschleppt. Was für ein krasses Gefühl von Ohnmacht. Und vor allem, das packt er ja auch in die Peripherie, an seine einfachen Bilder. Einfach, dass wir so ein Bild haben von Ellen, wie sie am Strand sitzt und dann haben wir diese ganzen Kreuze da stehen.
Johannes Franke: Ja, das stimmt. Das ist schon hart.
Florian Bayer: Das macht ja eine Atmosphäre, wo Humor relativ wenig Platz hat.
Johannes Franke: Das stimmt, ja.
Florian Bayer: Also Hutter ist komisch. Hutter, wenn er sein Buch liest und so. Aber wir haben so viele Szenen, wo ich denke, wow, das ist einfach nur deprimierend. Und vor allem nach der Erfahrung vom Ersten Weltkrieg, wo die Menschen alle sehr viele Kreuze überall gesehen haben von gefallenen Soldaten.
Johannes Franke: Stimmt.
Florian Bayer: Und dann sehen sie dieses Strand-Szenario von gestorbenen Seemännern, die hier halt nochmal ihre... die hier nochmal gewürdigt werden, das ist einfach, das wirkt. Und das macht nicht, da hat Humor keinen Platz. Aber wer hat damals nicht losgelacht, als Orlok das erste Mal mit der Zeitung am Frühstückstisch quasi sitzt und da so rein starrt und es ist so, wie er guckt.
Johannes Franke: Egal, okay, also, weiter.
Florian Bayer: Orlok war einfach unheimlich damals.
Johannes Franke: Ich finde auch, dass man an vielen ikonischen Szenen durchaus sieht, warum. Warum das so berühmt geworden ist, warum der so gruselig war und warum das so... so ein erfolgreiches Ding war, weil sie haben mit der Kamera absolut Hut ab so ikonische Bilder geschaffen.
Florian Bayer: Absolut.
Johannes Franke: Allein aus dem Schiff unten raus, nach oben.
Florian Bayer: So geil, was für eine krasse Perspektive. Was für eine POV von einem Toten quasi, der seinen Henker ein letztes Mal über sich schreiten sieht.
Johannes Franke: Wahnsinn. Total krass. Also das ist wirklich krass, das hat er wirklich drauf.
Florian Bayer: Ja.
Johannes Franke: Was ich nicht verstehe ist, warum Orlok sich selbst als sein eigener Diener verkleidet.
Florian Bayer: Ja, Ollock. Weil er keine Diener hat, ne? Ja, aber... Er sagt, und meine Diener sind alle schon schlafen. Das wird die ganze Zeit von Dienern geredet. Und das ist auch Teil des Romans, dass dann irgendwann Harker sagt, okay, das redet die ganze Zeit von Dienern, aber wir sind einfach mal allein in diesem Schloss. Es kriegt halt eine sehr, sehr merkwürdige Komik, wenn wir dann Orlok seinen eigenen Sarg schleppen sehen. Ey, Junge, du lebst so lange schon. Kannst du dir nicht irgendjemanden leisten, der das für dich übernimmt? Das ist wirklich erbärmlich. Das ist so würdelos. Man macht die ganze Figur kaputt in dem Moment. Er stolpert auch mit diesem Sarg in die Stadt rein. Ach, scheiße. Jetzt muss ich das Ding auch noch mit mir rumt. Klonk, klonk.
Johannes Franke: Und seine Nägel, die immer länger werden, die quetschen sich so an dem Sarg ran. Und man denkt so, oh Gott, oh Gott, oh Gott, der Arme.
Florian Bayer: Aber dieses Grundprinzip, dass er allein ist, was ja auch anders ist als im Buch und auch in anderen Verfilmungen, haben wir ja diese Frauenfiguren. Da lebt Dracula, lebt einfach zusammen mit Frauen auf diesem Schloss, die auch Vampire sind, die er zu Vampiren gemacht hat und die dann Harker versuchen zu verführen. Das haben wir ja alles nicht. Wir haben hier pure Einsamkeit. Und das ist großartig, weil das wirklich krass abweicht von diesem Romantischen von Stoker. Es gibt ja einfach nur Einsamkeit und Traurigkeit.
Johannes Franke: Ja, also es ist einfach... Eine Kraft, die dadurch entwickelt, das Ganze. Also,
Florian Bayer: Orlok ist sehr angetan von Hutters Frau. Orlok kauft das Haus. Und jetzt ist der Moment, wo Hutter misstrauisch wird, weil er noch mal was von Blutsaugen gelesen hat und denkt, jetzt will ich vielleicht doch noch mal gucken. Und macht sich auf die Suche nach was auch immer. Er will irgendwas sehen. Und dann ist dieser Moment, wo er Orlok im Sarg sieht.
Johannes Franke: Sehr gruseliges, gutes Bild, muss man sagen. Fantastisches. Fantastisches Bild.
Florian Bayer: Das Krasse ist ja, dass diese Burg auch ... die ganze Zeit diese krasse Verlorenheit hat. Es wirkt ja nicht wie ein belebtes Gebäude, sondern es wirkt eigentlich schon wie eine Ruine. Nichts, wo man leben möchte. Nichts, wo irgendwas von Leben stattfindet. Und es ist nichts als kalter Stein. Und dann sieht er diese Leiche und er weiß, okay, warum auch immer jetzt plötzlich, oh nein, Ellen, Ellen und
Johannes Franke: Pete. Aber er ist ja erst mal eingesperrt. Und Orlok macht sich schön bereit und schleppt da seine ... seine Sammlung an antiken Särgen in der Gegend rum und stellt die da auf die Kutsche und dann fährt er los.
Florian Bayer: Was für geile Bilder, wenn die Särge dann auf den Flossen ins Tal geführt werden. Das ist so ein geiles Bild. Was für krasse realistische Bilder.
Johannes Franke: Super gute Bilder, ja, muss man echt sagen. Also ich habe mich ganz wenig gegruselt in dem Film, aber ich war so begeistert von den Bildern, muss ich sagen. Das ist schon toll.
Florian Bayer: Ja, definitiv beeindruckend. Und dann schafft es Hutter zu fliehen und wir haben noch gar nichts groß zu der Struktur. Struktur von dem Film gesagt, der in fünf Akte unterteilt ist. Wir haben die ersten zwei Akte hinter uns gebracht.
Johannes Franke: Es ist halt auch eine Symphonie, muss man sagen.
Florian Bayer: Es ist eine Symphonie des Grauens. Und die ersten zwei Akte haben wir hinter uns gebracht damit, mit dieser quasi ersten Hälfte des Films. Und das ist ganz spannend, das ist später dann, wenn wir wirklich zu dem Moment kommen, wo Dracula bzw. Orlok ankommt in Deutschland. In Wissborg, wie Wismar in diesem Film genannt wird. Und wir stellen fest, wir haben gar nicht mehr so viel Film vor uns.
Johannes Franke: Naja, er kann auch Angst und Schrecken und Ratten verbreiten.
Florian Bayer: Oh, die Ratten übrigens auch ein sehr schönes Bild. Und natürlich die Angst vor der Pest und die Angst vor der Krankheit. Und du hast vorhin schon erwähnt, dass es natürlich die spanische Grippe war, auf die sich da auch bezogen wird, auf die Erfahrungen von Krankheit während des Krieges.
Johannes Franke: Ja, ja, ja. Und das ist wirklich nicht lange her. Das ist ein paar Jahre, zwei, drei Jahre.
Florian Bayer: Und Ratten. Ratten sind einfach mal Krankheitsüberträger. Und gerade in dieser Zeit haben die Leute auch Angst vor Ratten. Vollkommen zu Recht. Weil Ratten bringen den Tod mit. Und dann haben wir sehr viele Bilder von diesen Ratten, die halt einfach mitgeschleppt werden von Graf Orlok. Übrigens interessant, bringt Orlok den Tod nach Wissburg? Oder ist es wirklich einfach nur, dass er Ratten dabei hat? Die Ratten verbreiten die Pest, die Menschen sterben. Es wird nicht erzählt. Es wird nicht erzählt. Und natürlich haben wir die Geschichte von Ellen, die ganz... Fest davon aus geht, der Tod hört auf. wenn sie Orlok tötet. Aber 100% wird's in dem Moment auf jeden Fall nicht erklärt. Ich glaube, am Schluss wird ziemlich deutlich gemacht, dass der Tod damit vorbei ist, dass sie die Menschen gerettet hat und so weiter. Aber in diesem Setup könnte es auch einfach sein, dass es wirklich nicht der Tod ist, den Orlok nach Visbog bringt, sondern dass das alles einfach ist, weil er fucking Ratten dabei hat und weil das verwest ist und weil da Tod und Pestilenz mit drin hängen.
Johannes Franke: Ja, aber wir sind in einem mystischen Film. Wir können das nicht naturwissenschaftlich auseinandernehmen. Das funktioniert so nicht, glaube ich. Also wir können dann sagen, ja, aber die Ratten haben halt und so, aber nein, er bringt einfach unweigerlich und er kann nichts dagegen tun, glaube ich, einfach, weil er diese Manifestation des Todes im Grunde ist. Und wenn er es nicht sein will, Pech gehabt, er ist einfach derjenige, der den Tod mit sich rumschleppt.
Florian Bayer: Zumindest auf dem Schiff ist er ja ganz eindeutig auch der, der für die Tode verantwortlich ist. Ja, genau. Und aber auch hier zum einen haben wir Menschen, die durch Krankheit sterben, das sehen wir. Wir sehen keinen direkt. Eckenmord von ihm, ne?
Johannes Franke: Nein, nein, nein. Aber das wäre auch, ich glaube, das macht ja viel von dem Grauen aus, dass du einfach den Täter nicht siehst. Siehst nicht, wie es passiert. Sondern die Leute sind einfach plötzlich scheiße tot und krank und was auch immer.
Florian Bayer: Naja, es ist ein bisschen auch so, die Menschen werden von der Kamera ermordet. Wir haben diese angsterfüllten Blicke und die Kamera zeigt auf sie. Und die Menschen werden durch den Text ermordet, der dann sagt, das Todesschiff hat einen neuen Kapitän.
Johannes Franke: Oh, was für ein krasser Satz. Oh,
Florian Bayer: das ist ein toller Satz, oder?
Johannes Franke: Wirklich.
Florian Bayer: Und dann haben wir tatsächlich schon die Hälfte des Films vor uns und wir haben das Wettrennen zwischen Orlok und Hutter, die beide quasi gleichzeitig in Wissbock ankommen. Wir haben die Nebenhandlung von Gnock, der in seiner Zelle sitzt und sagt, der Meister kommt, der Meister kommt.
Johannes Franke: Ja. Gibt es einen Grund dafür, dass er auf dem Schiff sein muss? Weil der Seeweg viel, viel länger ist. Wir sind von Transsilvanien über die Dardanellen. nach oben in die Ostsee oder die Nordsee, um da irgendwie nach Wissburg zu kommen, was im Norden von Deutschland sein soll. Das ist ja völlig absurd.
Florian Bayer: Ja, was für ein krasser Weg. Ich glaube, die einfache Erklärung ist, auf dem Schiff ist es halt einfach deutlich leichter, vorm Sonnenlicht geschützt zu sein.
Johannes Franke: Okay.
Florian Bayer: Weil du bist unter Deck und bist da einfach im besten Fall gut geschützt und hast irgendwie du kommst, eine Kutsche kann umfallen und dann Ja. Und im Schiff bist du deutlich sicherer. Da hast du einfach viel Schiffsbauch um dich herum und musst wirklich nur raus, wenn es dunkel ist. Das wäre meine Erklärung, mit der ich auch zufrieden bin. Aber natürlich, er ist viel länger unterwegs.
Johannes Franke: Aber es schafft uns auch, muss man sagen, einfach grandiose Bilder mit dem Schiff und dem riesigen Wasser drumrum und so. Werner Herzog macht das dann auch noch mal sehr gut, finde ich.
Florian Bayer: Und was wirklich interessant ist, Hutter gewinnt das Wettrennen. Hutter ist zuerst da. Hutter kommt bei Ellen an.
Johannes Franke: Ja, er hat es geschafft. Nachdem er sich nochmal hätte pflegen lassen von irgendwelchen einheimischen Nonnen, die ihm sagen, um Gottes Willen,
Florian Bayer: du kannst noch nicht gehen, du bist doch noch nicht geschuldet.
Johannes Franke: Und er muss da hin und er schafft es. Aber er kann ja nichts ausrichten. Er ist ja, also wie alle anderen Männer in diesem Film quasi kastriert. Also vollkommen,
Florian Bayer: das ist das Schlimmste, als wir diese Pest sehen. Und wir nehmen diese Folge im Jahr 2025 auf, Corona ist noch nicht so lange her und wir haben hier Menschen, die die Türen verschließen und die Fenster zumachen und die Läden und wir haben einen Boten, der draußen steht. Und sagt, Pestgefahr, geht nach Hause.
Johannes Franke: Die haben es damals schon fucking geschafft, Social Distancing zu betreiben. Was ist los mit euch im Jahr 2023 gewesen, dass so viele Leute gesagt haben, wie jetzt? Distancing, was soll das denn bringen?
Florian Bayer: Leute, was stimmt nicht mit euch? Und ich liebe Pestästhetik. Also ich liebe tatsächlich alles, was damit zusammenhängt. Diese Isolierung und dann die Häuser, die mit Kreuzen markiert werden. Und diese pure Angst vorm Sterben. Ich finde, das ist einfach ein großartiges ... Horror-Szenario, aber vielleicht ist es auch ein bisschen too soon nach Corona darüber schon so zu reden. Es ist auch, ich weiß nicht, hast du irgendein Kindheitstrauma oder sowas, was dir dieses Bild so... Nee, unser Kindheitstrauma ist ja eher, wir sind ja so die 80er-Generation, ist ja eher Chernobyl, die Angst vor dem Gau.
Johannes Franke: Stimmt.
Florian Bayer: Vor dem plötzlichen Tod, der durch eine Explosion oder wie auch immer entsteht.
Johannes Franke: Hast du das so wahrgenommen, weil ich war zu jung, um das wirklich wahrzunehmen.
Florian Bayer: Ich glaub... Also ich kann mich noch gut daran erinnern, auch so an dieses Ding so, ah und jetzt sammeln wir keine Pilze und da muss man genau darauf achten, was man isst. Und natürlich auch so ein bisschen abstrakt, weil ich es nicht so 100 Prozent verstanden habe, aber ich glaube die Generation, die irgendwie so ums Jahr 2015 geboren wurde jetzt, für die wird Corona ein ähnliches Schlüsselerlebnis sein, was Ängste betrifft.
Johannes Franke: Ja, das kann sein.
Florian Bayer: Das war halt auch das Schlüsselerlebnis für die Leute, die irgendwie als Kinder in den Ersten Weltkrieg reingeraten sind. Für die war das das Schlüsselerlebnis. Krieg und Pestilenz.
Johannes Franke: Ja.
Florian Bayer: Und das beeinflusst natürlich die Art, wie Horror rezipiert wird oder was als unheimlich wahrgenommen wird. Übrigens, Hutter ist wieder in seiner Naivitätsphase. Das ist immer wieder im Film. Wenn Ellen nämlich dann zu ihm sagt, ich sehe es jeden Abend, der Schrecken, dann ist Hutter wieder so, ja, ja, alles gut. Man macht immer keine Sorgen. Es traut ja auch keiner was zu, aber das ist auch zeitimmanent. Aber Ellen liest. Genau.
Johannes Franke: Ellen liest dieses Buch, was er anscheinend mitgenommen hat, oder? Das ist aus diesem Gasthaus.
Florian Bayer: Es ist dieses Buch, genau. Er hat es aus dem Gasthaus mitgenommen, er hat es im Schloss gelesen, er hat es unterwegs gelesen, er hat es zehnmal gelesen und die ganze Zeit gedacht, oh ja, oh ja, oh ja, oh ja. Nette Geschichten. Kleine Schauermädchen. Und dann liest Ellen, dass nur eine Frau reinen Herzens, ist das eine Jungfrau einfach, ist das eine Unberührte, den Vampir aufhalten kann, wenn sie ihn trinken lässt und er bei den Hahnen schreien nicht hört. Ja. Dass er den Hahnenschrei vergessen macht. Sprich ... Leg ihn so flach, dass er an nichts anderes mehr denken kann.
Johannes Franke: Tja, ich weiß nicht, ob ich das kaufe. In diesem Film schon, in anderen Verfilmungen nicht. Aber darüber reden wir in den anderen Verfilmungen.
Florian Bayer: Ja, wir haben hier natürlich, also in Framestockers Dracula und auch in diesem Film wurden diese ganzen Ideen gesetzt, die zum Vampir-Klischee wurden. Haben wir hier in diesem Film nicht, aber Knoblauch zum Beispiel. Knoblauch ist ein Ding, das geht auf Framestocker zurück. Framestockers Dracula, Knoblauch wird aufgegangen, um den Vampir abzuhalten. Und das Sonnenlicht.
Johannes Franke: Aber das Sonnenlicht gibt es nicht bei Dracula in der Form als Todesurteil, sondern nur als Schwächung, oder?
Florian Bayer: Gibt es auch als Todesurteil. Ist sehr unterschiedlich. Ich bin immer ein großer Freund davon, wenn sie sagen, das ist es nicht. Aber zum Beispiel, wenn du an ein Interview mit einem Vampir denkst, da ist das Sonnenlicht sehr tödlich. Da wird nämlich irgendwann die sehr junge Kirsten Dunst zu Stein, weil sie von Sonnenlicht getroffen wird. Weiß ich gar nicht. Und der sehr alte Brad Pitt erzählt dann irgendwann, und dann wurde Anfang des 20. Jahrhunderts, kam das Kino raus und ich konnte endlich wieder den Sonnenaufgang sehen. Und dann sehen wir ihn im Kino sitzen, auf der Leinwand den Sonnenaufgang sehen und einfach weinen, weil er das so toll findet, weil er das seit Jahrhunderten nicht mehr gesehen hat.
Johannes Franke: Fuck, müssen wir diesen Film mal gucken?
Florian Bayer: Ja, der war gut. Der war gut.
Johannes Franke: Okay. Ich weiß es einfach nicht mehr. Es ist einfach zu lange her. Krass. Okay, ja, und dann darf sie, die Heldin, aber auch eigentlich das Opfer sein und muss da irgendwie sterben dafür, dass Orlok vergisst, dass es Licht gibt.
Florian Bayer: Und wir haben, was Bildkomposition betrifft, was Schnitt betrifft, was das Spiel mit Licht und Schatten betrifft, eine der besten. Szenen der Horrorfilmgeschichte.
Johannes Franke: Es ist so toll. Von dem Moment,
Florian Bayer: wo Orlok sie durchs Fenster beobachtet, wie sein Schatten die Treppen hochgeht, wie sein Schatten zu ihr kommt, wie seine Schattenhand ihre Brust greift, um ihr Herz zu zerquetschen. Es ist unglaublich.
Johannes Franke: Also das ist wirklich der Teil, wo man sagt, okay, hier ist jede Berühmtheit rechtfertigt. Jeder Film, der sich daran bedient, absolut zu Recht. Wie sie das mit dem Licht dann machen, wenn er da an ihrem Hals hockt, was auch ein ganz tolles Bild ist im Hintergrund, wie die gemalte Stadt mehr und mehr Licht bekommt. Wo ich denke, wow, wir sind 1922, wie geil ist das denn? Was für eine gute Idee und was für eine gute Umsetzung. Wie das Licht langsam auf die Stadt scheint und das Ganze erhellt und er dann denkt, huch,
Florian Bayer: okay, war das jetzt? Ich dachte, ich hätte noch Zeit. Man muss dazu sagen, Orlok in diesem Film ist auch ein bisschen ein Depp.
Johannes Franke: Ja, ja, aber nicht ganz so schlimm wie in den anderen Filmen, muss ich sagen. Aber egal.
Florian Bayer: Was haben wir hier? Ist das eine Vergewaltigung? Lässt sie sich vergewaltigen, um das Dorf zu retten?
Johannes Franke: Ja, ich meine, natürlich liegen wir in einer Zeit, wo das alles immer als Stand-In für Sex ist, oder?
Florian Bayer: Ja, aber das ist der Unterschied zu dem, zu... Dem Dracula-Mythos, wie er sonst erzählt wird, hier ist es keine Verführung, sondern hier ist es eher ein Gewaltakt.
Johannes Franke: Ja, ja, ja, auf jeden Fall.
Florian Bayer: Und das ist bei Dracula sonst anders, bis zu dem Punkt, wo bei Francis Ford Coppola, bei dem Dracula Anfang der 90er Jahre, wirklich eine echte, authentische Liebe zwischen Dracula und Minna stattfindet. Und Dracula sogar in dem Moment zu Minna sagt, wenn er kurz davor ist, sie zu beißen, ich kann es nicht tun, ich liebe dich zu sehr und Minna mit ihm zusammen sein will. Es ist immer eine Geschichte der Verführung. Und das ist, glaube ich, ein ganz wichtiger Unterschied vom Nosferatu-Mythos, dass es keine Geschichte der Verführung ist, weil unser Orlok ist kein charmanter Vampir, unser Orlok ist kein verführerischer Vampir, kein sexy Vampir, sondern er ist der Lüstling, der Vergewaltiger.
Johannes Franke: Ja, absolut. Und einer, der auch so determined ist, also wirklich sein Blick ist ja wirklich, wirklich krass. Wenn der sich einmal was in den Kopf gesetzt hat, dann geht das los. Dann ist das aber nicht wie bei Eggers der Gewaltvolle. sondern derjenige, der einfach einmal geradeaus geht und alle anderen müssen nach und nach ausweichen. Aber nicht, weil er so körperlich so stark wäre oder weil er sich den Weg freikämpft oder sonst irgendwas, sondern einfach, weil er die von Natur aus es schafft, dass alles so passiert, wie er es braucht.
Florian Bayer: Und dann haben wir parallel die anderen männlichen Figuren. Und das ist total krass, weil in der Originalgeschichte Jonathan Harker und ... Von Helsing. Die jagen zusammen Dracula. Die töten die Vampire. Die schaffen es. Und hier nichts. Hutta läuft los, um diesen einen Professor zu holen. Aber wenn die ankommen, ist schon alles vorbei. Es ist auch wirklich krass, wie dieses Schlussdrittel, das, was bei Dracula ein Schlussdrittel ist, hier die letzten fünf Minuten sind. Und es ist wirklich so, es ist bis auf die Knochen ausgezogen.
Johannes Franke: Es ist ja noch schlimmer. Sie jagen ja erst mal Knock. Warum wird Knok gejagt? Weil sie glauben, dass er der Vampir ist.
Florian Bayer: Aber warum glaubt überhaupt jemand, dass da ein Vampir ist? Weil es ist ja eine aufgewühlte Meute, Knok. Knok wird ja quasi von allen aus Wissburg gejagt.
Johannes Franke: Ja, ja, total.
Florian Bayer: Und schmeißt dann mit Kacka vom Dach auf sie oder wie auch immer. Es wird nicht so genau erklärt, weil es wird einfach nur gesagt, die Leute brauchen jemanden, den sie verantwortlich machen können. Knok war da.
Johannes Franke: Ja, und ich glaube, das ist natürlich der Kommentar auch so ein bisschen, dieses Sündenbock-Prinzip.
Florian Bayer: Ja.
Johannes Franke: Das einfach auch damals... sehr stark in Lündjustiz umgeschlagen ist. Was man einfach kennt. Was man dann ein paar Jahre später in Nazi-Deutschland einfach auch volle Kanne hatte.
Florian Bayer: Aber und so gruselig ja, dass der Film erzählt, dass die Leute ja recht haben, weil Knock ist ja wirklich mitverantwortlich für die ganze Scheiße, die da passiert. Sie jagen ja den richtigen.
Johannes Franke: Knock ist nicht verantwortlich.
Florian Bayer: Knock ist der Diener von Orlok. Hat der irgendwas gemacht, was geholfen hat? Ja, natürlich. Er hat Hutter nach Transsilvanien geschickt. Ja, das ist das Einzige. Das ist das Einzige. Nein, Gnocchi ist der Diener von
Johannes Franke: Orlok. Der sitzt doch die ganze Zeit im Keller und sagt... Ja komm, ja komm, ja komm. Und das war's.
Florian Bayer: Ja, er hat keine Zeit, die Särge zu schleppen, das stimmt. Also Orlok ist bestimmt auch echt nicht zufrieden mit seiner Performance. Nein, nein. Das wird ja kein gutes Personalgespräch. Nein. Aber Gnock ist der Diener von Dracula. Und Gnock wird als Sündenbock gesehen und gleichzeitig als Mitverantwortlichen ausgemacht. Zu Recht. Und wird dann gejagt und gestellt, während Dracula von Ellen fertig gemacht wird. Beziehungsweise sich selbst fertig macht. Ich sag zu oft Dracula. Es ist nicht Dracula, es ist Orlok.
Johannes Franke: Aber es ist toll, dass die männliche Meute den Falschen jagt. Ja. Das finde ich schon mal auch wirklich eine gute Entscheidung.
Florian Bayer: Und das, jetzt muss ich einmal den Namen schauen, der Van Helsing des Films Bulwer. Bulwer. Dass Bulwer und Hutter einfach zu spät kommen. Das ist vollkommen egal. Ellen hat den Job getan, hat sich geopfert und Bulwer und Hutter hätten auch einfach nicht stattfinden können. Das wäre vollkommen egal gewesen.
Johannes Franke: Wobei man sich am Ende noch so ein bisschen fragt, stirbt sie jetzt wirklich oder so oder nicht? oder weil da das Bild so ist, dass sie hinten im Bett liegt. Während vorne der Typ, Bulwer oder wer auch immer, steht dann da. Und da gibt es eine relativ lange Einstellung. Und man sich dann fragt, ist sie denn jetzt wirklich tot? Oder steht sie dann jetzt demnächst auf und sagt, ich fühle mich ein bisschen schwach, aber ansonsten geht es.
Florian Bayer: Nein, sie hat sich geopfert. Nur das Opfer von ihr kann es aufhalten. Ich finde, das ist ziemlich eindeutig. Ja, ja. Und das ist krass, weil diese Figuren hatten keine Möglichkeit zu handeln. Und dieser Schluss, dieses, die ganz, die. der ganze Block der Geschichte, das ist im Prinzip der fünfte Akt, das ist der letzte Akt. Dracula ist in Wisborg. Der nimmt vom Film zehn Minuten ein ungefähr. Und es gibt keine handelnden Figuren mehr außer Orlok. Also keine irgendwie vernünftig handelnden Figuren, die irgendwas gelöst kriegen. Und die einzige Handlung, die stattfindet, ist Orlok geht zu Ellen, saugt sie aus und stirbt, weil das Sonnenlicht kommt. Das war's. Und das ist schon krass wie hier. Wie nur noch dieses Gerüst stehen bleibt von der großen Vampirjäger-Geschichte, die wir im letzten Drittel von Bram Stokkers Dracula haben.
Johannes Franke: Ja.
Florian Bayer: Ich find's gut, ich find's richtig.
Johannes Franke: Ich find's auch total gut und total richtig. Um auf die Meta-Ebene zu gehen, sagt Monau damit, beziehungsweise unser genialer Grau, dass man den Schrecken nur los wird, wenn man ihn ans Licht zerrt. Ist das das? Also bei Bram Stoker ist es nicht so. Es ist nicht so, dass das die Lösung ist, dass wir jemanden ans Licht und der stirbt dann.
Florian Bayer: Bei Prime Stoker werden Pfale ins Herz gejagt. Ja,
Johannes Franke: eine andere Nummer.
Florian Bayer: Ich glaube, die Aussage ist vor allem, wir sind komplett ohnmächtig. Wir haben keine Chance. Wir verlieren, wir sterben. Es gibt keinen Handlungsmoment da drin. Wenn sowas Gewaltiges auf uns zurollt, wie ein Krieg, wie eine Seuche, dann sind unsere Hände gebunden. Und wir können nur zuschauen und hoffen. Das war's. und diese Diese Art der Lethargie und der Hilflosigkeit. Ich glaube, das ist ganz stark in der Wahrnehmung der Menschen Anfang des 20. Jahrhunderts verknüpft.
Johannes Franke: Ja, total.
Florian Bayer: Und das wird hier auf den Punkt gebracht.
Johannes Franke: Aber es gibt eine Lösung am Ende.
Florian Bayer: Das Opfer.
Johannes Franke: Das Opfer.
Florian Bayer: Es ist schon fast eine christliche Botschaft, dass die Jungfrau sich opfert.
Johannes Franke: Oh ja, fuck, fuck.
Florian Bayer: Bis zum Sonnenlicht.
Johannes Franke: Ja, bis das Licht Gottes kommt. Ach du Scheiße, nein, nein.
Florian Bayer: Wir haben ja, also, ich meine, ja, Grau waren, oh. Kultist, aber wir haben ja ganz viel christliche Symbolik in diesem Film. Wir sehen sehr viele Kreuze in diesem Film. Und diese Betonung von Reinheit und von Unschuld in Bezug auf Ellen, die wird ja mehr als einmal getroffen.
Johannes Franke: Die Premiere des Films übrigens war ein absolutes Desaster, weil sie darauf bestanden haben, ich sage das Datum nochmal, 4. März 1922, den Marmorsaal des Berliner Zoos zu mieten. Und zu sagen, wir machen ein Fest des Nosferatu. Alle Gäste sollen in Biedermeier-Kostümen erscheinen. Wer nicht in Biedermeier kommt, wird rausgeworfen. Und es war super schlecht organisiert. Es gab ein langweiliges Bühnenstück als Rahmenprogramm. Und es gab eine Orchester-Aufführung, die ganz schlecht geprobt war. Und es war ein absolutes Desaster. Und das Event ist ein kleines bisschen mit dafür verantwortlich, dass der Film nicht gut rezipiert wurde, weil er nicht die Leute überzeugen konnte, die dann den Verleih oder zumindest das Weiterempfehlen oder zumindest das große Spektakel in die Welt hinaustragen und sagen, boah, das ist geil, guckt euch den Film an, wir waren auf dieser tollen Veranstaltung. Das hat überhaupt nicht funktioniert. Und zwar im Gegenteil, die Leute haben gesagt, Alter, das war ja wohl ein absoluter Reinfall. Und dann sind weniger Leute ins Kino gegangen. Und das war traurig.
Florian Bayer: Die UFA hat gesagt, wir nehmen den Film gar nicht erst in unser Programm auf. Ja.
Johannes Franke: Und vielleicht auch wegen dieser Veranstaltung.
Florian Bayer: Die Prana war, wir sind wirklich kurz nach Veröffentlichung des Films, wir sind im Frühling 1922. Das war der Moment, wo klar war, die haben zu viel Geld ausgegeben. Für die Promotion, für den Dreh, für alles.
Johannes Franke: Die haben für die Promotion fast mehr ausgegeben als für den Film. Der hat wirklich wahnsinnig viel Werbematerialien sich überlegt und gemacht. Und da kann man fast ein bisschen dankbar sein, dass Florence Stoker gekommen ist. Und mit dem Finger drauf gezeigt hat, ne? Und gesagt hat, das ist was... Da lohnt es sich hinzugucken, obwohl sie das natürlich nicht wollte. Das ist so ein bisschen der, wie nennt man das?
Florian Bayer: Streisand.
Johannes Franke: Barbara Streisand, der Streisand-Effekt.
Florian Bayer: Ja.
Johannes Franke: Die sich ja damals beschwert hat und gesagt hat, das muss man verbieten. Und dann wurde es umso bekannter.
Florian Bayer: Ja. Und dann aber halt nicht so, dass die Prana noch irgendwie davon profitiert hätte. Weil der Film dann halt irgendwie in quasi Raubkopien und in verschiedenen Schnittfassungen, teilweise vertont, teilweise unvertont, um die Welt geflogen ist. während... Die Stoker-Witwe hinterher ist und versucht hat, das Zeug zu vernichten. Und das hat ja auch dazu geführt, dass der Film dann schon sehr früh in der Public Domain war. 1930 kam es dann ja auch übrigens zu der berühmten Universal-Dracula-Verfilmung, wo Stoker tatsächlich ihren Segen gegeben hat und mit Rechten und allem. Und währenddessen ist dieser Film so als Public Domain um die Welt geflogen. Und unter den verschiedensten Titeln, sowas wie Terror of Dracula, Nosferatu, The Vampire,
Johannes Franke: Ja.
Florian Bayer: Und dann sind wir vor allem, dann kommen wir auch irgendwie so in die Zeit, wo die Leute anfangen, Filme eher zu reproduzieren. Und dann gibt es Videokassetten von diesem Film in schlechter Qualität. Dann später DVDs in schlechter Qualität und in verschiedensten Einfärbungen mit verschiedensten Zwischentiteln. Und 1981 sagt das Filmmuseum München, wir wollen das Ding vernünftig. Und dann fangen die an, diesen Film zu restaurieren. Und die gucken sich die verschiedenen Schnittversionen an, aus den verschiedensten Ländern, die es gibt und versuchen das irgendwie zu machen. Und das ist die Zeit, in der dann nach und nach der Film gerettet wird und vor allem der Film aus seiner ursprünglichen Fassung so authentisch, wie es geht, wiederhergestellt wird. Mit verschiedensten Versionen von verschiedenen Stiftungen. Also wir haben mehrere Stiftungen, die arbeiten und so, dass der größte Schritt ist, glaube ich, die Friedrich-Wilhelm-Murnau-Stiftung 2005.
Johannes Franke: Ja.
Florian Bayer: die eine komplette Überarbeitung machten. Das ist auch die Version, die ich gesehen habe. Ja,
Johannes Franke: die habe ich auch gesehen, genau.
Florian Bayer: Und die sich wirklich sehr drum kümmern, auch so versuchen, anhand von Aufzeichnungen in Archiven und so weiter irgendwie zu rekonstruieren, wie könnte das ausgesehen sein, bis zur Musik von Hans Erdmann, die dann anhand von Skizzen und von Aufzeichnungen rekonstruiert wird, um da gespielt zu werden.
Johannes Franke: Es gab so einen Teil dieser Partitur. Die haben ja die Partituren mitgegeben, ne? Es gab ein Kammerorchester in den Kinos, das dann Musik gespielt hat, weil es ja eben noch keinen Tonfilm gab. Und dann gab es eben eine Partitur von Hans Erdmann, der die mitgeschickt hat. Und diese Partitur ist halt leider mit verschwunden. Dadurch, dass die alles eingesammelt haben und verbrannt haben, ist diese Musik fast komplett mit verbrannt. Und man kann es nicht rekonstruieren. Man kann es eben nur nach dem... was so Anaufzeichnungen sind, was geplant war und so weiter. Und eben nach einem Musikstück, das tatsächlich auch erhalten ist. Aber das ist wahnsinnig traurig. Dieser arme Typ, der sich wirklich gut Mühe gegeben hat und der auch damals stark hervorgehoben wurde von der Kritik als richtig, richtig gute Filmmusik. Und dass wir das jetzt einfach nicht mehr hören können, nicht mehr wissen, was das eigentlich war, ist mega traurig.
Florian Bayer: Echt traurig.
Johannes Franke: Der Film wurde dann dadurch, dass er eben keine Musik mehr so richtig hatte, zu dem meist neu vertonten Film überhaupt.
Florian Bayer: Ja.
Johannes Franke: Weil immer wieder neu jemand gedacht hat, ah, ich mach das so, ich mach das so. Und wenn ihr euch verschiedene Versionen davon anguckt, ihr seht jedes Mal einen anderen Film.
Florian Bayer: Ja.
Johannes Franke: Filmmusik macht so wahnsinnig viel aus.
Florian Bayer: Unglaublich, vor allem mit Sturmfilmen natürlich. Total krass. Es gibt eine 1998er-Version mit Type O Negative, mit der Musik von Type O Negative, einem Gothic-Metal-Band aus 80ern und 90ern. Ich hab sie mir nicht angetan. Ich hab mich nicht getraut. und es gibt diese eine komische Spur, spanische Variante aus den 70ern, wo offensichtlich Humor reingebracht wurde und dann die Musik auch ziemlich witzig gemacht wurde.
Johannes Franke: Oh Gott.
Florian Bayer: Manuskrito encodrato enzarasvela ornosferato to la pugnete. Ich hab's komplett falsch ausgesprochen, aus dem Jahr 1977. Oh Mann. Also es gibt sehr viele unterschiedliche Varianten. Man findet auf YouTube unterschiedliche Varianten. Man findet in den Weiten des Internets unterschiedliche Varianten.
Johannes Franke: Aber was total auch spannend ist, so ein lebendiges Werk zu haben. Wie krass ist das denn?
Florian Bayer: Das ist ja auch so ein bisschen der Gedanke gewesen bei Stummfilmen, dass es nicht unbedingt so eine dedicated Music geben muss für den Film, sondern dass es auch mehrere geben kann. Bis hin zu dem Punkt, dass die, die live spielen, wenn die Filme aufgeführt werden, einfach improvisieren.
Johannes Franke: Ja, ja, ja, total. Das hat übrigens auch Hans Erdmann in seiner Art und Weise, wie er das geschrieben hat, sich sehr an dem orientiert. So mein Gefühl dafür, das habe ich so nicht gelesen, aber das, was ich drumherum gelesen habe, Lässt mich erahnen, dass er an dieser Art und Weise, wie viele Pianisten oder viele Kammerorchester in den Kinos das Ganze gehandhabt haben, nämlich nach Leitmotiven zu gehen. Zu sagen, okay, ich habe die und die Figur und da taucht immer, wenn die auftaucht, kommt eine kleine Melodie rein, wo ich schon weiß, ah ja, das ist die. Oder immer, wenn die amerikanische Flagge zu sehen ist, kommt da da da da da. Weißt du, solche Sachen. Ja. Die haben sich sowas, sie haben ein Repertoire gehabt. diese Pianisten und haben das immer wieder, wenn sie was Wiedererkennbares auf der Leinwand gesehen haben, reingebaut. Auch mit viel Humor oft. Und Hans Erdmann hat für diesen Film wahnsinnig viele Leitmotive entwickelt für die einzelnen Figuren. Was ich total cool finde.
Florian Bayer: Absolut, auf jeden Fall. Springen wir von den verschiedenen Versionen zu den Remakes. Wir sind voll drin bei den Metatexten. Und wir fangen an mit dem ersten großen Remake aus dem Jahre 1974. Nosferatu, Phantom der Nacht, inszeniert von Werner Herzog mit der Musik von Popol Vuh und natürlich, wie es sich für einen Werner Herzog-Film gehört, mit Klaus Kinski als Nosferatu. Meinung?
Johannes Franke: Ich schäme mich dafür, dass ich Klaus Kinski richtig gut finde in diesem Film.
Florian Bayer: Klaus Kinski ist... Unfassbar gut. Es ist richtig schrecklich zu sehen. Und vor allem, weil Kinski in diesem Film nicht sein normales Kinski-Programm abzieht. Gar nicht. Kein Schreien, kein Wüten, sondern er hat so eine tiefe Traurigkeit und Müdigkeit in sich.
Johannes Franke: Das ist so gut. Scheiße, ist das gut. Der ist so tief in seiner Darstellung. Man hat so viel Tiefe und so viel Traurigkeit und so viel Tragik in dieser Figur. Boah, ich hätte es gar nicht glauben können. Und wie der redet. Der redet eben nicht wie bei Eggers dieses Dazu kommen wir später. Aber er macht dieses ganz fizzelige, was auch tatsächlich das Original so ein bisschen mitbringt. Wenn du dir den Original anschaust, du kannst dir keine andere Stimme vorstellen, als das, was Klaus Kinski da macht. Oder? Ist ja beeindruckend.
Florian Bayer: Dieser Film lebt total von der Darstellung von Klaus Kinski. Inszenierungstechnisch ist es teilweise sehr nah am Original, was die Bilder betrifft. Hat aber manchmal so ein bisschen so ein TV-Remake-Feeling, finde ich. Ich finde ja von Anfang, also die ersten zehn Minuten denkst du, du bist in einer Telenovela.
Johannes Franke: Also wirklich, ich war nicht begeistert, muss ich sagen. Und man gewöhnt sich dann so ein bisschen an die Bilder und die Art und Weise zu erzählen. Und dann kriegt er ja auch tatsächlich, naja, vielleicht erst durch
Florian Bayer: Klaus Kinski,
Johannes Franke: wirklich eine tiefe und eine schöne Art und Weise, das zu erzählen.
Florian Bayer: Ich finde auch, dass Klaus Kinski sehr viel ausmacht von der Stärke dieses Films. Es gibt übrigens die Gerüchte, dass... Werner Herzog aus Glaskinski diesmal alles rausholen wollte und ihn deswegen die ganze Zeit drangsaliert hat am Set und die ganze Zeit provoziert hat.
Johannes Franke: Oh, okay.
Florian Bayer: Mit dem Ergebnis, dass Glaskinski irgendwann unglaublich erschöpft und müde war. Geil. Und dass das in diese Rolle mit eingeflossen ist.
Johannes Franke: Wow, okay.
Florian Bayer: Und ja, ich hab irgendwie das Gefühl, also er trägt diese, er hat diese Müdigkeit in sich irgendwie. Er hat diese traurige Müdigkeit, die man sich vorstellt bei einem Vampir, dass er Jahrhunderten lebt. Und irgendwie vielleicht auch die Hoffnung auf Erlösung verloren hat.
Johannes Franke: Seine Haltung ist total krass. Was er daraus macht, was er angelegt ist. Mit den Krallen und wie er die Arme vor sich verschränkt und sowas. Aber er gibt dem echt nochmal mehr, als da angelegt ist. Das ist toll.
Florian Bayer: Ich finde die Bilder der Natur extrem stark. Ich finde, da hat Werner Herzog genau den Geist des Originals getroffen.
Johannes Franke: Ja. Man hat so das Gefühl, dieses Dokumentarische kommt durch.
Florian Bayer: Ja, und dieses Beängstigende auch, das auch immer so ein bisschen unterschwellig drin ist. Die Burg hat er extrem gut getroffen, finde ich auch.
Johannes Franke: Den Weg zur Burg finde ich total gut. Oh ja, großartig. Der Weg zur Burg war großartig. Wenn ihr den nicht gesehen habt, weil ihr jetzt eingeschaltet habt, weil ihr den 1922er gesehen habt, dann schaut euch den durchaus noch an. Also seid gewarnt, es ist am Anfang so ein bisschen telenovelig. Und ich finde, dass Renfield, beziehungsweise, wie heißt er, Knock? Auch so komisch lacht von Anfang an, was ich nicht akzeptieren will. Ich finde, dass die neue Verfilmung, also aus den 70ern die Verfilmung, uns die ganzen Probleme, die wir heute mit der Haltung von damals haben, zum Beispiel Frauenfiguren und dieses ganze Inszenatorische, diese Probleme werden durch eine Lupe vergrößert und deswegen komme ich mit vielen Sachen nicht mehr so gut klar. Wie zum Beispiel Renfield, der eben als Karikatur da sitzt. Was in dem alten von 22, da macht das nichts aus, weil der Film sowieso so ist, wie er ist und so expressionistisch ist. Aber wir haben hier kein expressionistisches Werk vor uns von Werner Herzog. Und dann die Figuren aber auch so zu inszenieren teilweise und anders teilweise nicht, finde ich keinen guten Move. Funktioniert für mich nicht.
Florian Bayer: Ich finde es ist vor allem was Knopp bzw. Renfield betrifft und was, ja eigentlich vor allem was ihn betrifft. Ich finde Kinski wirkt erstaunlich underacting.
Johannes Franke: Genau.
Florian Bayer: Total. Ich finde Isabella, Isabella Adjani als Lucy, übrigens die Figuren heißen alle wieder wie bei Bram Stoker. Kinski ist Dracula, Isabella ist Lucy, Bruno Gans ist Jonathan, also das sind die Namen aus dem Buch. Und Roland Plor spielt Renfield. Ich finde Isabella Adjani als Ellen bzw. Lucy interessant. Ich finde sie, sie ist einfach, also Herzog hatte den richtigen Riecher, dass sie eigentlich mehr Aufmerksamkeit braucht.
Johannes Franke: Ja, das stimmt. Das macht sie auch sehr gut, finde ich.
Florian Bayer: Und ergibt ihr diese Aufmerksamkeit. Und das, finde ich, macht sehr viel aus. Und deswegen ist es vor allem, ich verstehe, was du meinst mit Renfield. Das ist so, es wirkt so ein bisschen wie diese Stummfilm-Karikatur, die sich in diesem Film rübergerettet hat, aber nicht so ganz in dieses Setup reinpasst.
Johannes Franke: Total, ja.
Florian Bayer: Aber ansonsten, finde ich, funktioniert das vor allem auch als Verbeugung vor dem Original.
Johannes Franke: Ja.
Florian Bayer: Und als Verbeugung vor dem Original in dem Wissen, dass das Original ein Dracula-Rip-Off ist. Ja.
Johannes Franke: Ja. Also ich hab's ein bisschen, mich hat's ein bisschen irritiert, dass er die alten Namen von Dracula jetzt genommen hat, aber weil sonst die Geschichte ja mit Nosferatu übereinstimmt so grob.
Florian Bayer: Ja, das ist die Nosferatu-Geschichte.
Johannes Franke: Wobei ja am Ende Bruno Gans zum Vampir wird, was ich eine interessante Entscheidung finde und was ich interessant finde ist, dass sie das anscheinend schon... durchschaut und ihn da in so einen Bannkreis einsperrt. Und er da nicht so richtig rauskommt, um agieren zu können. Also sie bekommt tatsächlich mehr Aktion, wie du schon sagst, was ich ganz toll finde. Und dass er dann zum Dracula wird, ist vielleicht für den Film auch eine ganz okaye Entscheidung.
Florian Bayer: Der ewige Kreis.
Johannes Franke: Der ewige Kreis, genau.
Florian Bayer: Ich finde diese Motive der Einsamkeit und der Verlassenheit und der Ohnmacht, die das 20er Original irgendwie in sich trägt, werden hier nochmal so raus. gehoben, das ist sehr zu schätzen, weil es auch diese Bilder, wenn sie am Strand sitzt mit den Kreuzen, das ist gleich, er nimmt dasselbe Bild, er gibt diesem Bild so eine krasse Weite und damit so eine krasse Einsamkeit und er kann einfach weite Landschaften inszenieren.
Johannes Franke: Das klingt ja natürlich.
Florian Bayer: Ich bin absolut zufrieden mit diesem Film, ich finde, das ist gut und Kinski ist halt einfach krass. Ja, Kinski ist krass. Es gibt einen Film aus dem Jahre 2000, Shadow of the Vampire. Ach, ja, ja. Ich fand... Edmund Elias Marriage. Dieser Film ist ein Film, ein fiktiver Film über die Entstehung von Nasferatu. Und die Geschichte ist, ich finde die Idee großartig, Max Schreck, gespielt von William Defoe, ist wirklich ein Vampir. Und Friedrich Wilhelm Murnau, gespielt von John Malkovich, hat ihn angeheuert, weil er einen echten Vampir haben will. Und muss jetzt aber diesen Film inszenieren und gleichzeitig versuchen zu verhindern. dass dieser Max Schreck, der echt ein Vampir ist, seine Leute umbringt. Und natürlich eine wunderbare Mischung aus Horror und aus Komödie. Und wirklich ein sehr unterhaltsamer Film. Also es ist natürlich kompletter Bullshit. Max Schreck war einfach ein berühmter Münchner Schauspieler.
Johannes Franke: Mit dem können wir noch reden.
Florian Bayer: Ja, über Max Schreck können wir auf jeden Fall noch gleich reden. Max Schreck war aber ein Schauspieler, ein Theaterschauspieler vor allem. Und hier wird erzählt, dass er einfach diese mysteriöse Gestalt ist, die wirklich in Transsilvanien lebt. Und dann hält halt irgendwann der skrupellose Murnau die Kamera drauf, wenn er die Crew umbringt und hält die Kamera drauf, wenn er dann tatsächlich stirbt. Die letzten fünf Minuten des Films sind wirklich so passiert und Murnau hält halt einfach die Kamera drauf. Udo Kehr spielt Alvin Grau, was ich großartig finde, was ich so on point finde.
Johannes Franke: Toll.
Florian Bayer: Toller Film, wunderschöne Verbeugung vor dem Original.
Johannes Franke: Ich habe ihn irgendwann gesehen, vor langer, langer Zeit, aber ich kann mich nicht genug erinnern,
Florian Bayer: um jetzt wirklich was beisteuern zu können. Es ist ... Wirklich witzig und es ist auch wirklich ein witziger Blick hinter die Kulissen. Und es gibt einige sehr gut gemacht Szenen, wo sie zeigen quasi, wie gedreht wird und dann nicht die Originalbilder nehmen, aber die nachdrehen in dieser Ästhetik und es ist wirklich, wirklich cool gemacht.
Johannes Franke: Geil.
Florian Bayer: Es gibt eine TV-Dokumentation, die von Erik Prinkmann 2022 für Arte gedreht wurde, anlässlich des 100-jährigen Jubiläums des Films.
Johannes Franke: Ja.
Florian Bayer: Mit verschiedenen Leuten, die über Nosferatu reden, über den Mythos Nosferatu, über den Film selbst. Unter anderem Marc Benecke ist dabei.
Johannes Franke: Oh, okay.
Florian Bayer: Dr. Rolf Gießen, ein großer Filmhistoriker, ist dabei. Es gibt auch zwei Metalbands, nämlich Blutsauger und Blutengel, die zu Wort kommen. Und das Ganze ist so arttypisch, du würdest sagen, arzifazi gemacht. Und zwar aus der Perspektive von Nosferatu erzählt, der darüber sinniert, wie der Film ihn dargestellt hat, wie das gewirkt hat. Und sie sind teilweise an den Original-Drehorten dann auch mit ihm. Ich fand's gut.
Johannes Franke: Ja?
Florian Bayer: Es war eine wirklich gute TV-Dokumentation, wie gesagt, Arte und man muss sich darauf einlassen, dass es so ein bisschen künstlerisch ist und so ein bisschen verspielt ist, aber es war auch jetzt nicht mit so großem informellen Mehrwert, aber irgendwie ganz gut diese Stimmung eingefangen, die wir heute gegenüber dem Film haben.
Johannes Franke: Aber hat dann jemand mit langen Fingernägeln da gesessen und gesagt, ich finde, das ist alles übertrieben.
Florian Bayer: Sie geben ihm keinen rassistischen, transsilvanischen Akzent. Danke. Ich fand ihn gut. Sie haben einen, natürlich ist der Nosferatu, der in dem Film vorkommt, der vor allem als Off-Erzähler zu sehen ist und manchmal durchs Bild läuft, ist natürlich kein Klaus Kinski und kein Max Schreck, aber ist okay. Und drumherum ist es einfach eine gute Dokumentation, kann man sich auf jeden Fall angucken. Es gibt einen Film aus dem Jahr 2023 von David Lee Fisher, den ich nicht ganz geguckt habe, der von der Idee eigentlich total gut ist und von der Umsetzung kompletter Crap.
Johannes Franke: Oh, okay.
Florian Bayer: Und zwar hat David Fisher das offensichtlich schon mal gemacht für ein Remake von das kabiniertes Dr. Galligari.
Johannes Franke: Er
Florian Bayer: dreht seine Darsteller konsequent vor Greenscreen und benutzt es dann als Hintergrund Bilder aus dem Film, aus dem Original, um die quasi in das Original-Setting zu verpflanzen.
Johannes Franke: Nein.
Florian Bayer: Und wie das so ist, wenn man nicht das richtige Budget dafür hat. Dann ist die Idee total geil, aber es wirkt halt einfach wie Darsteller, die vorm Greenscreen stehen. Dann stimmt die Beleuchtung nicht. Dann stimmen teilweise die Größenverhältnisse nicht. Und die Idee ist wirklich cool, aber das Ergebnis ist leider komplett Trash. Auch weil die DarstellerInnen nicht besonders gut sind, weil die Dialoge echt schwach sind. Zumindest cool ist es daran, dass sie mit den Farben spielen und versuchen, die Farbgebung des Originals irgendwie mit reinzubringen. Also diese Kodierung durch Farben. Aber es ist Trash. Es macht keinen Spaß.
Johannes Franke: Ach, fuck.
Florian Bayer: Und dann kommen wir zu dem Film, von dem du dir gewünscht hast, dass ich ihn gucke.
Johannes Franke: Das ist unser... Eggers, ich war sehr begeistert von Sachen, die Eggers gemacht hat.
Florian Bayer: Ich bin großer Eggers-Fan.
Johannes Franke: Er hat mit The Lighthouse und The Witch ganz krasse Filme gemacht. Und The Witch haben wir auch besprochen. Es ist wirklich krass, wie viel der sich auch in dieses Historische reinarbeitet, um zu gucken, dass das wirklich akkurat ist und das stimmt. Und dann dreht man vor allem mit... mit vorhandenem Tageslicht, um der Historie Genüge zu tun und so weiter. Ich bin total enttäuscht von dem, was er hier abliefert.
Florian Bayer: Schade. Wirklich schade. Ich finde auch, es ist Eggers Schwächster-Film. Total. Aber ich finde, er hat was.
Johannes Franke: Aber was hat er denn?
Florian Bayer: Also, räumen wir mal das Feld von hinten auf. Ich finde teilweise die DarstellerInnen wirklich gut. Ich finde Lily Rose Depp als Ellen finde ich wirklich gut. Ich finde, sie ist gut getroffen und ich finde es sehr cool, dass der Fokus so auf sie gelegt wird. Ja, okay. Ich finde, Nicholas Hoult ist einfach großartig als dieser Naivling, weil er, also wenn man sich jemanden vorstellen kann, dann dieser Nicholas Hoult, der immer gleichzeitig so attraktiv und so unattraktiv ist. Stimmt. Und Willem Dafoe ist einfach immer hilarious und hier als Van Helsing-Verschnitt ist es einfach geil, diesen Typen zu sehen, das macht Spaß.
Johannes Franke: Also Willem Dafoe kann man sich immer, der hat... Der kann nie was falsch machen. Der ist so gut in allem, was er tut. Ich finde es großartig.
Florian Bayer: Das große Problem bei diesem Film, und das ist seine größte Schwäche, und Bill Skarsgård, der wirklich ein guter Darsteller ist, kann dafür nichts. Nein, natürlich nicht. Auf Eggers Mist gewachsen. Die Darstellung von Nosferatu ist kompletter Crap. Das ist überhaupt nicht gelungen.
Johannes Franke: Unglaublich scheiße. Richtig, richtig scheiße. Der hat sich halt gedacht, naja, wir müssen da die, wie sahen die Leute dort in der Gegend aus? Die haben alle so ein Schnurrbart gehabt. Dann muss der so ein Schnurrbart haben. Und ich weiß nicht, dem tut sich echt mit so vielen Ideen keinen Gefallen. Und ich finde, das lässt sich nicht auf die Darstellung von Nosferatu selbst zurückführen. Nicht nur das. Es ist auch das richtig schlechte Dialogbuch. Ich finde es nicht gut. Wirklich nicht gut. Und so viele... Dialog quetschen, die völlig daneben sind, die nicht passen. Und auch wahnsinnig geschwätzig. Ja,
Florian Bayer: total geschwätziger Film.
Johannes Franke: Furchtbar. Also auch was er natürlich Nosferatu sagen lässt.
Florian Bayer: War das Original aber auf seine Weise auch, das Original war auch unglaublich geschwätzig. Ja,
Johannes Franke: aber...
Florian Bayer: Mein größtes Problem ist damit, dass er aus diesem traurigen, kleinen, hilflosen Mann so eine Monstrosität macht. Dass dieser Nosferatu, der hier auftaucht, übergroß, übermenschlich und vor allem übermonströs ist. Die Stimme nervt so tierisch.
Johannes Franke: Mann, meine Güte. Der trainiert, ne? Der hat sich mit einem Stimmcoach die Oktaven runter trainiert.
Florian Bayer: Was ja auch geil ist. Und er ist gut. Aber es ist einfach, es ist die falsche Figur. Und es ist auch bis zu dem Punkt, wo es unfreiwillig komisch wird, wenn er das R rollt und wenn er... Wenn man nochmal so Luft nimmt und so langsam redet. Und du denkst, oh komm, auf den Punkt. Es nervt. Es ist einfach nur enervierend. Ich verstehe nicht Eggers, der immer in einem Gespräch... Spür hat er für subtilen Horror, warum er plötzlich anfängt Jumpscares zu machen.
Johannes Franke: Ja, genau.
Florian Bayer: Als ob er einen dummen Horrorfilm aus den 2010er Jahren inszenieren würde.
Johannes Franke: Ich verstehe es auch nicht. Und dann fängt er auch noch, die Farben in dem Film sind sehr erdig. Der ganze Film wirkt sehr bodenständig eigentlich in der visuellen Ebene. Und dann fängt er an, plötzlich CGI- Flüge zu fahren. Zum Schloss hin und irgendwelchen... was für ein Wunder Zeug zu machen mit CGI, wo ich denke, nein, das ist nicht nötig, warum machst du das? Das passt hier überhaupt nicht rein gerade.
Florian Bayer: Ich finde die Bilder sind teilweise wirklich gut. Ich finde, es hat eine gewisse Stärke auf der Bildebene, auch weil es sich natürlich wieder bei den Originalbildern bedient.
Johannes Franke: Stimmt, ja, total.
Florian Bayer: Und ich finde diesen Take auf Ellen grundsätzlich interessant, dass Ellen eine Visionärin ist, du offensichtlich seit Kindheitstagen ... irgendeine Verbindung, eine obskure Verbindung zu Dracula hat. Und dabei finde ich, es ist halt wirklich auch stark. Du hast so ein bisschen mit dem Kopf geschüttelt. Ich finde es wirklich stark, wie Lily Rose diese Ellen spielt, die zwischen depressiv und auch dieses Thema hysterisch aus dem 19. Jahrhundert. Und gleichzeitig aber sehensstark und halt auch wieder den Männern in diesem Film überlegen dargestellt wird. Das finde ich hat
Johannes Franke: Den Body-Horror übrigens, den sie da macht mit den seltsamen Verrenkungen und so, den macht sie auch selber tatsächlich. Da gibt es keine große CGI-Unterstützung oder sowas. Da ist sie wirklich sehr selber drin.
Florian Bayer: Also ich finde sie wirklich gut und vor allem finde ich es auch folgerichtig, dass sie so einen großen Fokus kriegt. Weil das ist meiner Meinung nach das, was das Original auch irgendwie drin hatte auf einer subtilen Ebene. Aber ja, drumherum ist sehr viel, viel zu aufgebläht.
Johannes Franke: Ja, ich finde auch wirklich... dadurch, dass, also Lily Rostep, vielleicht ist sie eine gute Schauspielerin, aber das, also das möchte ich nicht abschreiten, aber sie hat halt mit einem schlechten Dialogbruch zu tun.
Florian Bayer: Ich finde die Dialoge von ihr gar nicht so schlimm. Ich finde die Dialoge, ich finde vor allem die Monologe sind es ja fast schon eher von Nosferatu, finde ich anstrengend.
Johannes Franke: Sehr anstrengend, ja.
Florian Bayer: Ich finde dieses, die Art, wie gezeigt wird, wie es diese bürgerliche Ehe gibt, weil das ja auch so ein Motiv, was wir so ein bisschen im Original haben, es gibt diese bürgerliche Ehe
Johannes Franke: Hm.
Florian Bayer: Und es gibt irgendwie ein Mehr, was unsere Protagonistin aber nicht so richtig greifen kann. Es gibt irgendwie eine Welt da draußen, außerhalb von diesem naiven Dunstkreis, von diesem ständig lächelnden Jonathan. Es gibt da irgendwas und ich krieg's nicht genau gegriffen, aber irgendwie zieht mich was dahin. Und da finde ich, gibt's starke Momente, wenn sie von diesem Traum erzählt. Sie heiratet den Tod und alle sind tot und es ist der glücklichste Tag ihres Lebens. Das ist düster und das zeigt, und das ist auch eine Auseinandersetzung mit diesem... puritanischen Ehe-Familien-Bild aus der Zeit, als das Original, als der Original Nosferatu entstanden ist.
Johannes Franke: Ja, okay. Ich finde, was du vorhin kritisiert hast, schon so angedeutet hast, dass diese Verbindung, die sie zu ihm hat, zu Orlok, dass sie am Anfang irgendwann mal etabliert wird durch ihre Geschichte, die sie als junges Mädchen mit ihm erlebt hat, finde ich nicht so schlecht. Die finde ich okay. Die Verbindung, die sich dadurch herstellt und warum die auch sozusagen so eine telepathische Verbindung haben. Finde ich nicht so schlecht, da komme ich mit klar. Das finde ich in Ordnung.
Florian Bayer: Also Licht und Schatten, ich finde, es ist kein schlechter Film. Aber ich finde, es ist halt wirklich, weil einfach, weil der Nosferatu ist einfach so wichtig für den gesamten Zusammenhalt des Films. Und daraus so eine Karikatur zu machen, so eine Witzfigur, ist halt echt keine gute Entscheidung. Vor allem, weil es das ja nicht sein sollte. Er sollte ja monströs sein. Er sollte, ich glaube, Eggers hat gedacht, okay. Die Leute von damals fanden das erschreckend. Wie schaffe ich es, was zu machen, was die Leute von heute so erschreckend finden? Wie die Leute damals Max Schreck fanden.
Johannes Franke: Ja.
Florian Bayer: Aber er schafft es nicht.
Johannes Franke: Er schafft es nicht,
Florian Bayer: nee. Er schafft es einfach nicht, einen zweiten Max Schreck da hinzustellen.
Johannes Franke: Nein, nein, nein. Ich finde das Sounddesign noch sehr, sehr gut, muss ich sagen. Willem Dafoe finde ich sehr gut. Die Bilder, wie gesagt, sind teilweise sehr, sehr, sehr, sehr gut. Und da freue ich mich drüber. Ich finde auch, dass wie er durch die Brust geht beim Blutsaugen, gar nicht so schlecht, weil das ein interessantes Bild aufmacht. Das darf meinetwegen auch anders sein als im Original.
Florian Bayer: Es ist natürlich, die Gewalttätigkeit wird mehr betont. Und das ist auch so, es ist natürlich auch so ein bisschen in unserem postmodernen Sinne, dass wir sagen, das Original hat diese Gewalttätigkeit und spielt die aber nicht so richtig aus. Und Dracula hat immer diese Gewalttätigkeit und es ist halt nicht ein Verführer, sondern es ist ein Vergewaltiger. und das... Jetzt machen wir es mal wirklich deutlich und jetzt zeigen wir die Gewalt, die in diesem Akt steckt. Nicht das sexuelle, nicht das reizvolle, sondern das gewalttätige und das brutale. Und es gibt einige sehr brutale Szenen in diesem Film. Das finde ich auch eine richtige Entscheidung.
Johannes Franke: Und ich finde die Schatten, die er benutzt, die Schatten der Hand, der über die Stadt geht und so, das ist ein gutes Zitat. Ich finde das gut eingesetzt.
Florian Bayer: Natürlich, also es ist einfach wie die anderen Filme. ist dieser Film sehr zitatfreudig. Aber wenn du perfekte Bilder als Vorlage hast, dann willst du die natürlich auch reproduzieren. Das ist sehr nachvollziehbar. Was unterscheidet den Was macht diesen Nosferatu so großartig? Max Schreck macht diesen Nosferatu so großartig.
Johannes Franke: Ja, Max Schreck macht den großartig, aber ansonsten bleibt es für mich natürlich trotzdem wieder, weil wir haben am Anfang darüber geredet, es bleibt für mich ein Rätsel, weil ich nicht in der Zeit bin.
Florian Bayer: Ja.
Johannes Franke: Weil ich nicht weiß, wie die Leute da im Kino sitzen und welchen gefühlten Hintergrund sie haben. Wir können das intellektualisieren und sagen, der Krieg ist gerade gewesen, die spanische Grippe war gerade eben, wir haben eine Zeit, wo viel Angst vor... Leuten von außen, die von außen kommen und sagen, hier ist jetzt alles anders, herrscht und so. Und man ahnt ja schon, was dann mit der Nazi-Zeit dazukommt. Man kann das alles da einsortieren intellektuell. Aber ich krieg's gefühlt nicht hin, mir vorzustellen, wirklich Angst vor dieser Figur zu haben.
Florian Bayer: Ja, das ist halt das Ding. Wir sind halt einfach keine Zeitgenossen. Wir sind die versnobten Filmkritiker, die 100 Jahre später versuchen irgendwie... das zu greifen, was da passiert ist und dabei nicht zu sagen, Schreck war ein wirklicher Vampir.
Johannes Franke: Und ich habe viele Podcasts gehört, die dann gesagt haben, ja, großartig hier und ich habe Angst da und ich finde es gruselig und so. Und ich denke die ganze Zeit, nein, du hattest nicht wirklich diesen Grusel, das glaube ich dir einfach nicht.
Florian Bayer: Aber to be fair, als ich den im Kino gesehen habe, habe ich es mehr gefühlt. Es gibt diesen Sog, es gibt dieses Hypnotische, was der Film hat. Ja,
Johannes Franke: okay. Ich habe es auf dem großen BIMA gesehen, also ich merke auch, wie sich so Sachen aufbauen, über die Zeit des Films, die der Film damit verbringt, mir zu erklären, wie er funktioniert, wo ich die Filmsprache nach und nach verstehe, die dieser Film hat, merke ich schon, wie ein Sog entsteht, aber eben einfach nicht in der Form, wie das damals gewesen sein muss. Ich finde aber, dass der Film natürlich wahnsinnig viel, dem ist viel zu verdanken, was der an Tropes überhaupt erst entwickelt hat für den Film, was da drin ist. Das Monster, ich meine, das gibt es natürlich in der Literatur, da gab es das vorher, siehe Bram Stoker natürlich, der das alles gemacht hat. Aber für den Film, diese übernatürliche Bedrohung, das Monster, Monster of the Week oder so, wie man das so sagt, das ist einfach, seitdem ist das das Ding, was man macht. Und dieser haunted place, dieses Schloss als Ort, das ist auch ein absolutes Job gewesen geworden, was immer wieder verwendet wird.
Florian Bayer: Und vor allem dieser... Rückgriff dabei auf die großen düster-romantischen, viktorianischen Erzählungen. Wenn man sieht, dass Dracula funktioniert, natürlich sagt man, okay, was haben wir denn noch? Ah, wir haben Frankenstein. Wir haben die Mumie. Wir haben Wehrwölfe und so weiter. Und ganz spannend, dass dieser Film diesen krassen Einfluss hatte, weil auch auf die Filme hatte diese Art der Inszenierung. Dieses Spiel mit Licht und Schatten. Ich habe nämlich auch nochmal angefangen ein bisschen den Dracula aus dem Jahr 1931 zu sehen. Der große Also... amerikanische Entwurfe ist mit Segen von Stokers Witwe und mit großem Budget und mit Bela Lugosi. Und dann gucke ich den und muss sagen, ich bin nicht der größte Fan von diesem Film. Ich finde, Bela Lugosi verliert einfach so doll, wenn man ihn vergleicht mit diesem Nosferatu. Der Dracula wirkt fast schon unfreiwillig komisch im Vergleich. Und vor allem deutlich, obwohl er zehn Jahre später ist, obwohl es ein Tonfilm ist, deutlich weniger äh deutlich mehr outdated. Deutlich schlechter gealtert als dieser Film. Krass. Und das sehen wir ja dann ja auch, wenn wir uns Dracula oder Vampirfilme angucken, die in den Jahren, Jahrzehnten danach gemacht wurden. Die bedienen sich deutlich mehr, was die Bildsprache betrifft, bei Murnau.
Johannes Franke: Natürlich, ja. Das ist bei
Florian Bayer: Browning das große Vorbild.
Johannes Franke: Um mal die Liste noch weiter zu machen. Haunted Places, dann hast du die Bedrohung, die in die zivilisierte Welt einbringt.
Florian Bayer: Das Animalische.
Johannes Franke: Das Animalische. Das, wo du gesagt hast, ich habe so lange Jahrhunderte an dieser Zivilisation gestrickt und jetzt kommt einfach irgendwas Animalisches und macht alles kaputt. Und alles, woran ich glaube und woran ich gearbeitet habe, wird mir weggenommen durch dieses Ursächliche. Und dann, was ich ganz krass finde. So ein bisschen ein Final Girl. Ja, auf jeden Fall. Das ist so das Strobe für Horrorfilme geworden. Obwohl ich mich mit Horrorfilmen nicht so richtig auskenne, hast du mir ja durchaus ein paar vorgeworfen. Und seit wir diesen Podcast haben und ich Horrorfilme gucken muss, ist mir dieses Final Girl einfach eingebrannt. Ich merke das immer wieder, dass das einfach ein wichtiges Ding ist für Horrorfilme.
Florian Bayer: Und auch der Ort, wo Frauenfiguren im Horrorfilm meistens mehr zu sagen haben als Männerfiguren.
Johannes Franke: Ja.
Florian Bayer: Und auch mehr zu sagen haben als in vielen anderen Bereichen des Kinos. Weil mehr mal weniger gut gemacht. Weil mehr mal weniger gut gemacht, definitiv. Aber die Frauen sind dann halt die, die das Monster zur Strecke bringen im besten Fall. Und das ist das, was hier auch passiert.
Johannes Franke: Und dann solche Sachen wie Vorahnungen und Omen und so weiter, das sind ja auch Sachen, wie Ellen da in der Gegend rum Im Sonnenambul muss man immer die Arme hochheben. Das finde ich so süß. Und auf dem Geländer. Auf dem Geländer laufen. Das Gefährlichste, was einem einfällt. Aber das ist auch einfach dieses Vorahnungen haben und die Augen rollen im Kopf nach hinten und sowas. Das ist volle Kanne, das, was wir in Horrorfilmen heute sehen.
Florian Bayer: Zu diesem Sonnenambul gehört ja auch das grundsätzliche Setup, was immer so ein bisschen was Traumhaftes hat, was auch sehr viele Horrorfilme aufgreifen. Das ist einfach das gesamte Geschehen. immer so eine Traumoberfläche zu haben scheint, die darüber liegt, weil einfach mal Träume das sind, was uns am meisten Angst macht, weil das der Moment ist oder der Ort ist, wo uns die Rationen, die Kontrolle verloren gehen. Und das hat dieser Film ja auch immer so mitschweben, dass das, es fühlt sich alles so ein bisschen traumhaft an, es fühlt sich alles so ein bisschen enthoben an, am stärksten natürlich in Ellen-Szenen, aber auch in anderen Momenten. Und auch etwas, worauf Horrorfilme nur zu gerne setzen, bis hin zu den... Zu den klassischen surrealen Mystery-Horrorfilmen von einem David Lynch oder Ähnlichem.
Johannes Franke: Ja, total. Sag mal, ist dieser Film, jetzt gehen wir schon gen Ende, schon, nach zwei Stunden, fast zwei Stunden. Ist dieser Film am Ende doch sehr konservativ?
Florian Bayer: Von der Inszenierung definitiv nicht.
Johannes Franke: Von der Inszenierung her nicht so sehr. Ja, okay, für die Zeit. Aber das Thema, ich habe so das Gefühl, diese Angst vor dem Fremden von draußen und so. Das Thema ist irgendwie konservativ.
Florian Bayer: Es hat auf jeden Fall einen konservativen Kern. Und auch die Gegenüberstellung von der bürgerlichen Ehe und der bürgerlichen Moral. Ja, total. Zu dem Fremden, Animalischen. Weil das, was Hutter und Ellen haben, ist ja auch irgendwie so dieses unschuldige Glück. Sie sind verlobt. Es gibt keinerlei Sexualität in denen. Alle Figuren in diesem Film sind komplett asexuell.
Johannes Franke: und das
Florian Bayer: Die krasseste Form von Sexualität ist halt diese gewaltvolle, die da irgendwie reinbricht.
Johannes Franke: Also es klingt so ein bisschen nach so einem Moralstück auch. Ja. Und deswegen weiß ich nicht genau, ob ich da auf dieser Ebene andocken kann.
Florian Bayer: Ja, vor allem, weil wir halt auch, Ellen gewinnt durch ihre Unschuld. Ellen ist, sie bringt dieses absolute Opfer.
Johannes Franke: Ja, sie ist die Jungfrau, die sich opfern muss. Also was du auch vorhin gesagt hattest, so kirchliche Motive, die irgendwie da eine Rolle spielen. Und die auch eben, muss man sagen, bei Albin Grau auch eine große Rolle gespielt haben in seinem Leben. Als Okkultist denkt man immer so ein bisschen eher an die chaotischen, die so ein bisschen gegen die Kirche sind. Aber eigentlich ist er doch auch sehr christlich-konservativ.
Florian Bayer: Es ist das Stück Religion, was sich dann halt auch in die Moderne gerettet hat, in die vermeintlich säkulare Welt. Ich finde es ganz spannend, dass wir halt diese Kontrastierungen mit Wissenschaftlichkeit haben. Dass wir diesen Bulwer haben, der wirklich eigentlich nur gezeigt wird, um so ein Stück von Wissenschaftlichkeit darzustellen. Und dann zu sagen, und diese Welt, die wir durch die Wissenschaft erforschen, die sieht auch nicht viel besser aus als diese Welt der Monster und Dämonen. Weil hier haben wir unsere fleischfressenden Pflanzen und hier haben wir unsere Parasiten und so. Und das ist eigentlich alles das, was wir auch aus den Mythen kennen.
Johannes Franke: Vor allem, und das ist bei Eggers noch schlimmer. verliert die Wissenschaft. Weil es gibt wissenschaftliche Menschen in diesem Film und die haben alle nicht recht.
Florian Bayer: Die Wissenschaft verliert, definitiv.
Johannes Franke: Und das tut mir echt ein bisschen weh.
Florian Bayer: Aber es ist sehr schwierig, Horror zu inszenieren, ohne diesen mythischen Background drin zu haben.
Johannes Franke: Aber sagen wir, The Lighthouse oder sowas hat einfach eine eigene Welt gemacht. Das Mystische von The Lighthouse ist halt in so einer Kapsel für sich. Und dann ist das einmal dieses mehr Jungfrauen. Und Seemannsgarn-Ding. Und das sagt aber nichts Konservatives über unsere Welt aus, weil die in ihrer eigenen Blase da leben, finde ich. Und da funktioniert das dann.
Florian Bayer: Ja. Ist es diese Kombination? Zum einen dieses sehr starke Betonen des Mythischen, dass das Mythische real ist.
Johannes Franke: Ja.
Florian Bayer: Und gleichzeitig zu sagen, aber diese Realität des Mythischen findet in einer absolut wissenschaftlichen, akkuraten Welt statt, über die ich jetzt berichte, als ob es eine Dokumentation wäre. wo ich Naturaufnahmen zeige, die sind, als würden sie die Realität darstellen und vor allem, wo Wissenschaftler rumlaufen.
Johannes Franke: Und man darf nicht unterschätzen, wie krass das für Leute 1922 war, Bilder aus dieser Gegend zu sehen im Kino. Wie sieht das da wirklich aus? Vor allem, weil ganz viele Filme damals im Studio zu Hause entstanden sind, wie zum Beispiel eben Dr. Caligari. Polonaise, Polonaise, Floor, wir haben 250. Episode.
Florian Bayer: 250 Episoden. Wir haben eine Vierteltausend geschafft.
Johannes Franke: Eine Vierteltausend.
Florian Bayer: Wahnsinn, unglaublich.
Johannes Franke: Absoluter Wahnsinn.
Florian Bayer: Und jede einzelne Episode mit dir war ein großes Vergnügen. Vielen Dank, Floor. Das kann ich nur zurückgeben. Es ist großartig. Ich will das jeden Tag machen, Floor, und mein Leben lang. Es ist toll. Auf jeden Fall. Am meisten Vergnügen bereiten mir natürlich die Horror-Episoden. Warum haben wir ausgerechnet schon jetzt unsere 250. Mitten im Spooktober. Und heute ist ein ganz besonderer Tag. Heute ist das erste Mal in diesem Jahr, dass Johannes mir einen Horrorfilm geben muss. Wir hatten einen Publikumswunsch letzte Woche. Stimmt. Und die Woche davor habe ich einen Horrorfilm ausgesucht. Und besonders interessant wird es, wenn... Johannes kramt in seinem Filmwissen, was für Horrorfilme er denn mag, weil, Spoiler, da gibt es nicht sonderlich viele. Da gibt es überhaupt nicht viele, da gibt es bei weitem nicht so viele wie bei dir, aber auch,
Johannes Franke: ich komme nicht mal auf eine Top 5 oder sowas. Na komm,
Florian Bayer: seit diesem Monat kannst du Re-Animator zu deinen Top 5 zählen.
Johannes Franke: Das stimmt, ja. Aber nur, weil er auf weiter Flur ist, weil ich sonst nichts gucke. Vielleicht noch ein bisschen, ich hatte diesen Film von Lars von Trier geguckt, den Antichrist, ich fand das so hart und ich musste mich zwischendurch, ich musste ausmachen und atmen. Und ich fand den aber tatsächlich insgesamt einfach ein spektakuläres, krasses Erlebnis. Also insofern geht das schon irgendwie. Und du hast mich auch ein kleines bisschen über die Jahre an Sachen gewöhnt, muss man dazu sagen.
Florian Bayer: Du bist etwas abgehaktet. Letztes Jahr habe ich dir Martyrs gegeben. Das war ja schon so Peak-Krausamkeit im Horrorfilm und du kannst mittlerweile einiges ab.
Johannes Franke: Ja, das stimmt. Skin in the Meringue war relativ easy abzugeben, weil man musste nicht irgendwie Body-Horror mitgucken oder so.
Florian Bayer: Und dennoch, was macht Johannes als Nicht-Horrorfilm-Liebhaber, wenn er einen Horrorfilm geben muss? Er greift ganz tief hinein in die Filmgeschichte.
Johannes Franke: Weil ich weiß, dass ich vor diesem folgenden Film sitzen kann, ohne dass mir schlecht wird, ohne dass ich Body-Horror angucken muss. Es ist einfach nur so ein Connoisseur-Film, wo man sagt, ja, das muss man mal gesehen haben, weil das ist ja Filmgeschichte. und ich hab dir einfach als Ausweg habe ich dir Nosferatu gegeben.
Florian Bayer: Eine Symphonie des Grauens aus dem Jahr 1922.
Johannes Franke: Ihr wisst es sicherlich. Ihr habt ja die Episode angeklickt insofern. Aber wir haben auch nicht nur den 1922er-Film geguckt, sondern, Flo, du hast auch den aktuellen von Eggers geguckt.
Florian Bayer: Ich habe den von Eggers geguckt, weil du gesagt hast, den musst du unbedingt noch gucken. vorher und dann dachte ich, jetzt bin ich so ein richtiger Streber und hab auch nochmal das Remake von Werner Herzog geguckt. Ich hab das geschafft! Ja, ich hab das geschafft! Und ich hab nochmal Shadow of the Vampire so ein bisschen durchgeguckt, der ja quasi ein Metafilm ist und sich mit der Entstehung befasst und ich hab noch einen Film aus dem Jahr 2023 geguckt, nur ein Jahr älter als der Eggers-Film, der auch ein Remake ist. Das heißt, wir haben heute das gesamte Nosferatu-Paket, das ja eine spezifische Art von Interpretation des Dracula-Mythos ist.
Johannes Franke: Guckt noch mal auf die Laufzeit dieser Episode. Wir wissen es noch nicht, aber vielleicht sind wir bei drei Stunden.
Florian Bayer: Und bevor ihr jetzt weiterhört, wenn ihr den Film noch nicht gesehen habt, Leute, ihr hattet 100 Jahre Zeit, mehr als 100 Jahre.
Johannes Franke: Ja, schaut ihn euch an.
Florian Bayer: Und Johannes wird uns dann jetzt mal erzählen, worum es geht.
Johannes Franke: Euler ahead. Im beschaulichen Städtchen Wissburg im Norden Deutschlands sitzt ein manisch kichernder Immobilienhändler in seinem Büro und flüstert seinem Angestellten mit irrem Blick zu An diesem Grafen lässt sich eine Stange Geld verdienen! So weit, so alltäglich. Ein ganz normaler Montag bei Engel und Völkers. Aber der Blutsauger in dieser Geschichte ist überraschenderweise doch ein anderer. Denn der Graf, der in Wissburg ein Haus kaufen will, scheint so ein dicker Fisch zu sein, dass man dafür eine sechswöchige Reise auf sich nimmt, um ihm eine Unterschrift abzuringen. Besagter Mitarbeiter, Herr Hutter, reist nach Transsilvanien, nur um dann festzustellen, dass er es mit einem Creep zu tun hat, in dessen Gegenwart man sich nicht beim awkward Brotschneiden den Daumen verletzen darf. Der Graf hat einen ausgewachsenen Blutfetisch, den selbst der naive Herr Hutter irgendwann anerkennen muss. Allerdings zu spät, da Graf... Orlok ihn in seiner Ruine einschließt und sich mit seiner Sammlung antiker Särge auf den Weg nach Wissburg macht. Er hat sich nämlich in den Hals von Hutters Freundin verliebt. Von einem Foto. Tinder 0.9. Ein Wettlauf beginnt. Hutter versucht vor Graf Orlok in Wissburg anzukommen, um seine Freundin zu retten. Zum Glück keine große Sache, da der Graf darauf besteht, den Seeweg zu nehmen, der um einiges umständlicher ist. Aber viel ausrichten kann Hutter auch nicht. Graf Orlok kommt unvermeidlich an, bringt Pest und Tod. Und die einzige, die einen Plan zu haben scheint, ist Hutas Freundin. Die will sich nämlich opfern, um den Grafen so lang mit ihrem Hals abzulenken, dass er vergisst, dass er ja eine Lichtallergie hat, die ihn umbringt. So endet der Film mit zwei Toten im Morgengrauen und der Frage, kann dieser Film, der über 100 Jahre auf dem Buckel hat, auch heute noch Schrecken und Horror verbreiten? Plor! Antworte gefälligst! Mir fällt übrigens gerade auf, dass du einen sehr schönen Hals hast. Ach, diese lästigen Stechmücken immer.
Florian Bayer: Kann ja Horror und Schrecken verbreiten.
Johannes Franke: Ja.
Florian Bayer: Ich habe mich nicht gefürchtet bei diesem Film.
Johannes Franke: Ach, schade, Flor.
Florian Bayer: Schade, schade, schade. Ich sitze auch davor und kicher echt wahnsinnig viel. Oder? Es gibt ein paar wirklich witzige Stellen, einfach weil der Film halt 100 Jahre auf dem Kugel hat. Sprich, man guckt es anders, als man... Ja. Als man Filme von heute guckt. Das ist einfach was anderes, eine andere Art der Immersion. Ich hatte auch das Gefühl, ich habe den schon mal im Kino gesehen, mit Livemusik, und das war ein krasses Erlebnis. Das war auch so das, was dem Film nachgesagt wird, dass er sehr hypnotisch ist und dass er so unglaublich immersiv ist, sich total reinzieht und selbst so ein kleines, okkultes Monstrum ist. Das hatte ich diesmal nicht. Ich habe ihn diesmal am Computer geguckt, was man nicht machen sollte, aber unter Kopfhörern.
Johannes Franke: Die schlechteste Variante.
Florian Bayer: Nee, unter Kopfhörern und nah am Computer und im dunklen Zimmer. Das ist schon okay. Aber ich habe ihm diesmal, was mir auch ein bisschen leid tut für ihn, sehr steril geguckt. Sprich so, oha, oh ja, das sind tolle Bilder, oh, das ist interessant, ja, das hat das inspiriert und so weiter. Aber halt die ganze Zeit mit so einem analytischen Mindset.
Johannes Franke: Ja, ja, ja.
Florian Bayer: Und was einfach eine andere Art von Gucken ist. Und dennoch sehe ich nach wie vor in diesem Film, was für hypnotische Eigenschaften der hat und mit dem richtigen Mindset geguckt auch entfalten kann, auch beim Publikum von heute.
Johannes Franke: Ja. Das hat mich tatsächlich am meisten umgetrieben beim Überlegen und beim Gucken und beim danach Recherchieren. Was ist es denn, was den Film zum Horrorfilm gemacht hat damals? Weil also die Tropes sind da. Ja. Ich finde es wahnsinnig interessant, weil er ist ja nun einer der ersten großen Horrorfilme überhaupt.
Florian Bayer: Überhaupt, ja.
Johannes Franke: Im ganzen... Universum. So krass, Mann. Über 100 Jahre alt, 1922 rausgekommen. Es gab 1911 schon mal so einen Horrorfilm. Es gab zwischendurch nochmal so zwei, drei Versuche, die ein bisschen erwähnenswert wären vielleicht. Aber das ist der große Film, der auch unsere Zukunft an Horrorfilmen maßgeblich beeinflusst.
Florian Bayer: Es gibt einen Vampirfilm, der ein, zwei Jahre älter ist, aber Lost Media, der nicht mehr gefunden wird und der sich offensichtlich nicht am Roman Primes zu Stokers orientiert hat, im Gegensatz zu diesem Film. Und der offensichtlich einfach eine Vampirgeschichte erzählt. Aber auch da schreitet Nosferatu neue Wege. Es ist auch der erste richtige Vampirfilm. Und eine der ersten sehr akkuraten Romanverfilmungen. Was ganz interessant ist, wenn wir zur ganzen Geschichte von diesem Film kommen. Aber um ganz kurz auf deine Frage noch mal zurückzugehen. Was macht dieses Hypnotische aus? Ich glaube, eine ganz große Rolle spielt dabei. Und das habe ich jetzt zum ersten Mal so wahrgenommen. Das Genie, das hinter diesem Film sitzt und das ist nicht Friedrich Wilhelm Murnau, sondern das ist Albin Grau, der Produzent des Films, aber vor allem auch der Gestalter des Films.
Johannes Franke: Der Okkultist des Films.
Florian Bayer: Der Okkultist des Films, der Mann, der diesen Film vorangetrieben hat. Und wenn man die Topfilme von Friedrich Wilhelm Murnau aufzählt, kommt Nosferatu auch immer ganz früh. Aber Friedrich Wilhelm Murnau war in diesem Film. Auch einfach so ein Stand-In, der hat seinen Namen gegeben, der war ein berühmter Regisseur, obwohl er noch gar nicht so lange gedreht hat. Auftragsarbeit? Es war eine Auftragsarbeit und vor allem hat er gesagt, naja, ich mach was ihr wollt und ich geb euch meinen Namen, aber es ist euer Film und eure Idee. Und Murnau hat sich auch wohl sehr eng an Skript gehalten von Gählen, der das zweite Genie hinter diesem Film ist. Und teilweise 1 zu 1 Einstellungen so übernommen, wie Gählen und Krau das wollten. Das heißt, Murnau hat mit der kreativen Richtung dieses Films relativ wenig zu tun.
Johannes Franke: Relativ wenig. Also ich meine, natürlich hat er sich irgendwie auch damit auseinandersetzen müssen. Er hätte das nicht so drehen können, wenn er nicht auch selber sich da gut reingearbeitet hätte und auch als Regisseur wirklich ein sehr, sehr guter Regisseur gewesen wäre. Du kannst als schlechter Regisseur dich an Sachen halten, die dir der Produzent vorgibt und es kommt ein schlechter Film daraus. Also er ist schon auch ein guter Regisseur.
Florian Bayer: Er ist ein großartiger Regisseur. Aber er wurde für diesen Film gewählt, weil er den Ruf hatte, ein großartiger Regisseur zu sein. Er ist nicht wegen dieses Films der großartige Regisseur, als den wir ihn heute sehen. Richtig, genau.
Johannes Franke: Was ist es, was damals überhaupt möglich machte, dass die Leute glauben, dass das so gruselig ist? Also ich will ein bisschen am Zeitgeschehen bleiben und ich habe das Gefühl, dass wir die spanische Grippe im Hintergrund haben, die 1918 richtig hart Massensterben verursacht hat. Bei Dracula gibt es die Pest an sich nicht. Hier bringt Graf Orlok die Pest mit. Und ich glaube, das ist einer der großen Dinge, warum das im Kino so effektiv war oder effizient war. Ja,
Florian Bayer: definitiv.
Johannes Franke: Um Ängste zu schüren, um Ängste nach vorne zu bringen. Dann war es eine Zeit, wo die Angst vor dem Fremden vielleicht auch einfach so hart krass war, weil sie auch gerade den Weltkrieg verloren haben. Und solche Sachen in Deutschland, tatsächlich diese Angst vor dem Slaven oder vor den Leuten da drüben. im Osten, dass die massiv ausgeschlachtet ist für den Film.
Florian Bayer: Definitiv.
Johannes Franke: Und auf einmal die auch sagen, wir gehen ins Reich der Diebe und Geister, wo du denkst, oh, was für eine fremdenfeindliche Formulierung. Aber fürchte dich nicht. Weißt du, solche Sachen.
Florian Bayer: Ja, die Ohnmachtserfahrung generell, auch mit dem Ersten Weltkrieg verbunden, dieser Film spielt sehr viel mit dem Gefühl von Ohnmacht, weil, was sich auch ganz stark von der Vorlage unterscheidet, wir haben hier keinen wir haben hier keine handelnden Personen, die irgendwas machen können. In Bram Stokers Roman haben wir unseren Van Helsing, unseren Vampirjäger. Und wir haben Van Helsing und Harker, die dann zusammen losziehen, um zum einen dieses Lucy von ihrem Leid zu erlösen und zum anderen, um Minna zu retten, wie jetzt im Film Ellen heißt. Und in diesem Film sind alle unbrauchbar. Ellen ist die einzige, die so ein bisschen brauchbar ist, aber es gibt niemanden, der das Heft in die Hand nimmt und sagt, ich kämpfe jetzt gegen Dracula.
Johannes Franke: Das ist aber auch das Nächste, was ich sagen würde. Diese Männlichkeit, die in diesem Film auf den Deckel bekommt, weil kein Mann etwas hinkriegt. Ja, das ist auch so ein Punkt.
Florian Bayer: Definitiv.
Johannes Franke: Auch aus dem Krieg kommend und so. Ich glaube, das Bild der Männlichkeit, und ich glaube, das haben wir heute auch so ein bisschen, ist einfach auch ein bisschen auf den Kopf gestellt. Und da bedient sich der Film auch.
Florian Bayer: Ja, der hat wirklich spannende Motive, was Geschlechtlichkeit betrifft.
Johannes Franke: Ja.
Florian Bayer: Und auch Motive, die für seine Zeit halt unglaublich progressiv sind. Wenn wir sehen, wie schwach... unser vermeintlicher Protagonist ist, der nachher nicht viel Protagonist ist, der Hutter, der wie gesagt vor allem der Naivling ist, der keine große Rolle spielt. Und wie stark dagegen und vor allem wie weitsichtig eben das reine Opfer ist, Ellen, die quasi Minna verkörpert aus dem Roman. Und da haben wir einfach Geschlechtsbilder, die umgedreht sind. Und dann haben wir unseren vermeintlichen Van Helsing, der in diesem Film nichts anderes macht, als Pflanzen zu untersuchen. Und überhaupt keinen Aktionsraum bekommt.
Johannes Franke: Ja, und auch politisch gibt es ja keinen. Also die Vertreter der entscheidenden Klasse in diesem Film sind ja auch völlig machtlos. Dieses Gefühl von politischem Versagen, das irgendwie auch da so ein bisschen mit eingewoben ist, auch wenn es nicht ausgeschlachtet wird. Und die Angst dann eben vor jemandem, der dann aus dem Ausland kommt. alles auf den Kopf stellt. Moment mal, wenn ich jetzt die nächsten zehn Jahre von 1922 vorausschaue, wenn die so Angst hatten vor diesem Vampir, warum dann Hitler? Egal. Ich glaube, man muss so ein bisschen eben einfach in die Zeit reingehen und was für Ängste sind damals gewesen und was haben wir heute für Ängste und Sehgewohnheiten, die dem Ganzen entgegenstehen und weswegen wir das heute ein bisschen lächerlich finden, während es damals tatsächlich, auch in der Art und Weise des Filme machens, aber darüber kommen wir später drauf.
