Episode 217: Der Mann ohne Vergangenheit und das Kino von Aki Kaurismäki
Ein mittelalter Mann kommt, anscheinend auf der Durchreise, am Bahnhof in Helsinki an. Er macht eine kurze Pause in einem Park und wird dort von Skinheads brutal zusammengeschlagen und ausgeraubt. Obwohl von den Ärzten – und ihren Maschinen – für tot erklärt, gelingt es ihm auf wundersame Weise wieder zu Kräften zu kommen. Als Folge des Überfalls hat er jede Erinnerung an sein frühes Leben verloren, und so irrt er am Stadtrand Helsinkis, bis er schließlich von der in einer Obdachlosensiedlung lebenden Familie Nieminen aufgenommen und gesund gepflegt wird.
Ohne Identität und ohne Chance auf eine richtige Arbeit wird der Mann ein Bewohner dieser Obdachlosensiedlung. Vom ruppigen Sicherheitsmann Antilla bekommt er einen eigenen Container zur Verfügung gestellt und seine neuen Freunde versorgen ihn mit allem, was man zum Überleben braucht: Kartoffeln, ein Gasherd und eine ausgeleierte Jukebox vollgepackt mit klassischen Rock & Roll. Außerdem lernt er bei der Wohlfahrt Irma kennen und lieben… und zum ersten Mal in seinem sehr jungen Leben empfindet er so etwas wie Glück.
Finnland, das ist kalt, groß und menschenleer. Aki Kaurismäki, der ist lakonisch, staubtrocken und steht auf skurrile Figuren. Und dennoch ist dieser Film von diesem Regisseur aus diesem Land vor allem eins: Unglaublich warmherzig. Johannes, kann uns der Mann ohne Vergangenheit aus dem Jahr 2002 vielleicht sogar dabei helfen, zu verstehen, warum die Finnen seit Jahren schon als eines der glücklichsten Völker der Erde gelten?
: Podcast: Der mussmansehen Podcast - Filmbesprechungen Episode: Episode 217: Der Mann ohne Vergangenheit und das Kino von Aki Kaurismäki Publishing Date: 2025-02-26T08:20:26+01:00 Podcast URL: https://podcast.mussmansehen.de Episode URL: https://podcast.mussmansehen.de/2025/02/26/episode-217-der-mann-ohne-vergangenheit-und-das-kino-von-aki-kaurismaeki/
Florian Bayer: Das zeichnet Kaoris Mackie in diesem Film ganz stark aus. Absolutes Vertrauen in die Menschlichkeit. Ja,
Johannes Franke: total.
Florian Bayer: Und dieses so, wie gezeigt wird, wie Behörden scheitern. Absolutes Misstrauen in Behörden und Institutionen und in Regeln. Aber absolutes Vertrauen in die Menschen, damit umzugehen, selbst wenn sie am Rand davon stehen. Und gerade wenn sie am Rand davon stehen, das funktioniert einfach.
Johannes Franke: So, wir machen heute einen entspannten, oder?
Florian Bayer: Machen wir voll.
Johannes Franke: Ah, wie geht's dir denn?
Florian Bayer: Mir geht's gut, wie geht's dir?
Johannes Franke: Ja, mir geht's ganz gut, außer dass ich sehe, dass das Mikro nicht auf deinen Mund gerechnet ist.
Florian Bayer: Nein! Aber ich hatte doch eigentlich einen Einstieg.
Johannes Franke: Tja, du hast einen Einstieg. Achso, dann mach mal deinen Einstieg.
Florian Bayer: Ich wollte ja sagen, hallo liebes Publikum, hallo lieber Hadi, das hier ist für dich.
Johannes Franke: Oh! Oh! Ah!
Florian Bayer: Bei so einem coolen Song muss man auch mal kurz auf die rechte Frage scheißen. Wir zitieren nur.
Johannes Franke: Ein Zitat recht aus Amerika. Das ist jetzt ein ordentlicher DJ-Übergang in zu unserem...
Florian Bayer: Das zählt ganz langsam aus. Ja, wir machen nämlich heute wieder einen Publikumswunsch. Und was ihr gehört habt, ist ein Song aus dem Film, der sich gewünscht wurde. Und zwar von Hadi, der uns aufs... Spotify gleich mehrere Nachrichten geschickt hat, über die wir uns sehr gefreut haben, mit ganz vielen Filmwünschen. Aber ganz vorne war als erster quasi irgendwas von Aki Kaurismäki aus Finnland.
Johannes Franke: Und ich war mir nicht ganz sicher, was das bedeutet für uns, weil ich hab nie so einen richtig guten Einblick darin bekommen, was jetzt Aki Kaurismäki gemacht hat für Filme. Ich weiß nur, dass finnische Filme sehr... Trocken sein können.
Florian Bayer: Sehr eigen.
Johannes Franke: Ja. Und sehr eigen. Und ich nicht ganz sicher war, auf welche Seite das fällt. Weil die auch manchmal so dahingestellt sein können wie bei Fassbinder. Ja. Und Fassbinder, gut, wir haben den einen da besprochen, Angst essen Seele auf und der war ja sehr, sehr gut. Aber das kann auch schief gehen.
Florian Bayer: Das kann voll schief gehen. Und trocken ist das Stichwort. Wir werden auch ein Trinkspiel machen in dieser Episode. Jedes Mal, wenn jemand das Wort trocken oder lakonisch sagt, muss er einen kurzen heben. Das heißt, diese Episode wird nach sieben Minuten vorbei sein. Ja,
Johannes Franke: genau.
Florian Bayer: Und wir werden beide unterm Tisch liegen. Wir reden heute über Der Mann ohne Vergangenheit von Kaoris Meki. Was vor allem daran liegt, dass als Hadi geschrieben hat, bitte macht einen Kaoris Meki-Film, habe ich gesagt, oh ja, ja, hier, ich, ich, ich, ich. Ich habe nämlich auch tatsächlich gar nicht so viel von Kaoris Meki gesehen, aber einer meiner absoluten Lieblingsfilme. Ja. Das ist tatsächlich diese kleine Perle aus dem Jahr 2002, von der ich fest ausgegangen bin. dass sie ein OG-WG-Film ist, den ich dir mal vorgesetzt habe vor 20 Jahren.
Johannes Franke: Vielleicht war es auch so und ich konnte ihn nicht würdigen oder sowas. Aber wir können ja mal rausfinden, worum es geht und dann finden wir raus, ob ich ihn inzwischen würdigen kann.
Florian Bayer: Versuchen wir es. Ein mittelalter Mann kommt anscheinend auf Durchreise am Bahnhof in Helsinki an. Er macht eine kurze Pause in einem Park und wird dort von Skinheads brutal zusammengeschlagen und ausgeraubt. Obwohl von den Ärzten und ihren Maschinen für tot erklärt, gelingt es ihm auf wundersame Weise wieder zu Kräften zu kommen. Als Folge des Überfalls hat er jedoch jede Erinnerung an sein frühes Leben verloren. Und so ehrt er durch den Stadtrand Helsinkis, bis er schließlich von der in einer Obdachlosen-Siedlung lebenden Familie Nijeminen aufgenommen und gesund gepflegt wird. Ohne Identität und ohne Chance auf eine richtige Arbeit wird der Mann ein Bewohner dieser Obdachlosen-Siedlung. Vom ruppigen Sicherheitsmann Antilla bekommt er einen eigenen Container zur Verfügung gestellt und seine neuen Freunde versorgen ihn mit einem Kaffee. allem, was man zum Überleben braucht. Kartoffeln, ein Gasherd und eine ausgeleitete Jukebox, vollgepackt mit klassischem Rock'n'Roll. Außerdem lernt er bei der Wohlfahrt Irma kennen und lieben. Und zum ersten Mal in seinem sehr jungen Leben empfindete er so etwas wie Glück. Finnland. Das ist kalt, groß und menschenleer. Haki Kauri's Meki, der ist lakonisch, staubtrocken und steht auf skurrile Figuren.
Johannes Franke: Du musst trinken,
Florian Bayer: trinken. Ja, ich weiß. Und dennoch ist dieser Film von diesem Regisseur aus diesem Land vor allem eins. Unglaublich warmherzig.
Johannes Franke: Ja.
Florian Bayer: Johannes, kann uns der Mann ohne Vergangenheit aus dem Jahr 2002 vielleicht sogar dabei helfen zu verstehen, warum die Finnen seit Jahren als eines der glücklichsten Völker der Erde gelten?
Johannes Franke: Oh, das ist eine sehr gute Frage. Ich glaube, dass uns die Tatsache, dass er den finnischen Tango so wahnsinnig mag, auch dieser Frage näher bringt. Ich glaube, der finnische Tango ist eine der spannendsten kulturellen Entwicklungen. Es ist so spannend, weil argentinischer Tango nach Finnland verlegt. Ja, und mit Vollstatur und mit...... mit... mit deprimierenden Texten. Es ist wirklich krass.
Florian Bayer: Wie passt diese heißblütige Musik, heißblütige Savovivre, sag ich mal, in so ein Land wie Finnland? Vielleicht steigen wir mal mit Regisseur ein, mal mit Handlung, mal mit sonst was. Vielleicht steigen wir einfach mal ganz kurz mit Finnland ein. Ja. Warst du mal in Finnland?
Johannes Franke: Ich war in Helsinki und ich hab's geliebt. Ich mochte es wirklich sehr. Aber ein kleines bisschen, und da wird mir jetzt jeder Finner auf die Hände hauen. Stört mich der leicht russische architektonische Ansatz.
Florian Bayer: Den gibt es in Finnland.
Johannes Franke: Das ist ein bisschen schade. Und die wollen sich ja möglichst abgrenzen von Russland. Und zu Recht. Aber irgendwie spürte ich das noch so ein bisschen durch. Und das tut mir sehr leid, liebe Finn.
Florian Bayer: Ich finde Finnland total faszinierend. Also um das mal so ganz grundsätzlich zu sagen. Ein Land, das so groß ist wie Deutschland. Fast. Und aber Einwohner nicht mal 10 Prozent von dem, was in Deutschland lebt. Das ist der am... Am wenigsten besiedelte Staat in Europa. Finnland hat 5,5 Millionen Einwohner und die leben in den Städten. Und Helsinki ist die größte Stadt des Landes mit 664.000 Einwohnern. Das ist die Metropole dort. Und dann gibt es noch zwei, drei andere große Städte und sonst nichts.
Johannes Franke: Und sonst nichts. Es ist so süß.
Florian Bayer: Und leer. Und Finnland regelmäßig, es gibt diesen World Happiness Index. Da werden Umfragen gemacht, Finnland landet regelmäßig auf Platz 1 oder mindestens in den Top 5.
Johannes Franke: Ich sag dir warum. Die Leute, die unglücklich singen, bringen sich halt gleich um. Dann bleiben nur die Glücklichen übrig.
Florian Bayer: Oh fuck, das ist aber ziemlich düster.
Johannes Franke: Sorry, aber das hat doch auch die Selbstmordrate, die man nicht haben will in einem Land.
Florian Bayer: Hat Finnland so eine hohe Selbstmordrate?
Johannes Franke: Ist das nicht so? Ich weiß nicht, aus meinem Kopf jetzt raus. Lass uns mal chatty, beaty fragen. Komm, hat Finnland eine hohe Selbstmordrate? Che Chee Pee Tee sagt, historisch hatte Finnland gesehen eine relativ hohe Selbstmordrate, insbesondere der 80er und 90er Jahre, was auch international Aufmerksamkeit erregte. Allerdings hat die Situation in den letzten Jahrzehnten sich deutlich verbessert. Aha. Und dann gibt es noch einen Haufen Zeug hier, noch eine Haufen Informationen, die gebe ich jetzt nicht wieder.
Florian Bayer: Was ich vor allem gefunden habe, ist, dass die Finnen unglaublich gut da drin sind, sich zu entspannen und einfach die kleinen Dinge zu genießen.
Johannes Franke: Sauna.
Florian Bayer: Genau, Sauna. Und es gibt dieses eine Wort dafür und ich finde es total geil. Dieses Ich versuche es auszusprechen. Wir werden heute, also wir haben uns schon mit Japanisch abgerufen, mit Russisch, mit allen möglichen Sprachen. Ich finde, Finnisch ist echt am schwersten von dem ganzen Schiff.
Johannes Franke: Du musst jeden Buchstaben wirklich sprechen.
Florian Bayer: Kalsarikenit. Kalsarikenit. Ich weiß nicht, die Betonung ist halt auch so ganz komisch im Finnischen. Es ist ein Begriff, ein fester Begriff in der finnischen Kultur für Entspannung und bedeutet tatsächlich wörtlich übersetzt so viel wie sich in Unterhose daheim hinsetzen. allein, ohne Gesellschaft und saufen. Und das Ding hat sogar ein Emoji. Die Finnen haben sowieso offensichtlich eine ganze Reihe an eigenen Emojis und es gibt ein Emoji von einer Frau, die in Unterwäsche auf dem Sofa sitzt und was säuft.
Johannes Franke: Sehr schön.
Florian Bayer: Das ist Finnland.
Johannes Franke: Das ist toll.
Florian Bayer: Und das ist vielleicht mit ein Grund, warum sie so glücklich sind. Die wissen einfach, du hast es auch noch gesagt, die wissen einfach, wie man nichts tut. Und das ist eine Kunst in unserer Zeit, in unserer Welt, einfach nichts zu tun.
Johannes Franke: Die haben auch die Geduld in Helsinki, wenn es richtig kalt ist und es ist da meistens richtig kalt, als Autofahrer lässt du jeden Fußgänger, egal ob er Recht hat oder nicht, vor. Weil der ist in der Kälte, du nicht.
Florian Bayer: Es ist total schön.
Johannes Franke: Und die nehmen sich die Zeit und sagen, nee, ich stehe jetzt hier mit dem Auto, was soll's, macht mal euer Zeug und dann fahre ich, wenn es soweit ist.
Florian Bayer: Und ich glaube, auch das ist so eine Attitüde, die wir auch in diesem Film finden. So diese kleinen Herzlichkeiten. So dieses, okay, du ähm, dir geht es nicht gut, ich sehe das jetzt, ich kann nicht viel machen, aber was ich machen kann, das mache ich halt. Da kriegst du halt nur eine halbe Kartoffel, aber das ist schon viel.
Johannes Franke: Genau.
Florian Bayer: Und das vielleicht auch noch dazu gesagt, wir haben ja hier das Thema Armut. Armut in Finnland und Helsinki. Und es gab tatsächlich in Finnland ein Problem, Nicht zwingend mit Obdachlosigkeit, sondern vor allem mit Toten. Viele Obdachlose sind gestorben, das wird auch in diesem Jahr dramatisiert. Die Winter in Finnland sind hart und ist halt. Menschen sterben dann einfach weg, wenn sie am Rande der Gesellschaft leben. Und Finnland gehört zu den Pionieren, was den Kampf gegen Obdachlosigkeit betrifft. Nämlich mit diesem Housing-Programm, das darum geht, dass jeder Mensch am Anfang vor allem anderen einfach mal eine scheiß Unterkunft brauchen. Dass das ein Menschenrecht ist, so was ganz banales. Das hat so in den 80ern, 90ern angefangen, dass sie gesagt haben, ey, wir müssen die Obdachlosenzahlen in den Griff kriegen. Und wie wir das machen, ist, wir sagen, jeder kriegt eine Wohnung. Egal, was danach kommt, egal, was sonst ist, du kriegst erst mal ein Haus und dann wird sich alles andere schon regeln. Und damit gehört Finnland zu den, es ist das einzige Land in Europa, in dem die Obdachlosenzahlen zurückgehen.
Johannes Franke: Ja, das ist krass. Aber es hat natürlich mit den Wetterbedingungen zu tun. dass man viel schneller sieht, wie unmenschlich das ist. Wenn du im Sommer irgendwo einen Haufen Obdachlose in der Stadt rumlungern hast, dann bist du genervt, aber du merkst nicht so schnell, wie krass das eigentlich ist. Während du an dem Wetter dann sofort siehst, okay, scheiße, das können wir uns eigentlich nicht leisten als Humanity, als Menschheit.
Florian Bayer: Weil du weißt einfach, in diesem Klima ist das ein halbes Todesurteil, vor allem für ältere Menschen. Und es gibt halt ältere Obdachlose. Und... Wir sehen das jetzt, im Berliner Winter haben wir das auch wieder gesehen. Es ist einfach, du siehst Menschen auf der Straße und du denkst, shit. Und bei uns gibt es ja sowas wie den Kältebus. Aber auch bei uns sterben Menschen an Kälte. Es ist so. Obdachlose erfrieren. Kurz zu den Zahlen. Es sind weniger als 5000 Menschen mittlerweile in Finnland obdachlos. 3600 war die offizielle Zahl, die ich gefunden habe, was extrem wenig ist. Und 2000 davon in Helsinki. Und das Ziel vom... Staat, der sich dann, also das Ganze hat so mit privaten Organisationen angefangen. Das Ziel vom Staat ist es, bis 2027 Finnland Obdachlosen frei zu kriegen. Und das heißt nicht das, was die Amerikaner unter Obdachlosen frei verstehen würden, nämlich mit Waffen durch den Park ziehen, sondern das heißt, den Menschen eine Wohnung zu geben und dass es denen einfach besser geht. Und das gilt als riesiges Erfolgsmodell und das wird ja auch unter anderem in Deutschland debattiert und auch in anderen Ländern, Gott sei Dank, dass dieses...
Johannes Franke: Housing first.
Florian Bayer: Housing first, genau. Dass das einfach total... total Sinn macht und dass Obdachlosigkeit in unserer modernen Wohlstandsgesellschaft nicht sein müsste. Egal, was dem alles im Weg steht. Klar, das sind auch psychische Krankheiten, spielen eine Rolle, dass Menschen Haustiere haben und dann nicht einfach in eine WG oder in Unterkünfte gehen könnten oder wollen und Alkoholismus und so weiter. Aber diese Möglichkeit, jedem einfach nur mal einen fucking Platz zum Schlafen zu geben, der beheizt ist, das muss drin sein. Das ist eigentlich ein Unding, dass wir im 21. Jahrhundert die Wohlstand, in dem wir leben, immer noch dem Phänomen der Obdachlosigkeit in der Form gegenüberstehen.
Johannes Franke: Und wir sollten nicht dafür spenden müssen, dass das klappt, sondern es sollte einfach von dem, was wir sowieso an Steuergeldern ausgeben, jedes Jahr einfach drin sein.
Florian Bayer: Auf jeden Fall. Das ist eine Aufgabe einfach des Staates. Ein guter Sozialstaat kümmert sich um dieses Problem und zwar genau in der Form, dass er sagt, nee, es gibt Dinge, die sind einfach essentiell. Und dazu gehört Essen, dazu gehört Luft zum Atmen. Und dazu gehört auch eine Bleibe zu haben.
Johannes Franke: Preaching to the choir. Ich glaube, ihr seid sowieso schon überzeugt. Ja. Ich will darüber jetzt nicht debattieren oder sowas. Aber der Film regt es natürlich an, darüber zu reden. Andererseits muss ich sagen, dadurch, dass der Film so wahnsinnig warmherzig ist, habe ich... nicht den Eindruck eines pressierenden, obdachlosen Problems entdeckt. Nein. Oder eines Problems von Armut, weil die scheinen ja nicht wirklich ein Problem zu haben. Die haben eine Heilsarmee, die sich kümmert, die machen schöne Schwurfs, die dürfen gerne tanzen gehen und helfen einander und sind füreinander da und haben ein Herz. Und alle Figuren, die nicht aus diesem Milieu kommen, die in diesem Film vorkommen, was wenige sind, werden nicht mit Herz gezeigt oder sowas. Ja.
Florian Bayer: Der Film wird oft auch als soziales Märchen bezeichnet. Er hat auch sowas Märchenhaftes. Total, ja. Also bis hin zu dem Punkt, wo man sagen könnte... Ist da nicht vielleicht auch ein bisschen schwierige Sozialromantik dabei?
Johannes Franke: Total.
Florian Bayer: Weil wir sehen hier die ganze Zeit Menschen am Rande der Gesellschaft, die alle in der einen oder anderen Form als ÜberlebenskünstlerInnen agieren und sich irgendwie durchschlagen und dabei aber den anderen nicht vergessen.
Johannes Franke: Sollen wir, während wir über Armut reden, Tee trinken? Oh ja,
Florian Bayer: bitte.
Johannes Franke: Und den kleinen Finger abspreizen, während wir die Tasse zum Mund führen.
Florian Bayer: Und ganz spannend ist, in diesem Film ja, wir erleben als Protagonisten einen Menschen. der in dieses Milieu hereingeboren wird und zwar als Mitvierziger, als Menschen in unserem Alter. Und zwar hineingeboren wirklich im wörtlichen Sinne, weil es ist fast so, es hat schon sowas Sakrales. Wir sehen einen Menschen sterben und wiedergeboren werden und jeder Mensch hat sein altes Leben komplett verloren.
Johannes Franke: Können wir da einmal drüber reden, ob das jetzt tatsächlich passiert oder ob das irgendwie ein Bild ist oder was? Also wie ist das gemeint im Film? Mal ganz kurz auf den Ablauf eingegangen. Wird da zusammengeschlagen, liegt da und schleppt sich dann da irgendwo in den Bahnhof hinein und wird dann von einem Bahnhofsmitarbeiter irgendwie gemeldet. Und dann kommt diese surreale Szene, wo die Ärzte ihn für tot erklären. Und er steht dann einfach auf, geht zum Spiegel, richtet sich die Nase und ist dann plötzlich im Umschnitt an einem Fluss und liegt da und wird gefunden.
Florian Bayer: Absolut surreal, ne?
Johannes Franke: Völlig surreal.
Florian Bayer: Er ist an der Maschine und die Maschine sagt, da ist kein Herzschlag mehr. Und der Arzt sagt, nee, das ist vorbei, der ist tot. Und dann gehen die auch weg und dann ist dieser Moment, und das ist der melodramatischste Moment dieses Films, der sonst nicht sonderlich melodramatisch ist, auch mit entsprechender Musik, die er dann hochschnellt und so komplett bandagiert. Wir sehen auch sein Gesicht überhaupt nicht. Und es hat was von einer heiligen Szene. Es hat so einen heiligen Pathos fast schon.
Johannes Franke: Ja. So ein Auferstehen. Aber ich finde, dass Alko Karosmeky sowieso den ganzen Film über eine Form von praktischem Spiel und sehr, sehr unprätentiösem Spiel pflegt. Und das tut er natürlich in der Szene auch, obwohl diese Musik da drin ist und so und das Ganze irgendwie ein bisschen religiös wirken könnte, finde ich, dass er sehr pragmatisch aufsteht, dahin geht und sich die Nase zurecht biegt, um dann wegzugehen. Ich finde es schon, es hat so einen Unterton, der sehr unreligiös plötzlich wieder wird. Und dadurch balanciert es das Ganze so stark aus, dass ich es irgendwie nicht mehr richtig fassen kann, aber auch irgendwie sehr geil finde, muss ich sagen.
Florian Bayer: Ich glaube, es soll so ein bisschen ein Was-wäre-wenn-Spiel vorbereiten. Oder als Parabel so ein bisschen dieses Was-wäre-wenn-etablieren. Und zwar, was ist, wenn ein Mensch aus dem Nichts entsteht? Also ein 40-Jähriger, der nichts hat, keine Vergangenheit, keine Güter. überhaupt keinen sozialen Wohlstand, weder materiellen noch sozialen Wohlstand, der einfach wirklich nichts hat. Was passiert mit diesem Menschen in unserer Gesellschaft und wer kann ihm helfen? Und wir sehen diese Menschen die ganze Zeit am Anfang am Tod balancieren. Und dann gibt es diesen Moment, das ist der Rand der Gesellschaft, wo du dann landest. Und das sind die Menschen, die dir helfen und das sind die Menschen, die füreinander da sind. Ich habe es vor allem als Gedankenspiel gesehen. Was wäre, wenn wir jetzt plötzlich einen 40-Jährigen ohne irgendwelche Voraussetzungen dahin stellen und gucken, wie der überlebt in der finnischen Gesellschaft und dann ist die Antwort so.
Johannes Franke: Das heißt, er ist auch nicht als Engel der... dahin kommt dann, weil er ja eigentlich tot ist und dann irgendwie das Gute aus den Menschen rausholt, so jesusgräßig.
Florian Bayer: Überhaupt nicht.
Johannes Franke: Ich nehme mich ja auch die ganze Zeit und denke, ja, die Leute werden auch ohne ihn die liebsten Menschen der Welt.
Florian Bayer: Auf jeden Fall. Man merkt es ja auch, die stehen zusammen. Also es gibt ja diese Szene ganz am Schluss, wo die Skins wieder auftauchen, die wieder verprügeln wollen und dann kommen plötzlich aus allen Ecken diese Menschen und stehen zusammen. Nee, wir haben viele Momente, wo wir sehen, dass diese Subgesellschaft, dass die komplett funktioniert. in ihrer ganz eigenen, merkwürdigen und ruppigen Art. Und um vielleicht so ein paar Sachen zu sagen, ich finde, eines der schönsten Zitate des Films ist, wenn dieser eine Typ ihm den Strom gelegt hat zu seinem Container. Er sagt, was schulde ich dir? Und dieser Typ antwortet, solltest du mich irgendwann mal kopfüber in einer Pfütze liegen sehen, mit dem Gesicht nach unten, bitte dreh mich auf den Rücken.
Johannes Franke: Und das ist die Bezahlung, mehr braucht er nicht. Alles schick. Das ist aber auch höchst illegal, was da gemacht wird mit dem Strom, oder? Es sieht super illegal aus.
Florian Bayer: Auch das in dem Containerleben ist komplett illegal. Da haben wir ja diesen Wachmann, diesen Container. Wasartige Figur.
Johannes Franke: Ich liebe ihn.
Florian Bayer: Diese Figur.
Johannes Franke: Ich find's auch total toll.
Florian Bayer: Wirklich ruppige Wachmann, der sagt, ey, ich mach dich so fertig und ich hab meinen Kinderhund.
Johannes Franke: Und dann der liebste Hund der Welt.
Florian Bayer: Aber auch dieser Typ, dieser Antilla, ist genau wie sein Hund. Ja, genau. Und der Hund wirkt nicht ruppig am Anfang. Der Hund wirkt von Anfang an so.
Johannes Franke: Aber er wird so eingeführt,
Florian Bayer: so erzählt. Aber Antilla ist so, oh, der ist ein harter Hund, der macht dich fertig, der verprügelt dich und so weiter. Das ist der liebste Mensch der Welt. Der liebste Mensch der Welt,
Johannes Franke: das ist so süß. Weil seine Wortwahl schon seinen... Ausdruck und sein Gesicht widersprechen seiner Wortwahl, total. Er guckt wie der liebste Teddybär, während er sagt, du, ich nagel dich an die Wand, wenn du das Geld nicht bringst und so. Und man denkt die ganze Zeit, du wirst gar nichts machen. Du wirst einfach nur ihn drücken einmal und sagen, es wird alles wieder gut.
Florian Bayer: Es gibt dann ja auch, es gibt wirklich immer mal wieder so diesen Neckereien auch zwischen ihnen, wo unser Protagonist zu ihm sagt, irgendeine Anspielung macht auf seinen Bauch und er merkt, mein Metabolismus hat damit überhaupt nichts zu tun und jetzt super süß.
Johannes Franke: Und ich finde diesen Dialog, wenn ihr ihm dann diesen komischen Container da verkauft für 100 die Woche, der ist super snappy, der Dialog. Das habe ich gar nicht erwartet von dem Film, weil der Film ja doch recht wortkarakter ist. Und dann kommt dieser wirklich schnelle Dialog zwischen den beiden, wo man wirklich auch ein bisschen durchsieht, dass der Regisseur mit den Schauspielern zusammengearbeitet hat, dass die wirklich eins nach dem anderen Du musst nicht darüber nachdenken, was der gerade gesagt hat, du sagst einfach schnell das Nächste. Dass das wirklich eins das andere gibt und es ist super snappy und sehr, sehr geil. Auch da gibt es tolle Zitate aus diesem Gespräch.
Florian Bayer: Aki Kaoris Meki ist ja bekannt für seine sehr trockene Inszenierung. Und angeblich sagt er zu seinen Schauspielern, sie sollen alles wegnehmen. Sie sollen keinerlei Gefühle zeigen. Es gibt diese Anekdote aus seinem berühmtesten Film, nämlich die Leningrad Cowboys, wo er diese fiktive Rock- Rockband nach Amerika schickt, Leningrad Cowboys Go America. Das war ein Film und die konnten kein Englisch. Und der Film ist komplett auf Englisch gedreht, deswegen auch sein bekanntester Film, weil sonst geht der halt auf Ninnig. Und er hat denen die englischen Dialoge vorgelegt und die wussten nicht, was da steht. Und die haben die einfach nur auswendig gelernt. Geil. Oh mein Gott. In diesem Film wird natürlich Finnisch gesprochen, das heißt die Leute wissen, was sie sagen, aber das Konzept dahinter ist dasselbe. Wir haben wirklich komplett trockene Delivery. Pan. Es ist nichts, es ist keine Regung, es ist keine Emotion. Menschen sagen Dinge und verziehen dabei keine Miene.
Johannes Franke: Ich denke mir ganz, ganz oft in dem Film, was hätte ich als Schauspieler gemacht? Was hätte ich versucht, da an Emotionen reinzulegen und zu machen und zu tun? Und ich finde es super geil, wie er sich zurückhält. Ich finde es wirklich toll, auch für die Texte und für die Figuren natürlich. Im Schiffscontainer, ich habe das Zitat rausgefunden, wann kann ich einziehen? Sobald ich den Rücken zugedreht habe und die Schlüssel, sehen Sie hier irgendwo ein Schloss? Nein, also machen Sie keine Haarspalte rein oder nehmen wir auch noch die Tür mit. Der Typ ist super.
Florian Bayer: Ja.
Johannes Franke: Es ist wirklich großartig. Der guckt natürlich, dass er irgendwie gut über die Runden kommt. Also er nutzt die Leute schon so ein bisschen aus. Also das mit den 100, was auch immer die Währung gerade ist. 100 Kronen, ich weiß nicht, keine Ahnung, was ist denn? Finnische Währung.
Florian Bayer: Ja, musst du auch gucken, 2003, ne? 2002, 2003 ist nochmal eine andere Zeit. Aber er muss auch wie alle anderen in diesem Film irgendwie über die Runden kommen. Und der denkt dabei natürlich auch an sich, das haben wir auch mit, oh Gott, diesen Namen, Entschuldigung, Njemin, Njemin, mit dem Alten, der ihn zuerst findet. Der ist dann ja auch, der kommt dann ja auch irgendwann mal so schnochend an und sagt, hast du eine Kartoffel für mich, eine Zähne und guck mal. Und jetzt habe ich Lohn, jetzt gehe ich erstmal ein Bier trinken, weil das ist der einzige Moment im Monat, wo ich ein Bier trinken kann, ohne dass meine Frau es bemerkt. Also sie wird es trotzdem bemerken, sie wird mich verprügeln, aber sie verprügelt mich nur, wenn die Kinder nicht dabei sind. Das sind natürlich Leute, die es gewohnt sind zu überleben und sich durchzukämpfen. Und die nehmen sich, was sie kriegen können. Und das widerspricht sich meiner Meinung nach auch nicht unbedingt, dass man trotzdem Solidaritätsgedanken haben kann. Ja.
Johannes Franke: Ich finde es interessant, wie diese Figur, gerade dieser Schauspieler, ich liebe ihn sehr für ein, zwei Szenen, die er da hat in dem Film. Gerade das, was du sagst, er hat gerade Lohn bekommen und mit welcher Chuzpe und welcher Großspurigkeit, die aber trotzdem noch sehr subtil gespielt ist, weil Akeka Rosmeike die ganze Zeit sagt, spiel gar nichts. Und trotzdem kommt durch, wie er in diesen Laden reingeht, so großspurig wie es ihm möglich ist und sagt, zwei Bier bitte. Ja. Weil er gerade Lohn bekommen hat und sich einfach freut und es einfach geil findet. Und der König der Welt ist in dem Moment. Ich finde es so süß, wie er das macht.
Florian Bayer: Und er ist so stolz drauf, dass er diesem Unbekannten ein Bier geben kann und das ist viel für ihn.
Johannes Franke: Ja, natürlich.
Florian Bayer: Das ist wirklich viel Geld für diesen Mann.
Johannes Franke: Und es ist super süß. Auch wie er da über seinen Alkoholismus so ein bisschen redet und mit seiner Frau, was für ein Problem das ist. Das Ding ist bloß, dadurch, dass Karos Meki so sehr in... Diese leichte Sozialromantik hineingeht und das auch so leichtfüßig inszeniert irgendwie, obwohl er so Deadpan ist, hat das keinerlei Schwere. Also es wird nicht problematisiert, dass er Alkoholiker ist und dass er eigentlich das Geld versäuft, was seine Familie gebrauchen könnte und so. Und seine Frau gibt ihm ja auch noch Geld. Hier, kauf bitte Milch und kauf Zucker. Ja gut, hier hast du noch Geld für den Alkohol. Das ist schon so ein bisschen okay.
Florian Bayer: Es scheint ja nicht mal groß problematisiert zu sein, dass in dem Container, in den der Protagonist dann einzieht, dass da vorhin im letzten Winter jemand gestorben ist. Wahrscheinlich erfroren. Es sind Sachen, also gerade diese ganzen sozialen Probleme, sind Sachen, die im Nebenbei fallen.
Johannes Franke: Total, ja, ja. Aber er macht das auch. Er lässt das immer wieder fallen. Das ist ja das Ding. Nur werden wir dann darauf gestoßen, dass der Film halt nichts damit macht sonst. Ja. Es wird halt einfach gesagt und du wirst einmal so ein kleines bisschen vielleicht auch rausgerissen aus der Story, weil du merkst, huch, stimmt ja, wir sind ja hier in einem durchaus prekären Milieu. Aber ja, ich weiß nicht, wie gut oder schlecht ich das finde oder ob ich da eine Wertung reinlegen möchte oder überhaupt nicht und dann sage, ja, das ist halt sein Stil. Weil er kehrt das schon unter den Teppich damit.
Florian Bayer: Er ist halt dann auch viel zu glücklich darüber, dass er zeigen kann. wie diese Menschen in diesem Milieu die kleinen Dinge genießen oder wie sie leben und wie das schön ist. Zum Beispiel, wenn wir sehen, wie Niaminan duscht und dann sehen wir, wie die Kids mit dem Wasser das da rein... Dann hat er diesen Kohletrichter, er steht draußen in dieser Wanne und dann, da wird es offensichtlich erhitzt, das Wasser, was sie dann da reinkippen und dann hat er seine heiße Dusche. Das ist eine total schöne Szene.
Johannes Franke: Total, ja, ja.
Florian Bayer: Wir sehen die, wie der Protagonist... seinen Container, den er neu hat, sauber macht. Und dann halt da Wasser reinkippt, dann mit dem Besen da alles auskehrt und wir sehen, okay, er schafft sich gerade ein Zuhause. Das ist nichts, das ist ein Container, das ist eine temporäre Obdachlose und es kommt, wo nichts drin ist. Er hat Strom gelegt, er hat Glück, dass er Strom gelegt hat, aber Wasser kriegt er vom Fluss daneben.
Johannes Franke: Oder vom Regen, der genau im richtigen Moment kommt, um die Kartoffeln zu wassern. Es ist so süß.
Florian Bayer: Genau, und der Regen ist genauso. Es gibt diese Schönheit darin, in diesem absolut einfachen, von der Hand in den Mund leben, gibt es diese Schönheit. Du gönnst dir was. Niaminan zieht, ich sage den Namen auf jede Art falsch, wie man ihn falsch sagen kann, zieht einen Anzug an, zu der Obdachlosenküche oder zu der Abendspeisung zu gehen. Es ist was Besonderes. Heute gibt es Suppe, heute gehen wir da zur Wohlfahrt und dann duscht er sich, dann zieht er sich diesen Anzug an. Er macht sich wirklich schick, als würde er raus in ein total feines Restaurant gehen. Es ist... Ja. So liebevoll.
Johannes Franke: Total, ja, ja. Ja, das hat so ein bisschen, ich habe gerade eben erst wieder The Kid von Chaplin gesehen. Und da gibt es das auch ganz viel, dass Charlie Chaplin als Obdachloser, beziehungsweise nicht Obdachloser, er hat ja dann mit dem Kind dann auch tatsächlich eine Wohnung, die er da oben bezogen hat, die aber aussieht, als würde sich jeder andere weigern, da einzuziehen. Er nutzt einfach, was er kann. Und er macht aber so mit so viel Würde diese Armut. Und er bringt dem Kind so viel Würde bei. Und genau das sehe ich hier auch. Und das liebe ich sehr daran. Ja,
Florian Bayer: ich würde sogar so weit gehen. Also wir sehen hier sehr viel Chaplin-Humor in diesem Film. Wir haben hier natürlich keine krasse Slapstick-Komödie. Aber wir haben diese kleinen Gesten und diese kleinen Handstreiche, die gemacht werden. So Dinge, die so alltäglich sind, aber so ein bisschen skurril, wie Sachen präpariert werden. Das haben wir bei Chaplin auch viel. Und das ist hier in dem Film oft da.
Johannes Franke: Und die Sentimentalität, die so ein bisschen drin ist.
Florian Bayer: Kaoris Mekki hat über seinen Film gesagt, er ist so lustig, dass man weinen will und so traurig, dass man lachen will. Und das ist auch dieses Lachen. War das The Kid? Und vielleicht einer Träne? War das The Kid?
Johannes Franke: Ja, das kann sein, ja.
Florian Bayer: Ein Film mit einem Lächeln und vielleicht einer Träne. Das trifft es eigentlich ganz gut. Viel trockener als Chaplin.
Johannes Franke: Viel trockener.
Florian Bayer: Viel trockener als alles, was man sonst an Magikomedien kennt. Also da ist Kaoris Mekki auch wirklich sehr unik, dass er diese Trockenheit... Die findet man auch in anderen Filmen von ihm. Die ist einfach sehr krass und die zieht sich komplett durch diesen Film. Und das ist was, worauf man klarkommen muss. Wenn man Probleme mit Lakonie hat in Bildsprache, im Schauspiel und im emotionalen Ausdruck, dann wird man mit diesem Film auch seine Probleme haben.
Johannes Franke: Ich würde behaupten, 90% der Leute, also zum einen die bei uns so zuhören und zum anderen glaube ich auch ganz fest, alle anderen könnten diesen Film durchaus, wenn man sich darauf ein kleines bisschen einlässt. Man muss noch nicht mal viel Effort. betreiben. Man muss sich einfach nur hinsetzen und offen bleiben und dann kommt dieser Film und du bist da drin. Also die anderen 10% tun mir leid. Aber wirklich, der Film nimmt dich an die Hand und sagt, entspann dich, guck einfach zu, hab Spaß und freu dich über die Wärme dieser Menschen. Bei Wärme dieser Menschen muss ich an die Kaffeeszene denken. Er geht nach Helsinki rein und will was essen, beziehungsweise
Florian Bayer: Er will Wasser für seinen Teebeutel haben, den er schon dreimal benutzt hat.
Johannes Franke: Genau, hat ja nichts. Er kann ja nicht damit rechnen, dass ihm irgendjemand das zu essen gibt. Sondern er geht halt in diese Bar rein und fragt, das kostet was, oder? Weil er es ja schon weiß. Aber er fragt trotzdem nochmal. Und sie sagt, mit dem herzzerreißendsten Tonfall überhaupt, Wasser kostet nichts, nimm. Krass, Mann. Und da kommt wieder zum Tragen, dass Karus Melke sagt, spiel nicht viel. Das hilft der Szene total. Wenn das jetzt noch sentimental gespielt wäre, das wäre eine furchtbare Szene. Wenn die sentimental werden würden, dann wäre der Zuschauer nicht mehr sentimental. Weil sie nicht sentimental sind, ist der Zuschauer sentimental. Das ist das Geheimnis dieser Szene und das ist großartig. Und er sitzt dann da und dann bringt sie ihm was zu essen und versucht ihm noch irgendwie das schlechte Gewissen zu nehmen, indem sie sagt, das würde sowieso weggeschmissen werden.
Florian Bayer: Ja.
Johannes Franke: Und es ist so süß und ich flenne in der Szene. Es ist toll.
Florian Bayer: Es ist auch toll, weil sie geht dann ja in die Küche und ruft diese alte Frau, die arbeitet und sagt, und dann gucken sie beide in diese Richtung. Und ja, es ist genau, es ist herzzerreißend. Es ist total schön.
Johannes Franke: Also die sind füreinander da und das ist schön. Eine Gesellschaft, so eine Utopie von einer Gesellschaft irgendwie.
Florian Bayer: Definitiv utopisch. Und irgendwie hat jeder so seinen Platz in dieser Gesellschaft. Wir haben diesen Typen, der in der Mülltonne lebt. Die heißt dann bei uns Oskar in der Tonne
Johannes Franke: Das ist so krass, das ist so comichaft Weil der Deckel auf Kommt dann so rausgesprungen Wie so aus so einer Box Und dann verschwindet er auch wieder in seiner Tonne Und dann wird erstmal eine Zigarette geteilt
Florian Bayer: Und dann sagt er noch kurz Naja, die streiken gerade Das ist echt blöd, weil es wird gerade kein Essen weggeschmissen Hoffentlich muss ich jetzt nicht Diät machen Hahaha Und so Figuren gibt es ganz viel in diesem Film. Auch so nebenbei, wir haben so diese ganzen kleinen Figuren. Und dann gibt es diese ein, zwei Momente, wo wir merken, okay, die bilden eine Gemeinschaft. Das ist zum einen natürlich ganz stark diese Schlussszene. Aber auch dazwischen, immer wenn wir diese Wohlfahrtsszene haben, die treffen sich alle bei der Wohlfahrt, essen ihre Suppe, hören ihre Musik. Und Stichwort Musik. Du hast schon das Wort Tango gesagt.
Johannes Franke: Oh, finnischer Tango. Leute, bitte googelt finnischen Tango und findet alles darüber raus. Das ist so toll. Tango hat sich ja entwickelt, das ist Ende des 19. Jahrhunderts entstanden. Und dann Anfang des 20. hat sich das so langsam rübergerobbt. Und es gab tatsächlich in Europa einen richtigen Tango-Hype. Und dann ist das natürlich auch in Russland gelandet. Und Finnland war damals Teil von Russland. Bis sich dann Finnland irgendwann losgesagt hat und es geschafft hat, unabhängig zu bleiben. Aber der Tango ist geblieben. Und sie haben ihre eigene Form dafür entwickelt. Der aus Dur ist Moll geworden.
Florian Bayer: Das ist so passend.
Johannes Franke: Und die Texte, die sie dafür schreiben, sind wahnsinnig melancholisch. und besingen ganz viel die Tragik des Lebens, aber auch die Resilienz, die sie haben. Und das ist auch ein ganz wichtiges Thema. Müssen wir auch gleich noch dazu kommen, was Chaos Mickey an Resilienz seinen Leuten gibt. Auch anscheinend filmübergreifend, nicht nur diesem.
Florian Bayer: Das Merkwürdige ist ja, dass das in Moll ist und dass das so wirklich traurige Texte sind. Wir haben hier die Texte auch, Gott sei Dank, untertitelt. Hattest du auch die Untertitel von den Songs?
Johannes Franke: Ja, ja, ja, ja.
Florian Bayer: Und trotzdem haben die so was lebensbejahendes.
Johannes Franke: Mhm.
Florian Bayer: Und ich finde, immer wenn wir diese Musikszenen haben, es ist großartig, die Chefin, die dann sagt, ja, ich habe ja früher auch mal gesungen, komm, ich bin jetzt auch Mitglied von dieser Rockband, die du da neu gründest. Und dann steht sie einfach da und singt ab sofort. Es ist jedes Mal auch ein Stück Lebensfeiern, egal wie viel Melancholie, egal wie viel Traurigkeit da drin steckt. Das feiert irgendwie das Leben. Und die Musik, das ist das, was ich tatsächlich, ich habe den Film schon länger nicht mehr gesehen. Ich glaube, das ist bestimmt. über zehn Jahre her, da ich den das letzte Mal gesehen habe. Was ich ganz stark in Erinnerung hatte, war dieses musikalische Momentum von dem Film. Dass er, eine Jukebox ist das, was er in dieses Ding gestellt kriegt. Das ist Zufall, das ist halt das, was sie gefunden haben. Dann hast du noch ein bisschen dein Media Center, dein Entertainment brauchst du ja auch irgendwie. Und dann ist dann halt Rock'n'Roll drin, das gefällt ihm offensichtlich. Aber von diesem Moment an ist der Film auch ein total musikalischer Film. Voll,
Johannes Franke: volle Kanne. Und ich liebe die Songs darin. Also die könnte ich wirklich... tagelang hören.
Florian Bayer: Großartige Musik.
Johannes Franke: Ganz tolle Musik.
Florian Bayer: Und so Musik, zu der ich überhaupt keinen Bezug habe. Ich hätte jetzt nicht mal sagen können, das ist Tango. Es ist irgendwie ein bisschen Rock'n'Roll, irgendwie ein bisschen Folk.
Johannes Franke: Ja, es ist ja auch Anleihen. Man muss dazu sagen, dass Karus Mäki tatsächlich gesagt hat, der Tango ist nun mal unsere Nationalmusik. Das sind Finne, das über uns gesagt hat. Der Tango ist unsere Nationalmusik. Okay. Und dadurch, dass das so früh reingekommen ist, hat sich der Schlager in... Finnland auch entsprechend entwickelt. Der Schlager hatte immer Tango-Anleihen. Und selbst wenn wir jetzt hier im finnischen Rock'n'Roll sind, ist der Weg irgendwie da. Du hast trotzdem manchmal mehr hörbar, manchmal weniger hörbar und manchmal schon gar nicht mehr da, aber viele, viele Tango-Anleihen drin. Und das finde ich sehr spannend. Finde ich total schön. Es gibt diesen einen Song, der wirklich sehr tango-esk ist, den sie singt tatsächlich, diese Chefin von der Heilsarmee. Der ist auch wirklich toll. Den mag ich total. Und wie sie da tanzen einfach auch. Es ist so süß.
Florian Bayer: Schön, dass sie dann alle anfangen mit zu tanzen.
Johannes Franke: Allein wie der erste Moment ist, wenn einer aufsteht, rübergeht zu einer der Damen, sich verbeugt mit einer Grazie und mit einer Würde und dann mit ihr da tanzen geht. Und dann der Umschnitt auf die ganze Gruppe, die dann da tanzt. Es ist so toll.
Florian Bayer: Es ist wunderbar. Es ist der Moment, wenn man sowas macht, wie die da so voll glücklich machen. So dieses Improvisierte. Okay, wir sind eigentlich ein Blasorchester. Wir haben bis jetzt immer einfach diese Blasorchester-Songs gespielt. Und jetzt haben wir diesen einen Schub... Rocksong in der Tubebox gehört und haben festgestellt, okay, wir haben Bock darauf, das zu machen. Und unsere Chefin zieht auch mit, geil, jetzt machen wir das. Und dann kriegen die die Leute plötzlich. Und auch hier ganz lakonisch inszeniert, wir haben hier nicht diesen großen Pathos wie bei Sister Act,
Johannes Franke: wo dann alle reinschneiden und hören wollen,
Florian Bayer: sondern es sind einfach ein paar Leute, die aufstehen und tanzen, weil es ihnen gefällt. Und dann gibt es halt ein paar Mal diesen musikalischen Abend da, aber ganz unprätentiös. Das ist keine große neue Sache, sondern sie machen jetzt halt auch ein bisschen das da. Und es ist wunderbar.
Johannes Franke: Ganz toll, ja.
Florian Bayer: Und ich finde, es hat halt immer, es hat einfach diese Rock'n'Roll-Vibes, obwohl es so schlageresk ist, obwohl es so, ja, so brave Musik ist, es hat irgendwie diese Lebenslust des Rock'n'Rolls.
Johannes Franke: Hat vielleicht auch was mit der Gitarre zu tun, der elektrischen und so.
Florian Bayer: Ja, und es steckt halt auch dieses Gefühl da drin, was wir haben, wenn wir Irma, zu der wir gleich zu sprechen kommen, kennenlernen. Wir sehen sie, wie sie abends nach Hause kommt, sich ins Bett. legt und Musik anmacht und da läuft also das ist einer der wenigen Momente, wo wirklich klassischer all die Rock'n'Roller, das liegt dann alleine im Bett und hört diesen Rock'n'Roll.
Johannes Franke: Und sie hat keinerlei Regungen, ne? Nichts! Weil also auch das, sie hat keine Regungen im Gesicht, macht dieses Radio an, diese Musik läuft los und ich denke, oh jetzt, jetzt geht's los, jetzt tanzt sie, jetzt macht sie, rastet sie aus, nichts. Sie macht genauso weiter, keine Regungen im Gesicht, keine Regungen im Körper, sie legt sich einfach nur hin und guckt dann sehnsüchtig dieses Radio an. Und es ist so krass.
Florian Bayer: Und ich denke in diesem Moment, diese Frau ist total Rock'n'Roll und niemand weiß es, aber sie ist es.
Johannes Franke: Sie ist es. Aber dieser Kontrast macht halt auch eine Tragik auf.
Florian Bayer: Absolut, total. Also Irma trägt die ganze Zeit so eine krasse Traurigkeit mit sich rum. Die wird sie auch nie los während des Films, genauso wie der Protagonist. Die haben beide diese Traurigkeit und umso stärker hauen dann die Momente von Glück rein. Und vor allem diese Momente von gemeinsamen Glück. Ist das nicht eine fucking großartige Liebesgeschichte, die wir hier haben?
Johannes Franke: Das ist so schön. Wenn wir gerade bei der Musik sind, ist natürlich diese Szene, wo sie sich aufs Sofa setzen.
Florian Bayer: Wollen wir uns aufs Sofa setzen und zusammen Musik hören?
Johannes Franke: Und sie sitzen da und der Beschluss allein, wir setzen uns aufs Sofa und hören Musik. Das ist so schön. Ach, ich liebe es.
Florian Bayer: Ach, großartig.
Johannes Franke: Vorher haben sie gekocht, beziehungsweise er hat alles ruiniert. Und dann sagt er auch,
Florian Bayer: man sieht, wie er Salz reinkippt. Er macht dieses eckige Fleisch und am Schluss nimmt er nochmal Salz und macht einfach drauf.
Johannes Franke: Und sie sagt, bist du sicher, dass ich nicht helfen kann? Weil sie sieht, was er da gerade ruiniert. Und er sagt, keine Sorge, ich glaube, es ist schon ruiniert. Das ist so ein toller Kommentar. Und es bleibt auch am Ende übrig, das Fleisch. Es wird nicht gegessen. Aber die Erbsen, die in der Dose geblieben sind, die waren gut.
Florian Bayer: Das ist der Beginn einer wunderbaren Liebe. Irma und M. M heißt der Protagonist. Und genau wie alles andere staubtrocken erzählt, wie sie miteinander flirten. Sie flirten miteinander, aber wie? Indem sie sich einfach nur angucken oder auch mal nicht angucken und ihre Sätze komplett monoton raushauen.
Johannes Franke: Da muss man aber auch wirklich gut geschrieben haben, damit das so funktioniert.
Florian Bayer: Wie schafft es Kaoris Mäki, dass... die so miteinander reden und trotzdem charmant wirken dabei. Das ist ja das Krasse. Es ist charmant, wie er mit ihr redet.
Johannes Franke: Total, ja. Also ich glaube, da kommen viele Sachen zusammen. Das eine ist natürlich der Text. Das andere ist das Milieu. Und das andere ist dann auch noch, dass die Lichtsetzung und dass die Kamera wirklich sehr gut für sie arbeiten. Teilweise rutscht der Film so ein bisschen in ein Lichtsetzen wie bei einer Telenovela ab. Aber nur in den Innenräumen. Manchmal. Aber es gibt auch wirklich, wirklich tolle Bilder. Allein wie er am Ende da vor seinem Container sitzt, als er herausgefunden hat, dass er eigentlich eine Frau hat und so. Und da sitzt und raucht und dann kommt sie dazu und sie umarmen sich. Das ist so ein tolles Bild. So ein Nachtbild, was einfach toll illuminiert ist.
Florian Bayer: Mich haben die Bilder teilweise, und ich weiß nicht, ob das sehr weit hergeholt ist, mich erinnern die Bilder an Hitchcock. Und zwar Hitchcock, als er den Farbfilm entdeckt hatte. Und zwar... es ist diese Abhebung der Protagonisten vom Hintergrund. Ich versuche es nicht zu technisch zu machen. Ich glaube, das ist auch gar nicht technisch. Kaoris Mackie mag es, in Gesichter zu filmen. Kaoris Mackie mag es auch, wenn Gesichter fast oder auch wirklich mal direkt in die Kamera gucken und ihre Sachen sagen. Und Kaoris Mackie mag es einfach so dieses typische, was eigentlich in den 2000ern noch gar nicht so stark war, dieses sehr viel mit Unschärfe im Hintergrund arbeiten. Bis zu dem Punkt, wo der Hintergrund künstlich wirkt. Und gerade diese Künstlichkeit des Hintergrundes in der Unschärfe, das ist was, was wir viel bei Hitchcock finden.
Johannes Franke: Okay.
Florian Bayer: Teilweise auch einfach, weil Hitchcock vor Bildschirmen gedreht hat.
Johannes Franke: Stimmt, ja.
Florian Bayer: Oder vor Greenscreens. Typisches Beispiel, Tippi Hedren sitzt im Boot und im Hintergrund sehen wir die Küste und das Meer. Ja,
Johannes Franke: das stimmt.
Florian Bayer: Wir haben hier Szenen, die sehr ähnlich wirken. Und wie gesagt, da hört mein technisches Verständnis auf. Ich weiß, dass es an der Linse liegt, wie die er gewählt hat, weil er hat ja nicht vor dem Greenscreen gedreht, sondern...
Johannes Franke: Nein,
Florian Bayer: Es ist tatsächlich an Schauplätzen gedreht.
Johannes Franke: Also du meinst, dass der Hintergrund besonders blurry ist.
Florian Bayer: Genau, besonders blurry und flach ist eine Unschärfe drin, aber es wirkt nicht wirklich wie eine Tiefe, sondern wir haben zwei Ebenen. Wir haben einen Person und wir haben einen Hintergrund. Wenn M zum Beispiel vor, er wohnt ja am Wasser, wenn M vor dem Wasser steht und wir sehen im Hintergrund die Bäume, die Wolken, das Wasser, dann ist das für mich Hitchcock. Dann ist Tippi Hedren auf dem Boot.
Johannes Franke: Okay, spannend. Aber wir haben keine Nahaufnahme in dem Moment von ihm, oder meinst du?
Florian Bayer: Nee, nicht so eine extreme Abnahme, aber wir haben so ein typischer Halbtotale, halt irgendwie so ein Körper. Und dann aber auch so Sachen, wenn sie bei der Wohlfahrt sind und wenn sie da in diesem Hof stehen, da wirkt der Hintergrund immer so ein bisschen abgehoben, dass es auch Universal-Studio-Gelände sein könnte. Ah, okay. Obwohl es das nicht ist. Und zumindest erinnert es mich an diese Hitchcock-Ästhetik.
Johannes Franke: Okay. Spannend. Vielleicht hat es in dem Fall was mit dem Licht zu tun. Weil mir fällt nur sonst ein, dass man eine sehr lange Linse nimmt. Also, dass man sich... mit der Kamera sehr weit weg stellt, um dann sehr nah ran zu zoomen, dann entsteht der Hintergrund als sehr komprimierter und vielleicht nicht mehr so dreidimensionaler Hintergrund und sehr blurry. Aber ob er das in dem Fall gemacht hat, die Bilder, die du jetzt gerade beschreibst, sind in meiner Erinnerung anders und nicht so erreichbar mit dieser Technik. Aber egal, wir machen keinen Podcast für Kameramänner.
Florian Bayer: Und alles steht ja im Dienst der Liebesgeschichte, über die ich reden wollte. Man ist so verliebt in dieses Paar M und Irma.
Johannes Franke: Es ist super. Es ist so schön.
Florian Bayer: Und auch hier wieder diese so kleine Dinge tun. Wir haben halt ihr Date im Wald. Dann sind sie im Wald unterwegs und suchen Pilze. Und er hat offensichtlich keinerlei Ahnung, was für Pilze man essen könnte.
Johannes Franke: Das sehe sogar ich. Er hat dieses Ding in der Hand und ich denke, wirf's weg. möglichst 200 Meter weg, damit es dann explodiert.
Florian Bayer: Es schreit sozusagen ich bin Gift, ich bin Gift. Also es würde eigentlich noch fehlen, dass ein Totenkopf draufgedruckt ist.
Johannes Franke: Aber es ist süß. Es ist so süß, wie es sich entwickelt. Wir sind am Anfang, als er sie das erste Mal so plötzlich küsst, dadurch, dass es so trocken alles ist, können wir nicht so gut in ihren Kopf reinsehen. Das heißt, wir wissen nicht, wie sie das eigentlich findet. Aber A, wehrt sie sich nicht. B, hat sie danach, direkt danach Gott sei Dank den Moment, wo sie die Hand so an die Wange nimmt, glaube ich, und sich so ein Stückchen wegdreht und man das Gefühl hat, ah, okay, das ist okay, das ist in Ordnung gewesen. Aber in dem Moment denke ich, uh, okay, was passiert hier?
Florian Bayer: Aber so unschuldig, wie er das macht. Ja,
Johannes Franke: natürlich.
Florian Bayer: Also er stiehlt ihr einen Kuss und zwar wirklich auf die Wange, ganz vorsichtig. Wir sehen ihr mal am Anfang überhaupt nicht lächeln. Wir sehen ihr mal nachher auch lächeln. Es gibt zwei Szenen, wo sie lächelt und wenn sie lächelt, geht die Sonne einfach auf, weil sie halt die ganze Zeit wirklich dieses Sch... Stoiche, nicht nur Stoiche, sondern auch wirklich dieses depressive Gefühl unten mit sich trägt. Und deswegen, genau, wir können nicht in sie hineinschauen, weil sie einfach, sie liegt da im Bett, sie hört diese Musik und sie ist, ihr Blick ist leer. Und das ist ja auch das Typische, was man sagt, das ist das Schlimmste an Depressionen, dieses gar nichts fühlen, nicht die Traurigkeit, sondern dieses komplett leer sein und komplett erschöpft sein. Und das hat sie ganz viel, auch bei ihrem ersten Date, wenn sie zusammensitzen. Und dann gibt es aber diesen Moment, wo sie zum Beispiel zusammen Auto fahren und er so sagt, so ich werde jetzt Musikmanager und Rock'n'Roll wäre gebracht und so weiter und sie so, wow, du bist ja voll in Fahrtkrasse, komm, du hast dein Leben wirklich in den Griff gekriegt. Und dann haben wir sie beide lächeln. Wir haben diesen Blick durch die Frontscheibe auf ihre beiden Gesichter, sie sitzen nebeneinander, sie gucken sich nicht an, beide lächeln. Es ist so schön.
Johannes Franke: Es hat dafür sich verdient in dem Moment. Absolut. Ja, hat lange darauf hingearbeitet, dass das mal geht, dass die mal lächeln.
Florian Bayer: Und dann gehen sie ja zu diesem Konzert und dann gibt es auch wieder so ein bisschen dieses Shaken mit Antilla. Wo Antilla sagt, ey, du darfst hier nur rein, wenn du ein Ticket hast. Und M sagt so, naja, ich habe das Ding organisiert, weißt du. Und so ein bisschen wieder so ein Schlagabtausch. Und auch wieder hier, niemand guckt sich an, aber M und Irma grinsen einfach.
Johannes Franke: Das ist super süß.
Florian Bayer: Sie haben Glück gefunden.
Johannes Franke: Was auch... zu diesem Wir helfen einander beiträgt, ist ein völlig unwahrscheinlicher und völlig unerwarteter Moment, wie er in der Polizeistation ist und er nicht gerade gnädig damit behandelt wird, dass er seinen Namen nicht sagen kann und sie ihm Absicht unterstellen. Und dann dieser Anwalt kommt.
Florian Bayer: Ist dieser Anwalt nicht großartig?
Johannes Franke: Der Anwalt ist ja großartig.
Florian Bayer: Komplett ein Gesetzbuch auf zwei Beinen.
Johannes Franke: Total krass. Und dieser Mann. ist tatsächlich genau das, was er da darstellt. Das ist halt Matt Wuri. Natürlich falsch ausgesprochen. Matti Wuri, der den Anwalt spielt. Das ist tatsächlich ein Anwalt, ein bekannter Anwalt, der sich auf Menschenrechtsfragen spezialisiert hat.
Florian Bayer: Und es ist so geil, wie er dann diesen Polizisten alles an Gesetzen runterbildet. Der Polizist guckt total irritiert und verzweifelt.
Johannes Franke: Ja, verzweifelt vor allem.
Florian Bayer: Schnappt sich ein Buch, muss nachschlagen. Sagt, Moment, ich hab hier was. Und der Anwalt einfach wieder so dat. Ja, aber dazu gibt es das und das und das und das.
Johannes Franke: Ich liebe diesen Blick auch von dem Polizisten. Er ist einfach großartig. Da steckt alles Mögliche drin in diesem Blick. Und vielleicht wirklich nur, weil Carlos Mecci gesagt hat, denk an nichts. Und der Rest fandet in unserem Kopf statt, weil der Schnitt einfach so ist, wie er ist.
Florian Bayer: Es ist so geil.
Johannes Franke: Aber es ist super.
Florian Bayer: Und er kriegt ihn raus damit.
Johannes Franke: Er kriegt ihn raus damit und er gibt ihm eine kubanische Zigarre. Und es ist tatsächlich so, dass dieser Typ, dieser Matimuri, Wuri, tatsächlich als großer Kenner kubanischer Zigarren bekannt ist.
Florian Bayer: Sehr schön. Wir haben auch was, das ist übrigens auch was, was mir sehr in Erinnerung geblieben ist, worauf ich mich auch wieder gefreut habe. Wir haben in diesem Film öfter die Szenen, wo Menschen sich dann einfach die Hand geben und in verschiedene Richtungen weggeben. Das haben wir mit diesem Anwalt, das haben wir dann später auch nochmal mit dem neuen Mann von Ems Frau. Oh,
Johannes Franke: das ist auch eine großartige Szene.
Florian Bayer: Und ich liebe diese... Trockene, ich sag das Wort trocken viel öfter als du, ich müsste eigentlich schon komplett betrunken sein. Diese trocken-lakonische Art sich zu verabschieden. Wir reichen uns die Hand und wir gehen wirklich so in einem 90 Grad, Moment ist es 90 Grad? 180 Grad. In einem 180 Grad Winkel voneinander weg. Es ist geil, es ist komplett gestellt, so verabschiedet sich kein Mensch.
Johannes Franke: Niemals.
Florian Bayer: Aber es ist die eleganteste Art der Verabschiedung, die man sich vorstellen kann.
Johannes Franke: Das hat fast was Westernartiges.
Florian Bayer: Ja, stimmt. Im Grunde haben wir ja auch so ein Stand-off zwischen dem Polizisten und dem Anwalt, die in dem Büro sind und die duellieren sich halt mit Gesetzestexten und der Anwalt ist definitiv überlegen. Aber wollen wir mal ganz kurz zu der Geschichte kommen, die dazu führt, dass der Anwalt überhaupt notwendig ist? Weil wir haben davor ja einen Banküberfall, der widerspricht. Uh, hallo Schicksal.
Johannes Franke: Wie krass ist das denn? Ich weiß nicht, was in Aki Karusmekis Kopf vorgeht. Eine Bank zu erfinden, die nur noch eine einzige Mitarbeiterin hat, der Rest ist deserted. Sie hat gerade noch so ein bisschen Geld da liegen im Tresor, ist auch noch ein bisschen was. Die Überwachungskamera funktioniert nicht mehr, das ganze andere Alarmsystem funktioniert nicht mehr, ist alles abgestellt. Aber sie sitzt da noch an ihrem letzten Tag und macht da noch Bankgeschäfte. Das ist super seltsam. Also auch so wie der Rest des Films auch von Zivilisation sonst außer dieser tollen Gemeinschaft befreit ist. Ah,
Florian Bayer: absolut, ja.
Johannes Franke: Es ist so krass. Und die sitzt da und rührt sich auch kaum, wenn dieser Bankräuber da reinkommt.
Florian Bayer: Das ist komplett entspannt. Das gehört vielleicht auch zu diesem Sozialromanchen, weil normalerweise traumatisiert dich so ein scheiß Bankräuber. Der hat ja auch eine Waffe und der schießt auch mit der Waffe. Und sie ist die ganze Zeit so, ja, die Überwachungsanlage hättest du jetzt nicht abschießen müssen, die war sowieso kaputt. Und M ist dadurch Zufall drin, weil er wollte ein Konto eröffnen, ging natürlich nicht, weil er keinen Namen hat, keine Papiere. Wie so viele, also wir sehen in diesem Film ganz viele Behördenversagen. Also wir haben es mehrmals, dass er versucht einen Job zu kriegen und die Möglichkeiten und die Fähigkeiten dazu hätte. Und es funktioniert einfach nicht, weil er halt nichts hat. Er hat keine Identität. Und auch deswegen kann er auch kein Konto eröffnen jetzt. Und dann stolpert er quasi in diesen Banküberfall. Und der Mann... überfällt die Bank, weil er sein eigenes Geld abheben will von einem eingefrorenen Konto, weil er beschuldet ist. Aber er will seine Arbeiter wenigstens noch bezahlen und deswegen will er genau diese 500.000 Kronen oder was auch immer es ist, will er abheben, damit er genug Geld zusammen hat, um seine Arbeiter zu bezahlen. Und dann sperrt er M. und die Bankmitarbeiterin in den Tresor ein und sie sitzen da und auch wieder dieser Ton des Films sie so, ja, wir werden sterben. Wir werden jetzt, wir werden ersticken.
Johannes Franke: Die sitzen so völlig... ungerührt da, bis sie dann den Schuh auszieht und da diese Sprinkleranlage anknipst quasi damit. Es ist so eine tolle Situation, wie sie da sitzen und er dann auch noch sagt, jo, kann ich noch eine rauchen?
Florian Bayer: Kannst du ruhig machen, ist sowieso nicht mehr lange Luft da. Wie geil, was für eine geile Reaktion auf das mögliche
Johannes Franke: Ende des eigenen Lebens.
Florian Bayer: Okay, gut, ja, dann rauche ich mal noch eine.
Johannes Franke: War sowieso nicht mehr viel übrig. Was soll's?
Florian Bayer: Genau, und dann trifft er aber diesen Bankräuber wieder und der Bankräuber sagt, naja, ich hab dich verfolgt tatsächlich, weil ich wollte ja eigentlich keine Probleme machen, aber pass mal auf, du könntest mir auch noch helfen und ich geb dir auch ein bisschen Bezahlung dafür. Ich hab das ganze Geld, das ich geklaut habe, in einzelne Umschläge verpackt. Könntest du das bitte den Arbeitern geben? Ich kann da nicht selbst vorbeigehen. Ich werd von der Polizei gesucht und ich hab nur Ärger und kannst du das bitte für mich erledigen? Und er sagt, ja.
Johannes Franke: Das selbst der Bankräuber. in diesem Film der netteste Mensch der Welt ist. Das ist so krass. Vor allem nur aus uneigennützigen Gründen das Verbrechen begehen, damit es anderen gut geht.
Florian Bayer: Und dann auch wieder radikale Sozialromantik. Aber nachdem wir diese Gesellschaft kennengelernt haben, in der er sich bewegt, dieses Milieu, verstehen wir das auch. Überhaupt kein Misstrauen. Der gibt ihm das ganze Geld in die Hand und sagt, liefere das bitte aus. Und er weiß, der wird das machen. Es gibt überhaupt nicht den Gedanken daran, dass der das klauen könnte, dass der sagen könnte, geil, damit setze ich mich jetzt ab. Der macht das, das ist sein Job.
Johannes Franke: Und ich denke das in dem Moment auch nicht. Erst in der Reflexion denke ich, Moment mal, da hätte es auch einfach behalten können. Aber der Film hat mich inzwischen so weit, dass selbst ich nicht einen einzigen Funken an misstrauenden Leuten gegenüber habe.
Florian Bayer: Und das zeichnet Cowries Mackie in diesem Film ganz stark aus. Absolutes Vertrauen in die Menschlichkeit. Ja,
Johannes Franke: total.
Florian Bayer: Und dieses so, wie gezeigt wird, wie Behörden scheitern. absolutes Misstrauen in Behörden und Institutionen und in Regeln, aber absolutes Vertrauen in die Menschen, damit umzugehen, selbst wenn sie am Rand davon stehen und gerade wenn sie am Rand davon stehen, das funktioniert einfach. Und die Bank hätte das nicht geschafft. Der Bank war es eingefroren, die Bank ist pleite gegangen, das Geld wäre verloren gewesen, wie auch immer. Aber diese zwei Typen, diese Outsider, die schaffen es und das Geld wird verteilt an die Mitarbeiter und alle sind zufrieden damit.
Johannes Franke: Alle sind zufrieden. Er macht das auch so ganz regungslos. Es gibt einfach nur die Zusammenschnitte. Hier hast du, hier hast du, hier hast du. Und das war's.
Florian Bayer: Das ist schon eine geile Montage, ne?
Johannes Franke: Wahnsinn.
Florian Bayer: Sie nicken sich zu, er gibt den Umschlag und gut ist. Erledigt.
Johannes Franke: Da fällt mir jetzt, sorry, jetzt muss ich den Rückgriff machen. Wir sind ja in der Geschichte so weit. Aber mir fällt jetzt, weil wir vorhin bei dem Musikalischen waren, noch diese Situation ein, wie sie die Jokebox einmal repariert haben. Ja. Und dann sitzen die da zusammen. Und das, was er anmacht ans Song und wie sie dann da sitzen, wie drei Cowboys mit ihrem Essen und einen amerikanischen Traum im Hintergrund hören. Also auch von Leuten gesungen, die als Verlierer einer Gesellschaft, die sagt, wir sind das Land der Hoffnung, aber selbst hoffnungslos sind, singen. Ich finde dieser Amerika-Bezug, der auch in der Zeit in Europa, auch in Deutschland stark war, dieser Hoffnungsträger, aber die Hoffnungslosigkeit, die gleichzeitig mitschwingt. Die ist so krass in der Situation. Ich muss an Vergiss Amerika denken. Vergiss Amerika war ein Film, das war mein erster Film, wo ich mitgespielt habe, in einer kleinen Rolle. Der Film ist so großartig und ich bin so glücklich, dass ich in diesem Film mitspielen durfte, weil da genau dieses Lebensgefühl mit beschwingt. Diese Hoffnung, die Amerika ausstrahlt, die aber eigentlich in absoluter Hoffnungslosigkeit endet.
Florian Bayer: Das ist so krass.
Johannes Franke: Und das findet sich glaube ich genau in der Zeit, so um die Jahrtausendwende, findet sich das besonders stark. Und danach wurde das alles sehr entmystifiziert. Also Amerika wurde ja dann schnell vom Sehnsuchtsort zum Hassobjekt und so mit ganz schlimmen Leuten, die da in der Politik waren und ganz großen Problemen, die sich da gezeigt haben und so. Vielleicht ist das wirklich eine Frage genau dieser, weiß ich nicht, zehn Jahre oder sowas, wo das so ein Hoffnungsding war, auch in Europa.
Florian Bayer: Ja. Das krasse ist ja, also Finnland ist da auch nochmal so was sehr Spezielles. Finnland war sehr stark mit der Sowjetunion verbandelt. Und das heißt, die haben seit Anfang der 90er, sind die nochmal in einer ganz anderen Situation. Also Finnland war immer so sehr stolz auf seine Unabhängigkeit. Ja,
Johannes Franke: ja, ja.
Florian Bayer: Traditionell bedingt, weil es irgendwie immer so zwischen Schweden und Russland hin und her gekickt wurde. Mal waren die Schweden an der Macht, mal die Russen. Und die Finnen haben halt immer versucht, sich mit dem zu arrangieren, der gerade da war. Und gleichzeitig immer versucht, den anderen zu benutzen, um mehr Unabhängigkeit zu kriegen. Und dann seit diesen... Seit dem Zusammenfallen der Sowjetunion in den 90er, Anfang der 90er Jahre, gab es diese extreme Westorientierung, die dadurch auch so eine extreme Kompensation, eine extreme Stärkung war. Der EU-Beitritt und dann die Euro-Einführung und dann gab es einfach diese krasse... Diese krasse Westorientierung. Der Westen ist unser Glücksort auch irgendwie und die westliche Kultur ist das, was uns da jetzt irgendwie rausreißt aus diesem, du hast schon gesagt, es sieht sehr sowjetisch aus noch in Helsinki, aus diesem sowjetischen Erbe und da wollen wir eigentlich raus. Wir wollen hier sitzen in diesem warmen, dämmerigen Licht mit einer Jukebox und amerikanischen Rock'n'Roll hören.
Johannes Franke: Ja genau. Ja und es macht eine ganz spezielle Stimmung in dieser Szene, die ich ganz großartig fand. Also die mich auch einfach an eine Zeit erinnert hat. die ich tatsächlich auch selber sehr bewusst erlebt habe.
Florian Bayer: Ja, es ist spannend. Also gerade Anfang der 2000er, dieses amerikanische Popkultur. Also sowas kommt ja immer ein bisschen in Wellen. Also wir hatten sowas, so dieses Sehnsucht nach der amerikanischen Popkultur finden wir im Rest Europas ja auch, zum Beispiel in den 50ern, 60ern.
Johannes Franke: Das stimmt, ja.
Florian Bayer: Aber genau Ende der 90er, Anfang der 2000er war das wieder sehr stark, auch dass Amerika so ein Sehnsuchtsort war.
Johannes Franke: Ja, quasi nicht nur der popkulturelle Sehnsuchtsort, sondern eben auch diese Hoffnung, die man damit verbindet, es zu schaffen. Der amerikanische Traum, der in Amerika ganz, ganz groß gehalten wurde und wir echt aus der Perspektive von außen gedacht haben, ja, das ist es und das wollen wir und dass wir das nicht durchschaut haben eine ganze Weile, dass das ja nicht so funktioniert und dass das nicht das ist, was... was uns alle hilft, was uns alle rettet oder so.
Florian Bayer: Vom Tellerwäscher zum Millionär ist ein Mythos.
Johannes Franke: Absolut.
Florian Bayer: Vom Millionärssohn zum Milliardär. Das ist das amerikanische Erfolgsversprechen.
Johannes Franke: Genau. Ja, und dann kommt dann noch der Begriff Resilienz mit rein, den ich eben auch wahnsinnig wichtig finde. Die Finnen haben ein eigenes Wort auch dafür. Sisu, das beschreibt so die Widerschaftskraft, die Entschlossenheit, allen Widrigkeiten irgendwie zu trutzen und was draus zu machen.
Florian Bayer: Ja.
Johannes Franke: Und das finde ich ein tolles Wort, was so ein bisschen ein ganz bestimmtes Gefühl dafür widerspiegelt, was man auch nicht so richtig übersetzen kann.
Florian Bayer: Du erntest deine sechs Kartoffeln und vier brauchst du für den Winter. Eine halbe kannst du abgeben, mit dreieinhalb kommst du auch gerade noch so über die Runden wahrscheinlich. Das ist es wahrscheinlich, das ist Sisu. Wie finden wir denn diesen Twist, dass dann doch nochmal sein altes Leben reinfliegt?
Johannes Franke: Ich finde es total wichtig. muss ich sagen. Ich habe mit Schlimmerem gerechnet, weil dann irgendwie, ja, und er kriegt sein Gedächtnis wieder und dann muss es irgendeine Synergie aus Altem und Neuem geben und so. Aber was ich wichtig finde, ist, dass das einmal reinkommt und dass er sein Gedächtnis nicht wiederbekommt.
Florian Bayer: Voll gut, ganz wichtig. Ich bin so glücklich darüber.
Johannes Franke: Ich finde es auch total toll, weil er einfach stattet seinem alten Leben einmal einen Besuch ab und guckt und sagt, aha, okay, ja gut, dann gehe ich mal wieder zurück. Sehr gut. Sehr, sehr gut.
Florian Bayer: Ich finde es ganz schrecklich, dass ein altes Leben plötzlich über diesen Film herfällt, wie so ein Fremdkörper und auf dieses neue Leben rein sticht. Und offensichtlich teilen ja auch Em und ihre Mama meine Gefühle. Die finden das nämlich auch richtig kacke. Aber genau was du sagst, der Film rettet das dann. Ja. Ich denke, oh nein, ich will nicht, dass er zurückgeht. Ich will nicht, dass... Das spielt keine Rolle. Er ist ein neuer Mensch. Er ist ein neuer Mensch. Und genau das erzählt der Film. Ja. Er geht zu seiner Ex-Frau. Und er fragt sie, wie war ich denn? Und fragt damit eigentlich, wie war dieser fremde Mensch, mit dem ich nichts zu tun habe? Und dann erzählt sie auch von einem Menschen, den wir uns überhaupt nicht vorstellen können. Das ist so krass,
Johannes Franke: weil auch der Typ, der dann reinkommt, den wirklich bezeichnenden Satz sagt, du bist ganz anders, als mir immer erzählt wurde.
Florian Bayer: Weil er ein anderer Mensch ist.
Johannes Franke: Und das ist so toll. Und es braucht nicht mehr als diesen Satz. Du brauchst nicht mehr Auseinandersetzungen mit, was habe ich gemacht und wie war ich? Und warum bin ich jetzt ein anderer oder ein besserer oder bin ich das oder nicht? Sondern du hast einfach diese neue Chance gekriegt, das neu aufzustellen. Und was der Film damit ja auch irgendwie sagt ist, es ist viel, viel weniger Nature und mehr
Florian Bayer: Nurture. Auf jeden Fall, ja.
Johannes Franke: Es ist nicht das, was du geboren bist, sondern es ist das, was du draus machst.
Florian Bayer: Ja,
Johannes Franke: das finde ich toll.
Florian Bayer: Und es passt halt auch wieder zu diesem Motiv, wie der Film einsteigt. Dass du sagst, wir erleben hier die Geburt eines Menschen. Und was davor war, ist scheißegal. Und er kann dann nochmal Hallo sagen. Er merkt, er hat mit dieser Frau irgendwie nichts mehr zu tun. Es gibt ein herzliches Verabschieden. Es gibt eine ganz großartige Szene, wo der neue Lava nochmal fragt, prügeln wir uns jetzt übrigens? Also nur so zur Frage. Ich bin bereit. Also hey, wir können loslegen. Und er sagt, nö, muss nicht sein, weißt du. Alles gut.
Johannes Franke: Warum sollten wir? Es ist super.
Florian Bayer: Und dann, du hast das Wort Besuch gesagt. Ich finde, das trifft ziemlich gut der Stadt. Diesem alten Leben nochmal einen Besuch ab. Aber klar, das ist nicht mehr sein Leben. Ja, genau. Das führt dann ja auch direkt in diese Szene über, wo wir nochmal erklärt kriegen, warum es für ihn richtig ist, dieses neue Leben anzunehmen. Nämlich, wo wir einmal ganz toll, ich stehe auf sowas einfach, die ganze Gemeinschaft steht zusammen und stellt sich diesen blöden Schläger. Und dann darf Antilla nochmal sagen, ja, ja, ich rufe gleich noch einen Arzt, aber lass die erstmal ein bisschen bluten. Wenn es dich nicht stört,
Johannes Franke: warte ich noch ein bisschen, bis ich den Krankenwagen hole. Das ist so schön, das ist ein toller Kommentar. Ja, ich finde es auch sehr, sehr schön, dass er dann wieder zurückgeht. Und einfach sagt, ja, er sitzt ja im Zug. Und was ich finde, was der Film richtig gut macht, ist, dass er nicht irgendwie sagt, und du hast übrigens ein Bankkonto und da ist jetzt Geld drauf und du kannst da jetzt alles Mögliche mitmachen und dein altes Leben gibt dir jetzt das hier in dein neues Leben mit oder so. Das wird ganz... Kleines bisschen damit angedeutet, dass er jetzt Sushi isst.
Florian Bayer: Ja, er kann sich was zu essen leisten.
Johannes Franke: Er kann sich Sake und Sushi leisten. Aber da wird überhaupt nicht drauf eingegangen. Gar nicht. Es steht halt vor ihm und er isst das, aber das war's. Mehr gibt's zu diesem Thema nicht zu sagen.
Florian Bayer: Genau, ganz super. Die kleinen Dinger. Ja,
Johannes Franke: genau.
Florian Bayer: Fünf Sitzüberleitung könnte zu unserer Top-3-Liste.
Johannes Franke: Wollen wir eine Überleitung nutzen in unserer Top-3?
Florian Bayer: Spielt schon den verdammten Jingle. Okay.
Johannes Franke: unsere Top 3. Wir haben eine Top 3. Was hast du dir ausgesucht?
Florian Bayer: Ja, heute habe ich dir das noch ganz schnell getippt. Es sind die kleinen Dinge im Leben.
Johannes Franke: Es sind die kleinen Dinge im Leben. Ja, ich habe jetzt nicht wahnsinnig viel Zeit gehabt, weil du mir das jetzt schnell heute noch geschickt.
Florian Bayer: Ich auch nicht,
Johannes Franke: aber ich glaube, ich habe ein paar schöne Filme. Ja. Wir machen Schnick, Schnack, Schnuck. Ohne Brunnen.
Florian Bayer: Natürlich ohne Brunnen. Also wenn man Brunnen hat, muss man noch was dazu packen, damit es wieder ausgeglichen ist. Okay, los. Schnick, schnack, schnuck. Schnick, schnack, schnuck.
Johannes Franke: Ah, fuck. Okay, also ich habe, oder darf ich jetzt?
Florian Bayer: Mein Stein hat gegen Johannes Schere gewonnen. Der gute alte Stein, der macht es immer.
Johannes Franke: Okay, das heißt, ich muss anfangen oder du darfst anfangen? Du musst anfangen. Okay.
Florian Bayer: Nice try.
Johannes Franke: Okay, ich habe auf meinem Platz 3 Big Fish.
Florian Bayer: Ah, ja.
Johannes Franke: Den wir gar nicht so richtig gut fanden am Ende. Leider. Aber was ich schön finde, ist den Gedanken aus den kleinen Dingen im Leben, die dir wichtig waren, eine riesige Geschichte zu machen. In der Retrospektive zu sagen. Das war ein riesiger Abenteuer. Das war ja unglaublich. Und dabei waren das nur so kleine Sachen, die halt passiert sind.
Florian Bayer: Der 2-Meter-Mann, den du getroffen hast, ist in deiner Erinnerung ein 4-Meter-Riese.
Johannes Franke: Genau.
Florian Bayer: Ja, toll. Das passt auf jeden Fall.
Johannes Franke: Fand ich total schön. Also den Gedanken, auch wenn der Film vielleicht am Ende doch gar nicht so gut war.
Florian Bayer: Mein Platz 3, Boyhood von Richard Linklater.
Johannes Franke: Ah ja, stimmt.
Florian Bayer: Der einfach nur Alltag zeigt und der es schafft, eine riesige Zeitspanne zu erzählen, nämlich von 10 Jahren. Nee, von zwölf Jahren sogar. Und dabei nicht zeigt, wie die Eltern sich scheiden lassen oder wie krasse Sachen passieren, sondern vor allem einfach den Moment zeigt, wenn ein Kind im Gras liegt und Coldplay hört. Oder wenn ein Kind mit seinem Vater beim Bowling ist oder seiner Schwester bei Harry Potter ansteht, um den neuen Harry Potter zu bauen und so weiter. Das sind die kleinen Dinge.
Johannes Franke: Toller Film. Wir haben darüber geredet. Wir haben auch über Big Fish geredet. Also ihr könnt euch diese Episoden gerne anhören. Wir scheinen dieses Mal dazu benutzen, uns einfach nochmal Werbung reinzuwerfen für alte Episoden.
Florian Bayer: Über was haben wir eigentlich in den letzten Jahren geredet?
Johannes Franke: Ja, möchtest du noch Tee plorieren? Komm, kriegst du noch ein bisschen was. Ja,
Florian Bayer: was ist dein Platz 2?
Johannes Franke: Mein Platz 2 ist Groundhog Day. Täglich grüßt das Murmeltier. Was ich total schön finde als Konzept. Weil der Film, der wiederholt ja einen Tag immer wieder.
Florian Bayer: Ja.
Johannes Franke: Und ich habe das Gefühl, dass dieser Typ, auch darüber haben wir geredet.
Florian Bayer: Crown Pot Bay, auch eine schöne Episode von uns.
Johannes Franke: Der Typ versucht wunder was zu produzieren und zu machen für diese Frau. Und am Ende sind es aber nicht diese Sachen, die er da irgendwie zusammenzaubert und seine Fähigkeit in Anführungsstrichen zu wissen, was als nächstes passiert, zu nutzen. Ja. Es sind am Ende die kleinen Dinge. Auf jeden Fall,
Florian Bayer: voll.
Johannes Franke: Und das finde ich total schön.
Florian Bayer: Sehr geil. Mein Platz 2, Anfang dieses Jahres leider verstorben, David Lynch, hat einen Film gemacht, den man von ihm gar nicht so erwartet hätte. Und zwar Ende der 90er, The Straight Story, wo er einfach mal erzählt, wie ein 70-Jähriger mit seinem Rasenmäher durch die USA fährt, um seinen Bruder zu sehen, mit dem er verstritten ist seit 10 Jahren, der aber jetzt einen Schlaganfall hatte. Und der Film macht nicht viel mehr, als zu zeigen, wie dieser alte Mann auf dem Rasenmäher sehr langsam, der Film ist auch sehr langsam erzählt, sehr langsam durch die halbe USA fährt, um seinen... Bruder zu finden und dabei auf Menschen trifft. Und wir haben triviale Gespräche, wir haben viele Momente von nichts. Und es ist total schön und einfach nur melancholisch und ein Abgesang auf den einfachen kleinen Mann und auf die einfachen Dinge, die das Leben lebenswert machen. Und ich bin fest davon überzeugt, wir haben den gleichen Platz 1.
Johannes Franke: Natürlich. Also wenn du ein guter Mensch bist auf dieser Welt.
Florian Bayer: Okay, pass auf, dann auf 3. 1, 2, 3. Amelie! Und es ist Wir akzeptieren keinen anderen ersten Platz.
Johannes Franke: Nein, natürlich nicht. Wie schön. Ach, Flo, ich hab dich gern. Ich dich auch. Schön. Ach, wie toll. Ja, fabelhafter Welt der Amelie. Es ist ein wundervoller Film aus dem Jahr 2001 von Jean-Pierre Jeunet, dessen Namen ich immer irgendwie falsch ausspreche. Jeunet, Jeunet.
Florian Bayer: Das war großartig.
Johannes Franke: Keine Ahnung. Jeunet. Und diese Frau einfach so als zurückgezogene Frau versucht, ins Leben zu finden, aber eben über kleine Dinge, die sie... im Leben anderer Menschen ändert und hilft und so ein bisschen versucht, anderen Leuten auf die Sprünge zu helfen. Vielleicht auch, um ihr eigenes Leben nicht auf die Reihe kriegen zu müssen, wie der Nachbar so schön sagt.
Florian Bayer: Und der Film haut es einem quasi um die Ohren, dass es die kleinen Dinge sind, die man genießen soll. Natürlich. Die Hand in Nüsse stecken, das Geräusch, wenn eine Trinkschale für eine Katze auf dem Boden... Und der Film steckt Steine springen lassen auf dem See, ich weiß nicht mehr. Keine Ahnung, egal.
Johannes Franke: Genau, irgendwo am Fluss.
Florian Bayer: Es ist einfach ein Film, der die kleinen Dinge abfeiert, die das Leben schön machen.
Johannes Franke: Toller Film. Okay, das ging schnell mit unserer Top 3. Okay, dann gehen wir mal zurück in den Film der Mann ohne Vergangenheit.
Florian Bayer: Ja.
Johannes Franke: Das war... unsere Top 3. Haben wir noch große Baustellen? Oder wie war das jetzt? Wir haben jetzt nämlich eine tolle Überleitung gefunden und spontan reingegrätscht. Aber wollen wir noch was über Karusmeki erzählen? Oder wollen wir noch irgendwas über irgendwas erzählen? Über Matti Pelumpä, der da einfach als Bild hängt. Der arme Matti Pelumpä war eigentlich... immer bei Karus Mäki dabei in irgendwelchen Filmen. Er hat ja den Ensemble-Gedanken groß gemacht in Finnland. Also Karus Mäki.
Florian Bayer: Der hat sehr gerne immer mit den gleichen Menschen gedreht.
Johannes Franke: Und Mati Pelompä ist halt 1995 leider verstorben an einem Herzinfarkt. Und das ist traurig gewesen. Vor allem, weil er auch nicht wahnsinnig alt geworden ist.
Florian Bayer: Ein Schauspieler, den wir übrigens auch... gesehen und über den wir geredet haben in unserer Night on Earth Folge, wo Jamush Seya von Kauri Smeki inspiriert eine Finnland-Folge gemacht hat.
Johannes Franke: Und überhaupt Jim Jamush und Aki Karusmeki, also das ist doch eigentlich klar, wo da irgendwelche Inspirationen herkommen, oder?
Florian Bayer: Die sind extrem dicht beieinander.
Johannes Franke: Wahnsinn.
Florian Bayer: Kauri Smeki macht seit 30, äh seit 40 Jahren Filme. Ja. 30 Stück hat er gemacht. Genau, sein Bruder hat auch ganz viele Filme gemacht. Er hat zusammen mit seinem Bruder eine eigene Filmproduktion gegründet.
Johannes Franke: Ganz am Anfang. Der erste Film, den er geschrieben hat, hat sein Bruder noch inszeniert.
Florian Bayer: Ja. Und Mika Kaurismäki ist offensichtlich der Mainstreamigere von den beiden, der so ein bisschen größere Projekte macht. Aki Kaurismäki war immer, in Finnland kennt man ihn, aber er ist außerhalb von Finnland kein großer bekannter Regisseur.
Johannes Franke: Wobei in Kreisen in Deutschland schon noch sehr, weil er hier sehr viele Preise, im Grenzland Film Festival glaube ich hieß das, hat er seine großen ersten Erfolge gefeiert, die dann... ihn in die ganze Welt getragen haben und so. Also zu Deutschland hat er schon auch eine eigene Verbindung noch.
Florian Bayer: Ja, Arte mag ihn, ne? Arte und Kanal betreiben ihn. Man hat so das Gefühl, die inszenieren oder finanzieren seine Filme ganz gerne mit.
Johannes Franke: Genau. Auch dieser Film, ne? Der wurde ja auch von Deutschland mitfinanziert.
Florian Bayer: Genau. Aber zum Beispiel, ich hab nochmal quer geguckt, man findet ihn nicht im offiziellen Streaming, ne? Also so bei Amazon oder sonst man. Ich hab noch eine DVD von dem Film. Es gibt auch keine Blu-ray zu kaufen. Bei neueren Filmen ist es ein bisschen anders. Also die andere Seite der Hoffnung aus dem Jahr 2000. 2017, der sehr ähnlich ist wie dieser Film. Der hatte ein bisschen mehr Öffentlichkeit vielleicht, aber Kaoris Mäki ist schon hier eher so ein Mann der Nichte und der Filmkenner.
Johannes Franke: Wenn ihr den online irgendwo findet, dann helft den anderen und postet einen Link irgendwie unter die Folge oder so. Auf unserer Webseite oder bei Spotify kann man ja auch kommentieren, weil der Film ist wirklich sehr, sehr schwer zu finden und ich verrate euch nicht, wie ich ihn gefunden habe.
Florian Bayer: Ich auch nicht. Können wir uns in Probleme bringen.
Johannes Franke: Deswegen, also helft uns gerne und den anderen.
Florian Bayer: Du hast auch nicht viel von Coris Mackey gesehen.
Johannes Franke: Nee, aber ich will unbedingt nach diesem Film. Es ist so toll. Es ist ja unglaublich, was für ein liebes Menschenbild er hat. Ja,
Florian Bayer: das dachte ich auch wieder. Ich habe wenig von Coris Mackey gesehen und ich dachte, oh, ich muss mehr von dem wieder sehen. Und ich glaube, es sind nicht alle Filme so warmherzig humanistisch. Aber wenn ich das richtig in Erinnerung habe, die neueren Filme sind es tatsächlich. Also die und was dann auch eher die sind, die ich gesehen habe, die haben alle dieses, das Herz am rechten Fleck.
Johannes Franke: Ja.
Florian Bayer: Und der Mann ohne Vergangenheit ist ein toller Einstieg auch für Kaurismäki, weil er trifft sehr gut. Also wenn man den Mann ohne Vergangenheit mag, dann ist die Chance, dass man viele andere Kaurismäki-Filme mag, sehr hoch.
Johannes Franke: Okay, sehr schön. Wollen wir noch zum Mann Kaurismäki noch ein paar einzelne Details nennen, weil ich finde es interessant, wie demonstrativ bis provokativ er im großen Kulturbetrieb sich geäußert hat zu politischen Themen von Finnland. Und auch sehr viele Sachen ausgeschlagen hat, wie zum Beispiel eine Nominierung zum Oscar. Er hat einfach gesagt, nee, das will ich nicht. Ich will nicht, dass ich hier zum ausländischen Oscar nominiert werde, weil mir die Politik von den USA nicht gefällt. Ja,
Florian Bayer: voll geil. Einfach mal konsequent. Ich würde den Oscar annehmen. Aber es ist einfach, man muss irgendwie so den Hut davor ziehen, dass er das so macht. Ja,
Johannes Franke: und auch, dass er das nutzt. Ich meine, es ist... Eine Sache, man kann den Oscar annehmen, aber er benutzt diesen Fakt, dass das etwas ist, was in der Öffentlichkeit steht und was ihn auch wahnsinnig viel zitieren wird, wenn er sagt, nein, nehme ich nicht an, weil er damit Aufmerksamkeit erregt und für die gute Sache. Dann ist ihm egal, ob er den Oscar wirklich bekommt oder nicht. Vielleicht hat er sich wirklich geschmeichelt gefühlt und hat gedacht, oh ja, schön. Aber ich nutze das lieber, um auf Missstände hinzuweisen. Das finde ich super.
Florian Bayer: Ja, total. Und vielleicht auch noch so zum Typ, zur Type Kauris Mäki. Das ist, wenn man den sieht, der ist beim Arthaus sehr beliebt. Das ist kein Arthaus-Typ eigentlich. Das ist so ein bisschen so ein Arbeiter. Vor 30 Jahren ist er nach Portugal abgeraunt und hat da eine Kneipe aufgemacht. Und dann kommt er halt mal alle Jahre, alle paar Jahre zurück nach Finnland, um einen Film zu drehen und dann ist er wieder in Portugal.
Johannes Franke: Er hat vor allem als Begründung gesagt, ich kann in Finnland nirgendwo mehr eine Kamera aufstellen. Das funktioniert einfach nicht mehr mit mir als Person.
Florian Bayer: Aber er ist so, als Typ ist er das, er ist ein Mann des einfachen Volkes. Und man hofft es ihm auch irgendwie ab und das ist auch das, was er in dem Film abfeiert. zum Beispiel in Jemmingen und M. sich unterhalten und der sagt, na, du siehst mir nicht wie ein Denker aus, du hast doch Arbeiterhände, das ist doch ganz klar. Und das ist, glaube ich, das, was Kauris Mäki auch mag. Und wenn man ihn sieht, merkt man, der Typ will eigentlich hinter einem Tresen stehen, in einer Bar und den Leuten Bier ausschenken. Das ist eigentlich seine Welt. Der will nicht auf den Filmfestspielen rumlaufen und Champagner schlürfen mit den versnobten Filmkritikern. Nein, nein, das ist seine Welt.
Johannes Franke: Ja, ich find's so süß, weil er irgendwann mal gesagt hat, ach, damals, das ist ja ein 90er, als ich einen... Portugal gelandet bin, hat man 13 Stunden gebraucht, um irgendwie nach Finnland zurückzukommen. Und jetzt, heutzutage, verdammt, ich brauch mehrere Tage, weil ich an jeder Kneipe anhalten muss. Das ist ein super Kommentar.
Florian Bayer: Auf jeden Fall, total.
Johannes Franke: Also er ist sehr, sehr bodenständig einfach als Typ. Absolut. Und das sieht man in den Filmen einfach auch an, finde ich. Ja,
Florian Bayer: total. Und wie gesagt, er macht alle paar Jahre seine Filme. Er hat jetzt auch nicht so einen krassen Aus... sondern sind so alle paar Jahre, dreht er mal. Er war in den 80ern deutlich produktiver, als er das jetzt.
Johannes Franke: Er ist ein bisschen älter jetzt,
Florian Bayer: muss man sagen. Ein bisschen älter, aber großartiger Typ, spannender Typ. Und ja, ich habe auch Bock, mal mehr von dem zu sehen. Und damit kommen wir auch irgendwie schon zum Fazit, zu dem Film, der diese Lust darauf, mehr von dem zu sehen, erzeugt hat. Vollkommen zu Recht. Also, weil es halt einfach echt ein schöner, toller, lakonischer, trockener Film ist.
Johannes Franke: Total, ja. Also es gibt gar nicht mehr viel dazu zu sagen. Wir haben den ganzen Film über ein bisschen Fazitze gesammelt, weil einfach, müsst ihr euch anschauen. Super lakonisch, ich trinke wieder Wein und super trocken, ich trinke noch einen. Und mit so viel Liebe für den Menschen. Und da verzeihe ich jede Sozialromantik, die vielleicht ein bisschen ein Märchen aufmacht, das nicht viel Raum für Probleme oder Problematisierung lässt. Aber dafür lohnt sich die volle Kanne.
Florian Bayer: Manchmal muss es auch einfach das Märchen sein. Wenn man geht aus diesem Film raus und man denkt, die Menschheit ist nicht ganz so im Arsch, wie ich gedacht habe.
Johannes Franke: Ja, genau. Wenn ihr eins mitnehmen sollt von der heutigen Episode, die Menschen sind nicht so im Arsch, wie man denken sollte. Die Menschen waren 2002 nicht so im Arsch, wie man hätte denken sollen.
Florian Bayer: Adi, vielen Dank, dass du uns Kauris Mäki entgegengeworfen hast.
Johannes Franke: Hadi, das war großartig. Ich habe wirklich mich sehr gefreut, als ich dann das Ding angemacht habe und festgestellt habe, dass du den besten Vorschlag seit 200.000 Jahren gegeben hast. Wirklich, ich liebe diesen Film sehr. Vielen, vielen, vielen Dank dafür.
Florian Bayer: Und wir steigen auch gleich nochmal aus mit toller, passender finnischer Tango-Musik. Das muss einfach sein in diesem Fall. Okay, flog in. Aber ansonsten, euch liebe... Leute da draußen, vielen Dank fürs Zuhören. Dir lieber Johannes, vielen Dank fürs Quatschen über diesen Film.
Johannes Franke: Vielen Dank, Flo. Es war wieder ein Fest.
Florian Bayer: Wenn ihr wissen wollt, was nächste Woche drankommt, dann haben wir nämlich kein Publikumswunsch, sondern Johannes hat einen Vorschlag für mich. Dann bleibt noch kurz dran. Bis dahin verabschiede ich euch mit Ich verabschiede euch mit der Trailer-Musik von Der Mann ohne Vergangenheit. Bis nächste Woche.
Johannes Franke: Tschüss. So,
Florian Bayer: Flo,
Johannes Franke: da ist noch was. Ja, bin bereit. Ich gehe in einen Bereich, der eigentlich deiner ist, weil du wesentlich mehr von ihm gesehen hast und ich damals Inland Empire nicht so gut fand. Aber Eraserhead.
Florian Bayer: Ah, großartig. Wir schauen uns das Debüt an von David Lynch. Ja. Gott lang für ein Debüt.
Johannes Franke: Genau. Super.
Florian Bayer: Ja, wir haben am Anfang dieses Jahres ist David Lynch gestorben. Und er hat ja ehrlich gesagt nicht mehr so viel gemacht an Firmen in den letzten Jahren.
Johannes Franke: Nee, er war auch krank und so. Aber ein wahnsinns Typ. Also wir werden vielleicht ein bisschen über David Lynch reden auch.
Florian Bayer: Sollten wir auf jeden Fall.
Johannes Franke: Um mal zu gucken, was er so mit sich bringt und was er so mitgebracht hat. Und er hat ja auch Möbel designt.
Florian Bayer: Er hat auch alles gemacht. Musik, Bildung, Kunst.
Johannes Franke: Er hat auch Klamotten designt. Also ein krasser Typ. Und ich würde mir gerne den ersten Film von ihm anschauen aus dem Jahr 1977, Eraserhead. Einfach, weil er mich so irritiert und verstört hat und mich trotzdem, vielleicht seh ich das heute auch anders, vielleicht bin ich nur noch verstört, aber damals sehr intrigued zurückgelassen hat. Sodass ich dachte, wow, okay, das geht also auch. Krass.
Florian Bayer: David Lynch hat meinen Filmgeschmack extrem geprägt, um das zumindest schon mal vorwegzunehmen für nächste Woche. Weil ich erinnere mich noch, als ich Lost Highway gesehen habe, Mitte der 90er. Und wahrscheinlich so einer der ersten arthausigen, surrealen Filme, die ich gesehen habe. Oder die ich so voll gesehen habe und gedacht habe, what the fuck? What the fuck did I watch?
Johannes Franke: Genau.
Florian Bayer: Und ich bin voll gespannt. Es ist lange her, dass ich Eraserhead gesehen habe. Ich freue mich drauf, den mal wieder zu sehen.
Johannes Franke: Ja gut. Ja geil. Auf ins Absurde.
Florian Bayer: Ja, guckt euch den Film auch nochmal an.
Johannes Franke: Genau.
Florian Bayer: Weil wir werden wie immer eine Menge spoilern. Und genau, ich glaube, es ist gut, wenn man nicht nur uns beide darüber quatschen hört, sondern... weiß, worüber wir überhaupt reden. Gerade bei den Schwissen.
Johannes Franke: Gerade bei diesem Film. Wir werden wahrscheinlich auch schwimmen, mit euch zusammen.
Florian Bayer: Ja, wir werden ein Gespräch haben, das die ganze Zeit in die Richtung geht, hä? Cool. Ja, dann bis nächste Woche.
Johannes Franke: Bis nächste Woche. Bis dann, ciao.
