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Kategorie: Drama

Episode 253: Werckmeister Harmóniák – Die Melancholie des Widerstands

János Valuska ist Mädchen für alles in dem kleinen Dorf in dem er lebt: Er trägt Zeitungen aus, bringt Kinder ins Bett, sorgt mit einer skurrilen Tanzperformance dafür, dass die örtlichen Trunkenbolde zur Sperrzeit nach Hause gehen. Vor allem aber kümmert er sich um den alten Musiktheoretiker György Eszter, der es als seine Lebensaufgabe betrachtet, die Falschheit der wohltemperierten Klänge zu enttarnen.

Es ist jedoch nicht nur die westliche Harmonielehre, die diese Tage zur Disposition steht. Ein Zirkus kommt in die Stadt, mit gerade mal zwei Attraktionen: Einem gigantischen Walkadaver und einem sogenannten Prinzen, der den Ruf hat überall Zerstörung und Chaos zu hinterlassen, wo er zu Wort kommt. Die Obrigkeit ist alarmiert. Tünde, Esters Ex-Frau, die mittlerweile mit dem Polizeichef liiert ist, erpresst János und Ester, ihr bei der Wiederherstellung der Ordnung zu helfen. Menschen versammeln sich auf dem Marktplatz. Feindseligkeit liegt in der Luft. Aufgestaute Wut entlädt sich. Gewalt eskaliert. Und die Unschuldigen und Schwachen geraten als erstes unter die Räder. Am Ende verliert János den Verstand, das Militär rückt an und nach all den Tumulten, nach all der Zerstörung bleibt nur ein verrottender Walkadaver zurück, der Este einen letzten Blick auf die Melancholie des Widerstands gewährt.

Werckmeister Harmoniak aus dem Jahr 2000, ein typischer Bela Tarr Film: Schwarzweiß, langsam, schwermütig… 145 Minuten lang. Ich habe 36 Einstellungen gezählt, die Meinungen gehen anscheinend auseinander.

Johannes, dein erster Tarr, aber nicht deine erste Konfrontation mit ungewöhnlich langsamer Dramaturgie.

Wie hast du sie in diesem Fall erlebt?

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Episode 247: Publikumswunsch und Geburtstagsgeschenk – Frau in Gold

Die Frau in Gold, das ist eigentlich die jüdische Kunstpatronin Adele Bloch-Bauer, porträtiert von Gustav Klimt in seinem wahrscheinlich berühmtesten Gemälde.

Der gleichnamige Film aus dem Jahr 2015 erzählt die – auf wahren Begebenheiten beruhende – Geschichte von Bloch-Bauers letzter lebender Nichte, Maria Altmann, die um die Jahrtausendwende versucht, das in den 30ern von den Nazis geraubte Gemälde von Österreich zurückzuerhalten. Gemeinsam mit einem jungen Anwalt, der ein Nachkomme des Komponisten Arnold Schönberg ist, und unterstützt von einem Wiener Journalisten kämpft sie gegen den Widerstand des österreichischen Staates, der das Ölgemälde als Teil seiner Identität betrachtet und um jeden Preis in einem Wiener Museum halten will. Ein Rechtsstreit, der sich fast zehn Jahre zieht: Von einer Anhörung in Wien bis hin zum Obersten Gerichtshof der USA.

Daneben gibt uns der Film immer wieder Einblicke in das Schicksal der Beteiligten: Die Entstehung des Bildes, der Terror der Nazis, Altmanns Flucht aus dem besetzten Wien… und am Ende finden Vergangenheit und Gegenwart zusammen.

Johannes, ich finde es ja immer spannend, wenn wir hier auch mal über Medien abseits des Films sprechen. Und mit dem Thema sind wir mal wieder bei der bildenden Kunst gelandet… und dann auch noch bei einem der berühmtesten Künstler des frühen 20. Jahrhunderts, auch wenn wir diesen selbst im Film kaum zu sehen kriegen: Also dann, was hältst du von Gustav Klimt?

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Episode 246: Three Billboards Outside Ebbing, Missouri und das Prinzip Versöhnung

Vor den Toren der Stadt Ebbing, Missouri, stehen 3 Größe Plakatwände, die vor kurzem noch vor sich hin gammelten. Jetzt steht dort in großen Lettern:

“Raped While Dying“, „And Still No Arrests?“, „How Come, Chief Willoughby?”

Obwohl Mildred Hayes sich diese Plakatwände nicht leisten kann, hat sie sie gemietet, um Aufmerksamkeit auf den Mord an ihrer Tochter zu lenken. Die Polizeiarbeit scheint dies ja nicht zu tun.

Natürlich ist die Polizei alles andere als begeistert und so beginnt ein Krieg zwischen den beiden Lagern, der die Gewaltspirale auf beiden Seiten nach oben treibt.

Ein Film über Vergebung, über Gerechtigkeit und über die Ambivalenz unserer Charaktere.

Ihren Mörder bekommt Mildred am Ende nicht, aber vielleicht einen durch Selbstjustiz gejagten Verdächtigen eines ähnlichen Verbrechens. Plor, mal abgesehen davon dass wir keine Fans von Selbstjustiz in der Realität, sind, wünschen wir Mildred in ihrem Filmuniversum dass sie den Typen zur Strecke bringen kann um ein bisschen closure zu bekommen, oder sehen wir eine andere Chance wie sie endlich zur Ruhe kommt?

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Episode 245: The Red Shoes – Traum und Alptraum in Ballettschuhen

Heute ist wieder Shari in unserem Podcast zu Gast und hat auch einen ganz besonderen Film mitgebracht. The Red Shoes aus dem Jahr 1948 ist ein in beeindruckendem Technicolor aufgenommenes Ballettdrama über eine Tänzerin, die sich zwischen dem Tanz und der Liebe entscheiden muss. Was wie die Prämisse für ein klassisches Drama klingt, entwickelt im Laufe des Films jedoch einen ganz eigenen Sog. Platziert in atemberaubenden Kulissen, mit wunderschönen Kostümen, großen Tanzeinlagen und nicht zuletzt einem surrealen Touch, der Vorbild nicht nur für Tanz- sondern im speziellen auch für Horrorfilme der kommenden Jahrzehnte sein sollte: Sowohl Suspiria als auch Black Swan haben sich hier reichlich bedient. Und spätestens wenn man die alptraumhafte Ballettszene im Zentrum des Films sieht, weiß man auch warum. In dieser transzendiert die Bühne und das Stück im Film wird zu einer fantastischen wie grotesken Parabel auf das Innenleben der Protagonistin…

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Episode 243: Nordkurve – Ein Film über die Fußballbundesliga und den Ruhrpott in den 90ern

Samstag ist reserviert für Fußball, Samstag ist Bundesligazeit. Das gilt heute ebenso wie in den 90ern. Adolf Winkelmanns Drama Nordkurve aus dem Jahr 1993 erzählt rund um den fiktiven Ruhrpottverein Union Dortmund Geschichten von Menschen, deren ganzes Leben sich um das runde Leder dreht. Da sind die Funktionäre, die verzweifelt versuchen, den Konkurs des Vereins aufzuhalten, selbst wenn dies bedeutet, die Hilfe eines schmierigen Spieler-Agenten in Anspruch zu nehmen. Da ist der Ersatzspieler, der schon die ganze Saison auf seinen großen Einsatz wartet, und versucht, die Langeweile in der Affäre mit einer älteren Frau totzuschlagen. Da ist der Mann dieser Frau, ein Ex-Profispieler und jetzt Kneipenbesitzer, der sich zusätzlich mit dubiosen Gelegenheitsjobs über Wasser hält. Und da sind natürlich die Ultra Fans, denen der Exzess und die Gewalt neben dem Platz ebenso viel bedeuten wie das Spiel auf dem Platz.

Eine lose Sammlung mal dramatischer, mal trivialer Geschichten, zusammengehalten durch einen rauen Pott-Charme und einen tiefschwarzen Humor… und nicht zuletzt durch eine ganze Riege von Leuten, die später eher in der Comedylandschaft berühmt werden sollten. Wenn ihr also schon immer mal Michael Kessler bei einer Beinahe-Vergewaltigung, Stefan Jürgens beim Zertrümmern einer Standiontoilette oder Piet Klocke beim Komasaufen zuschauen wolltet… ja, das gibt es hier zu sehen.

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Episode 242: In der Hitze der Nacht (1967)

Ich habe mir “in der Hitze der Nacht” immer als Erotikfilm der 70er Jahre vorgestellt. Entsprechend überrascht war ich, als der Film einen ganz anderen Turn nahm, als ich ihn vor kurzem endlich vor mir hatte.

Auch wenn Sidney Poitier, der hier einen Cop spielt, der eine gewisse Sexyness hat, würde mir jeder, der den Film kennt und liebt, den Kopf abreißen, der wüsste, dass ich kurz über eine Top 3 sexy Cops nachgedacht habe. Das Thema des Films könnte ernster nicht sein. Ein schwarzer Polizist strandet im Süden Amerikas in einem rassistischen Sumpf, wo er einen Mord aufklären soll. Er will nicht, er betont immer wieder, dass er einfach nur nach Hause will, aber die Umstände ziehen ihn tiefer hinein, bis er nicht mehr aufgeben will und kann, den Mörder zu suchen und zur Strecke zu bringen. Das Leben wird ihm nicht leicht gemacht. Morddrohungen und tätliche Angriffe muss er überstehen und mit dem nicht minder feindseligen Ortsansässigen Polizeichef klarkommen. Was bis zum Ende auch nur so halb gelingt.

Ein Film über den Stolz und Rassismus des Südens, der ihn blind macht für ordentliche Polizeiarbeit. Darüber dass schwarze Figuren auch Menschen sein dürfen sollten und nicht nur die Edlen die über jede Demütigung erhaben sind. Und natürlich vieles mehr und darüber soll geredet werden. Und ach was solls… auch über die Sexyness von Sidney Poitier. Phuuuu… Oder zieht das unsere Glaubwürdigkeit zu weit runter, Plor?

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Episode 241: Lohn der Angst (1953) – Action ohne Spektakel

Las Piedras, ein kleines Dorf irgendwo in Südamerika, ist das Babylon der Abgehängten und Gestrandeten: Kleinganoven, Tagelöhner, Menschen auf der Flucht vor ihrer Vergangenheit oder der Gegenwart. Es ist leicht hier zu stranden, umso schwerer aber rauszukommen, vor allem, wenn einem das nötige Kleingeld fehlt.

Etwas mehr als Kleingeld – 2.000 Dollar, immerhin heutige, inflationsbereinigte 25.000 $ – verspricht SOC den Männern, die sich auf eine Selbstmordmission begeben. Denn eines der Ölfelder des amerikanischen Unternehmens steht in Flammen und die einzige Möglichkeit es zu löschen besteht in Nitroglycerin, das mit LKW von Las Piedras bis zum Brand transportiert werden muss: 300 Meilen durch den Dschungel, über Schotterpisten, Berghänge hinauf und hinunter. Und jede kleinste Erschütterung kann das Ende der Mission bedeuten, und das des unglücklichen Fahrers, der sie angetreten hat.

Zwei Wagen werden losgeschickt, besetzt mit jeweils zwei Fahrern, mit dreißigminütigen Abstand, denn einer davon wird das Ziel mit Sicherheit nicht erreichen, so die zynische Prognose der Auftraggeber. Die Franzosen Mario und Jo steuern den ersten Wagen, der Italiener Luigi und der Deutsche Bimba Wagen Nummer zwei. Und der Rest ist pure Anspannung, getrieben von der Hoffnung, endlich genug Geld für ein neues Leben zu haben.

Le salaire de la peur, Lohn der Angst, aus dem Jahr 1953. Ich war sehr jung, als ich diesen Film zum ersten Mal gesehen habe, zu jung wahrscheinlich, um seine ganzen Nuancen zu verstehen. Ich habe ihn vor allem als extrem spannenden Actionfilm wahrgenommen, der erste Film, der mir gezeigt hat, das Action und Thrill auch ohne Spektakel gehen. Dass es dazu eine einstündige Exposition gibt, habe ich anscheinend vergessen… oder verdrängt… und so auch die kapitalismusskeptischen, gesellschaftskritischen – manche würden sagen amerikafeindlichen – Subtexte dieses Thrillerbrockens… und ja, auch die Teile, die alles andere als gut gealtert sind.

Aber auch mit diesen im Gepäck gibt es natürlich nur eine logische Frage für den Einstieg: Johannes, wie viel Geld müsste man dir anbieten, damit du dich auf eine solche Mission begibst?

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Episode 239: Das Fest und die Dogma95-Bewegung

Helge Klingenfeldt-Hansen wird 60 Jahre alt. Und wie alle zehn Jahre lädt der Hotelier und Patriarch die gesamte Familie in sein Hotel ein, um den runden Geburtstag gebührend zu feiern. Dieses Mal auch um den Schmerz des vergangenen Jahres ein wenig vergessen zu lassen.: Denn seine älteste Tochter hat sich vor kurzem umgebracht und ist bei diesen Feierlichkeiten allenfalls als Geist anwesend.

Das soll die Festgesellschaft jedoch nicht am Feiern hindern. Es wird getrunken und gespeist, es wird getanzt und gesungen, und natürlich werden auch Reden gehalten… Mehrere Reden, die den Abend entscheidend beeinflussen werden.

Die wichtigste Rede stammt von Helges ältestem Sohn Christian. Vor der gesamten engeren und weiteren Familie erzählt er, dass Helge ihn und seine – nun tote – Zwillingsschwester vergewaltigt hat, als sie noch kleine Kinder waren. Ein Donnerschlag direkt hinein in das zuvor so ausgelassene Fest. Man versucht es wegzulächeln, man versucht es als Lüge abzutun, man versucht sich der Geschichte zu entziehen… man versucht weiterzufeiern. Aber angesichts der im Raum versammelten Lügen, Vorurteile und unausgesprochenen Konflikte geht die Feier einem dystopischen Ende entgegen.

Festen von Thomas Vinterberg, der erste Dogma 95 Film, gedreht nach einem starren Regelkatalog, den der dänische Regisseur gemeinsam mit Lars von Trier festgelegt hat. Ziel: Antikunst, Immersion, Authentizität fernab jeglicher künstlerischer Eitelkeit. Johannes, ich versuche es mal vorsichtig ganz allgemein: Wie hast du den Film zum einen aus künstlerischer, zum zweiten aus emotionaler Perspektive wahrgenommen?

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Episode 236: Der Blaue Engel – Marlene Dietrich und Professor Unrat

Der Gymnasialprofessor Immanuel Rath hat hohe moralische Ansprüche an seine Schüler. Und als diese anzügliche Bilder einer Varieté-Dame austauschen, macht Rath sich auf, das Etablissement zu shamen und aufzufordern die Jungen nicht weiter zu korrumpieren. Apropos, korrumpieren: Professor Rath lässt sich sehr leicht vom verführerischen Nachtleben korrumpieren und wirft schnell sein eigenes respektables Leben über Bord, als er sich in eben diese Tänzerin und Sängerin Lola Lola verliebt.

Sie lässt sich drauf ein, sie heiraten, Immanuel Rath verliert seinen Job, verarmt und wird zum Clown der umherreisenden Truppe. Seine Frau lebt ihr Leben weiter, er scheitert daran. Als sie wieder in seiner Heimat auftreten und er als Clown auf der Bühne vor seinen ehemaligen Schülern und Kollegen gedehmütigt wird, schleppt er sich mit letzter Kraft in seine ehemalige Schule und stirbt dramatisch am altehrwürdigen Pult, von dem aus er dereinst seine Moralpredigten hielt.

Eine Literaturverfilmung die durchaus einige Änderungen durchgemacht hat, bevor sie in dieser Form auf die Leinwand kam. Plor. Hast du das Buch gelesen? Und bist du einverstanden mit dem, was der Film draus macht?

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Episode 234: Jules und Jim – Romantik in der Nouvelle Vague

Die titelgebenden Jules und Jim lernen sich im Jahr 1912 in Paris kennen: Ein Österreicher und ein Franzose, die die Liebe zur Literatur, zur Pariser Boheme-Szene und zu den Frauen teilen. Als Catherine in ihr Leben trifft, wird aus dem Paar ein Dreiergespann. Beide verlieben sich in die unkonventionelle, lebenshungrige Frau: Aber weil Jules sagt “die bitte nicht!” lässt Jim seinem besten Freund den Vortritt.

Der Weltkrieg trennt das Trio. Jules und Catherine heiraten und bekommen eine Tochter. Jim besucht sie nach dem Krieg in ihrer neuen Heimat am Rhein… und wieder entfacht sich die Zuneigung der drei zueinander. Obwohl die Ehe von Jules und Catherine ständig Gefahr läuft zu scheitern, entwickeln die drei ihre ganz eigene Utopie von einem gemeinsamen Leben, inklusive Affären und dem Austragen von Konflikten. Am Ende sind es Jim und Catherine, die zum Paar werden, während Jules glücklich darüber ist, weiter ein Teil ihres Lebens zu sein. Aber auch dieses Glück ist nicht von Dauer.

Jules und Jim aus dem Jahr 1962, einer der Klassiker der Nouvelle Vague, von Francois Truffaut, der so etwas wie der Godfather dieser Bewegung ist. Nicht so wild wie Louis Malle, nicht so experimentell wie Jean-Luc Godard, aber dafür mit einem ganz eigenen Gespür für die Psychologie des Mediums.

Johannes, sehen wir hier eine reine Liebe zu Dritt? Oder die Unmöglichkeit einer solchen? Oder was ganz anderes?

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