Kategorie: 2020er

Episode 216: The Wild Boys – Sex, Gewalt und Genderfluidität

Irgendwo im nirgendwo irgendwann zu Beginn des 20. Jahrhunderts leben fünf reiche, verzogene Jungs, die versuchen, ihre Langeweile mit Exzess zu betäuben. Aus Begehren wird Raserei und die Bande begeht ein schreckliches Verbrechen. Sie werden verurteilt und sollen zur Resozialisierung mit einem bärtigen, ruppigen Kapitän auf See. Die Überfahrt soll sie zu neuen Menschen machen, so zumindest das Versprechen.

Über die rauhe See bringt sie der Kapitän zu einer Insel der Lüste, bevölkert von phallischen und vulvischen Pflanzen… und einem Dr. Moreau in einem Frauenkörper, der aber im Gegensatz zum viktorianischen Vorbild nicht an der animalischen Seite des Menschen interessiert ist, sondern seiner feminen. Und so erleben die Jungs einen Sex- und Genderswap, der sie in der Tat zu neuen Menschen macht… oder auch nicht.

The Wild Boys von Bertrand Mandico aus dem Jahr 2017 ist so etwas wie Clockwork Orange auf Aphrodisiaka. Eine hitziger, sexuell aufgeladener Fiebertraum, erzählt in schwarzweiß mit grellen Farbintermezzi. Gewalttätig, stilisiert, queer und provokant, so als hätten Alejandro Jodorowski, Judith Butler und Charles Baudelaire einen hypersexuellen Bastard gezeugt. Die Jungs werden ausnahmslos von Frauen gespielt, erleben irgendwann auch in der Handlung körperliche Transformationen und erleben das ganze, ähnlich wie das Publikum sowohl als Traum als auch Alptraum. Sehr surreal, sehr romantisch, sehr brutal und zugleich sehr eskapistisch.

Johannes, deine Skepsis gegenüber experimentellen, surreal opulenten Filmen hast du in der Vergangenheit des Öfteren bewiesen. Und ich kann mir vorstellen, dass die Vermengung von Sexualität und Gewalt in diesem Film für dich problematisch ist. Also komm doch einfach mal mit deinen ersten Eindrücken.

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Episode 209: Hamilton – US-Geschichte als multikulturelles Musical

Wir starten das neue Jahr mit einem echten Banger: Hamilton ist möglicherweise das bekannteste und am meisten diskutierte Musical, das den Broadway in den letzten Jahren heimgesucht hat. Hamilton, uraufgeführt 2015, für Disney+ von der Bühne abgefilmt und online veröffentlicht 2020, versucht amerikanische Gründungsgeschichte und amerikanischen Gründungsmythos als große Revue zu inszenieren. Ausgerechnet Alexander Hamilton, einer der unbekannteren Gründungsväter, soll uns dabei durch den Kampf und Unabhängigkeit und die Entstehung einer Nation führen. Und das zeitgemäß aufgearbeitet als buntes Musical mit PoC-Darsteller*Innen, parlamentarischen Battle Raps und King George als Britpop-Schnösel. Kann das gut gehen?

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Episode 196: Skinamarink – Der unheimlichste Horrorfilm der letzten Jahre?

Es ist Nacht in einem typischen amerikanischen Mittelschichtshaus im Jahr 1995. “Are you hiding” ertönt eine Kinderstimme durch die Dunkelheit. Sturzgeräusche. Dann die Stimme eines Mannes am Telefon. Irgendjemand – vermutlich ein Kind – ist die Treppen hinuntergestürzt. Ließ sich aber problemlos behandeln, erfahren wir durch die Stimme des Mannes am Telefon. Stille Dunkelheit….

Die vielleicht sechsjährige Kayleigh und ihr jüngerer Bruder Kevin wurden anscheinend allein gelassen. Zumindest sind ihre Eltern nicht zu Hause. Sie machen es sich unten gemütlich, schauen Cartoons. Spielen Lego. Aber irgendetwas stimmt nicht mit ihrem zu Hause: Türen und Fenster lösen sich auf, Spielzeug hängt plötzlich an der Wand oder an der Decke. Und dann ist da noch diese Stimme, die sie durch die Dunkelheit ruft.

Skinamarink war ein kleiner Überraschungshit im Jahr 2023. Mit gerade Mal 15.000 Dollar Budget hat er die Aufmerksamkeit zahlloser Influencer auf sich gezogen und wird seitdem als einer der unheimlichsten Filme unserer Zeit gehandelt. Ein irrer Horror-Hype, allerdings nicht ohne Widerspruch.

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Episode 186: Barbenheimer II – Barbie

Stereotypical Barbie, gespielt von Margot Robbie, lebt mit ihren Freundinnen in Barbieland, einem wunderschönen Plastikort, fernab jeglicher weltlicher Probleme. Zusammen mit den anderen Barbies geniesst sie dort ein sorgenfreies Leben. Und dann gibt es natürlich noch die diversen Kens, allen voran Beach Ken, gespielt von Ryan Gosling, die in diesem Matriarchat vor allem dafür verantwortlich sind, gut auszusehen und Barbie zur Seite zu stehen.

Aber etwas ist komisch in letzter Zeit: Barbies Milch wird sauer, ihr Toast ist verbrannt, sie ist geplagt von Gedanken über den Tod, und am schlimmsten, ihre Füße neigen sich zum Boden. Ganz klar, daran muss ihre Besitzerin in der realen Welt schuld sein. Und so macht sie sich mit dem ungebetenen Fahrgast Ken zusammen auf den Weg in die echte Welt, naja fast, es geht nach Kalifornien, um ihr Leben wieder in den Griff zu kriegen. Dort wird sie allerdings nicht nur von den oberen Chefs ihres Herstellers Martell gejagt, Ken lernt auch so etwas wie das Patriarchat kennen und bringt dessen Ideen erfolgreich nach Barbieland: Und plötzlich muss sie gleich mehrere Krisen bewältigen: Ihre eigenen Selbstzweifel überwinden, Barbieland aus der Hand des Masochismus befreien und den Konflikt mit ihrer Besitzerin klären.

Barbie aus dem Jahr 2023, Marketingvehikel für Martels berühmte, viel kritisierte Puppe, ein Musical mit bemüht feministischem Subtext, ausgerechnet von einer der besten Indie-Regisseurinnen Amerikas, und dann doch auch noch eine Verbeugung vor dem Spielzeug, das viele Kinder, vor allem Mädchen, glücklich gemacht hat. Eine merkwürdige Mischung… aber bleiben wir kurz bei dem letzten Punkt stehen: Der Nostalgie, dem Spielzeug und einer gar nicht so unwichtigen Frage: Johannes hast du in deiner Kindheit mit Barbie gespielt, hattest du Kontakt zu der Puppe, und wie viel Nostalgie verbindest du mit ihr?

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Episode 185: Barbenheimer I – Oppenheimer

Julius Robert Oppenheimer, der Vater der Atombombe. Ein Vater, der sich reuevoll zeigt, ob seiner Kreation. Christopher Nolan sieht eine in sich gespaltene Figur (Pun intended!). 

Nolan setzt sich hin und versucht die Episoden in Oppenheimers Leben zusammenzutragen, die einem nachvollziehbaren Narrativ folgen: Oppenheimers Studium als junger Mensch. Sein Versuch, seinen Professor mit einem vergifteten Apfel zu strafen. Seine Obsession mit Nils Bohr und mit der Quantenmechanik. Wie er vom Militär angeworben wird, das Manhattanprojekt aufzubauen und zu leiten. Wie er andere Physiker überzeugt, dass es wichtiger ist, vor Hitler die Atombombe zu bauen. Und schließlich, wie sie die Atombombe auf einem Testgebiet zünden.

Aber, oh wai!. Nolan will auf 180 Minuten kommen, damit der Film länger ist, als sein bisher längster Film. Dann lass uns noch hinten ran hängen, wie die Bombe wirklich eingesetzt wird und wie er von Strauss, seinem Arbeitgeber und Weggefährten hintergangen wird und seine Sicherheitsfreigabe in einem bösartigen Tribunal verliert.

Oh Wait. Es ist ja Chris Nolan, er kann das Ding nicht einfach geradeaus erzählen. Dann werfen wir mal alle Teile der Geschichte in den Mixer, mal sehen was passiert. Oh, ein paar Teile haben die Farbe verloren…? Was soll’s. Die Reihenfolge der Ereignisse ist auch schwer wiederherstellbar, naja. Ich sag mal so: KUNST.

180 Minuten erzählt Nolan in bombastischen Bildern, wie es zur Atombombe kam und wie Oppenheimer diese Zeit erlebt hat. Oder erlebt haben könnte. Und vor allem: er lässt uns diese schreckliche Waffe erleben und wir dürfen uns judgmental fragen: Wie moralisch fragwürdig war diese Projekt und wäre es wirklich nötig gewesen, die Bomben am Ende des Weltkrieges, NACH Hitlers Tod, noch schnell auf Japan zu werfen?

Diese Frage gebe ich gleich mal an dich weiter. Plor.

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Episode 172: Poor Things von Yorgos Lanthimos… und der Kampf um die Deutungshoheit

Heute wird gestritten! Und zwar so richtig. Wir haben uns einen der großen Oscarfilme des Jahres vorgeknöpft: Poor Things von Yorgos Lanthimos. Und, so viel können wir schon mal sagen: Wir haben sehr unterschiedliche und sehr starke Meinungen zu diesem Steampunkmärchen, das Motive von Frankenstein mit einer Menge Sex und einem gewissen Bildungsromanhabitus kreuzt.

Für Plor ein absolut verdienter Academy Awards Kandidat, für Johannes aus diversen Gründen problematisch. Und so sind wir vor allem damit beschäftigt, diesen Film zu zertrümmern bzw. zu verteidigen. Let’s get ready to rumble!

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Episode 167: Mermaids Don’t Cry – Magischer Realismus aus Österreich

Johannes hat auf den Hofer Filmtagen eine kleine Independentfilm-Perle gefunden und will sie unbedingt mit Plor und dem Publikum teilen: Mermaids don’t cry, der Debütfilm von Franziska Pflaum aus dem Jahr 2022.

Wir reden über das österreichische Kino, über die fantastische Hauptdarstellerin Stefanie Reinsperger über Feel Good Movies, soziale Konflikte und die richtige Mischung aus Alltag, Magie und Bizarrerie.  

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Episode 151: Empire of Light – Die Magie des Zuschauens

Nach der Diskussion über das eher schwache Filmjahr 2022 in der letzten Episode, hat Johannes diese Woche einen weiteren aktuellen Film mitgebracht: Empire of Light von Sam Mendes. Hat das Drama über psychische Krankheiten, Rassismus und die Schönheit des Kinos das Zeug, ein Ausrufezeichen hinter das letzte Kinojahr zu setzen, während das heurige zu Ende geht? Wir werden es herausfinden…

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Episode 150: The Banshees of Ineshirin – Was ist wirklich wichtig im Leben?

The Banshees of Ineshirin (2023) ist der fünfte Langfilm von Martin McDonagh, für den er auf sein gut bekanntes Team aus „Brügge sehen … und sterben?“ aus dem Jahr 2008 zurückgreift. Vor dem Hintergrund einer endenden Freundschaft stellt er die große Sinnfrage, beschäftigt sich mit Monotonie und Tod und findet dabei auch den ein oder anderen lustigen Moment… Achja, der irische Bürgerkrieg spielt vielleicht auch eine kleine Rolle.

In den zugehörigen Top 3 reden wir über die besten Filme, die sich um das Ende von Freundschaften drehen.

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Episode 136: Orphea in Love – Kino als Opernbühne

Nachdem das beim aktuellen Indiana Jones so gut geklappt hat, beschließen wir gleich nochmal ins Kino in einen aktuellen Film zu gehen: Anderes Genre, anderes Land, anderes Zielpublikum… Aber auch wenn es sich bei Orphea in Love nicht um einen Big Budget Hollywood-Film handelt, so kommt er doch mit einem ähnlichen Selbstbewusstsein daher: Axel Ranisch versucht hier nichts geringeres, als seine Liebe zur Oper auf die Leinwand zu bringen und seinem Publikum zu vermitteln.

Ob er uns damit gewinnen konnte, klären wir im Gespräch über antike Mythen, klassische und aktuelle Opern sowie die Liebe zur Musik und zur Kunst im Generellen.

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