Kategorie: Schwarzweiß

Episode 230: Das Blut eines Dichters und der frühe surrealistische Film

Ein Schornstein stürzt ein. Ein Dichter zeichnet ein Gesicht auf Leinwand. Plötzlich beginnt der gezeichnete Mund zu reden. Irritiert wischt der Dichter diesen ab, nur um ihn kurz darauf auf seiner Hand wiederzufinden. Da die Reinigung der Hand nicht hilft, wird der Mund schnell auf eine Statue gepackt, die natürlich kurz darauf zu leben beginnt. Sie schickt den Dichter durch einen Spiegel in eine Paralleldimension, wo er in einem Hotelflur durch die Schlüssellöcher verschiedene Szenen betrachtet: Ein Revolutionär der wieder und wieder erschossen wird, ein gezüchtigtes Kind, das an der Decke schwebt, ein Hermaphrodit umgeben von Pentagrammen… schließlich hat der Dichter genug und erschießt sich… und landet zurück in seiner Welt. Er zerstört die Statue und wird selbst zu einer. Kinder machen eine Schneeballschlacht, die langsam in tödliche Gewalt eskaliert. Ein Tisch wird aufgebaut: Ein Mann und eine Frau spielen Karten, beobachtet von einem amüsierten Theaterpublikum. Auch dieses Kartenspiel endet tödlich. Ein Engel kommt vorbei, die Frau wird zur Statue, führt einen Ochsen irgendwohin, landet in einem Gitarrenkasten. Ein Schornstein stürzt ein.

Nein, das ist mir nicht heute im Büro passiert, sondern das ist so ziemlich genau die Chronologie der Handlung von Jean Cocteaus erstem Spielfilm Le Sang d’un poète – Das Blut eines Dichters – aus dem Jahr 1930. In vier Sequenzen erzählt, 50 Minuten lang, konsequent der Logik des Traums gehorchend. Ein Film des Surrealismus, nur ein Jahr nach dem berühmten Un Chien Andalou von Salvador Dail und Luis Bunuel. Natürlich wollte Cocteau nie diesem Genre zugeordnet werden. Weil Schubladen sind etwas für Konformisten, Bitch! Aber der Film atmet den Geist dieser Epoche und auch dieser spezifischen Kunstrichtung: Symbolisch aufgeladen, freudianisch, traumhaft, ohne kohärente Logik… soweit so prätentiös, so weit so kunsthistorisch bedeutend.

Aber wir wollen natürlich unabhängig davon Filme empfehlen. Und müssen uns jetzt die Frage stellen: Ist das ein sehenswerter Film? Johannes, Rede!

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Episode 223: Hundreds of Beavers – Expressionistischer Looney Tunes Slapstick Horror im Jahr 2025

Normalerweise bringen wir an dieser Stelle eine mal mehr mal weniger tiefe und breite Inhaltszusammenfassung, das können wir meiner Meinung nach aber an dieser Stelle abkürzen. Zum einen, weil die Story von “Hundreds of Beavers” weder besonders breit noch besonders tief ist, und zum zweiten, weil sie nicht der entscheidende Punkt bei der Frage ist, ob man den Film sehen möchte.

Also in aller Kürze: Nachdem das Apfelweinimperium von Jean in einer riesigen Explosion zu Grunde gegangen ist, findet er sich im erbarmungslosen Winter des amerikanischen Nordens wieder: Zuerst muss er ums Überleben kämpfen, wird schließlich Lehrling bei einem erfahrenen Trapper. Und beschließt nach dessen Tod, die titelgebenden Hunderte von Bibern zu fangen, um die Frau seiner Träume heiraten zu können, die Tochter eines grimmigen Pelzhändlers ist.

Was bei diesem Film im Zentrum steht, ist nicht seine Geschichte sondern seine Inszenierung: Ein schwarzweißer Stummfilm, vollgepfropft mit Cartoonsounds und albernen Gags. Die Tiere – egal ob Biber, Hase, Hund, Wolf oder Pferd – gespielt von Menschen in billigen Tierkostümen. Von der Action orientiert an klassischen Slapstickkomödien und Looney Tunes Cartoons, von der Ästhetik inspiriert von expressionistischen Stummfilmen, von der Struktur angelehnt an Videospiel-Grinds. Ganz unabhängig von der Qualität der Ausführung und dem Remix-Charakter vielleicht der originellste Film der letzten zehn Jahre… Ich habe so etwas in der Form jedenfalls noch nicht gesehen… du, Johannes?

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Episode 218: Eraserhead – David Lynchs alptraumhaftes Regiedebüt

Eraserhead markiert sicherlich das Surreal-albtraumhafteste das mein Filmliebhaber-Hirn ertragen kann. Und auch das steht hin und wieder im Film zur Debatte. Ein junger Mann, Henry Spencer, läuft hier durch einen postindustriellen, wenn nicht sogar postapokalyptischen Film, immer mit einem hart verängstigten, verstörten und verwirrten Gesichtsausdruck. Auf das Geschehen scheint er nur wenig Einfluss zu haben. Er wird zum essen zu seinen soon-to-be Schwiegereltern gerufen. Dort erfährt er, dass er Vater geworden ist und muss sich ab sofort um ein Alien-artiges Baby kümmern. Sichtlich überfordert flüchtet er sich in Fantasien. Eine singende Lady in einem Heizkörper, eine Affäre mit der Nachbarin. Das sind die Träume eines Everyday Man… Oder einen Schritt zurück gemacht: das sind die Albträume eines David Lynch. Alles ist in Schwarz-Weiß gehalten und immer düster und Wortkarg inszeniert. Es ist ein Mood-Film, der auf Stimmung setzt. Auf gar keinen Fall ein Plot-Film der auf Handlung setzt. Aber vielleicht vor allem ein Durchhaltefilm….

Plor, der Film scheint sich vor allem mit der Angst vor Vaterschaft auseinander zu setzen. Kannst du, als Vater, dich darin sehen – oder hast du dich einfach nur gefreut und hattest eine Bonbon-Bunte-Welt vor dir, als dein Kind kam?
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Episode 182: Die zwölf Geschworenen – Wütende Männer in der Sauna

Twelve angry man aus dem Jahre 1957 mutet uns ganz schön viel Gelaber zu. Der Inbegriff eines Laberfilms. Zwölf Geschworene kommen aus einer Verhandlung, in der ein Angeklagter junger Mann von 18 Jahren schuldig oder unschuldig gesprochen werden soll, seinen Vater umgebracht zu haben. Der Blick in die Verhandlung wird uns verwehrt, stattdessen müssen wir uns mit der Diskussion der Jury begnügen, die nun eine Entscheidung treffen soll. Schuldig oder nicht schuldig.

Am Anfang sind sich 11 von 12 Männern absolut einig. Er ist schuldig. Doch Geschworener Nummer 8 meldet leise Zweifel an und bittet darum wenigstens eine Stunde darüber zu reden, statt den jungen nach 5 Minuten auf den elektrischen Stuhl zu schicken. Und das passiert dann auch. Wir folgen 12 sehr unterschiedlichen Männern, beim Versuch den Fall zu verstehen. Um rechtskräftig entscheiden zu können, müssen alle übereinstimmen.

Geschworener Nummer 8 schafft es nach und nach, in jedem anderen einen Funken Zweifel zu finden, der den Jungen rettet. Bis auch der letzte harte Hund überzeugt ist, dass es berechtigten Zweifel an der Schuld des Angeklagten gibt. Ein Film der späten 50er, der sich sicherlich hier und da selbst in seiner Zeit angetackert hat, aber nicht umsonst gab es 1997 eine recht gute Neuverfilmung. Das Thema scheint also zeitlos zu sein… oder sogar an Aktualität gewonnen zu haben… oder Plor? Um dir mal einen Softball zuzuwerfen.

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Episode 171: Zeugin der Anklage – Agatha Christie trifft Billy Wilder

Ja, wir lieben Billy Wilder. Und Johannes „Old School Hollywood“ Franke kann auch nicht anders, als ihn immer wieder hervorzukramen. Diese Woche hat er Plor „Zeugin der Anklage“ aus dem Jahr 1957 mitgebracht: Murder Mystery im Gerichtssaal mit der großartigen Marlene Dietrich.

Und so genießen wir diese etwas atypische Agatha Christie Verfilmung, erfreuen uns an den zahllosen Plottwists, den eigenwilligen Charakteren und turbulenten Dialogen. In der passenden Topliste werfen wir noch mal einen genaueren Blick auf die besten Justizthriller und Gerichtsfilme aller Zeiten.

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Episode 159: Das siebente Siegel (1957) – Johannes in der Arthaus-Krise

Es gibt endlich mal wieder eine Streitfolge: Plor hat Johannes Ingmar Bergmans Klassiker „Das siebente Siegel“ aus dem Jahr 1957 als Hausaufgabe aufgegeben, weil er ihn liebt. Und Johannes? Hasst ihn.

Wir sprechen über bewusste und unbewusste Anachronismen, das ikonische Schachspiel eines Kreuzritters mit dem Tod, über das Mittelalter, die Pest, die frühe Neuzeit, den Totentanz, das Carpe Diem, das Memento Mori und vor allem über einen überbordenden Symbolismus, den man entweder mag oder nicht mag. Und kommen dabei garantiert nicht zu einem Konsens. In diesem Sinne: Let’s get ready to rumble!

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Episode 156: Die Feuerzangenbowle …Und einen guten Rutsch ins neue Jahr

Für den weihnachtlichen Kater, vielleicht auch für das Vorglühen zu Silvester hat Johannes diese Woche „Die Feuerzangenbowle“ von Helmut Weiss mit Heinz Rühmann aus dem Jahr 1944 mitgebracht. Wie schlägt sich der Film im Vergleich zur Vorlage von Heinrich Spoerl? Wie schlägt sich die Endzeit des Nationalsozialismus in dieser locker leichten und nostalgischen Komödie wider? Und funktioniert dieser Klassiker auch heute noch zu Weihnachten oder Silvester?

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Episode 147: A King in New York – Charles Chaplins USA-Trauma

Endlich wieder Charlie Chaplin… oder Charles Chaplin, wie Johannes nicht müde wird zu betonen. Dieser Charles ist nämlich spätestens in den 1940ern alt und weise und auch irgendwie Auteur geworden. Und das schlägt sich auch in einem seiner letzten Filme, „A King in New York“ aus dem Jahr 1957, nieder.

Diese Tragikomödie ist aus gleich mehrerer Hinsicht spannend. Chaplin verarbeitet hier nämlich seine nicht so prallen Erfahrungen mit den USA während der McCarthey-Ära, das ganze aus dem selbstgewählten Asyl in Europa heraus. Und so mischen sich Begeisterung für das Land der unbegrenzten Möglichkeiten mit Verbitterung, mit satirischem Biss und mit dem für Chaplin typischen Sendungsbewusstsein. Nicht nur das, Chaplin besetzt hier seinen Sohn in einer prominenten Rolle, lässt sich von jungen Frauen verführen, das Gesicht liften und versucht sich in Shakespeare-Rezitation und Whiskey-Werbung. Ob hier Komik oder Tragik dominieren, gilt es herauszufinden, ebenso, wie weit Chaplin mit seiner Konsumkritik, Amerikakritik und Auseinandersetzung mit dem Kommunismus geht.

In unseren Bestenlisten widmen wir uns den besten (oder auch nervigsten) altklugen Kindern im Kino und Fernsehen.

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Episode 142: Dead Man – Die längste Sterbeszene der Filmgeschichte

Wir lieben ja alle das amerikanische Indepenpendent Kino der 90er Jahre… okay, zumindest Johannes und Plor lieben es. Und eine seiner größten Ikonen ist Jim Jarmusch mit seinen melancholischen wie trockenen Dramen und Tragikomödien. In Dead Man aus dem Jahr 1995 begleitet er einen sterbenden – besser gesagt, wie der Titel schon verheißt – einen bereits toten Mann.

Wir sprechen über die Atmosphäre dieses düsteren Spiritual Western, über seine kafkaesken Seiten, seine Referenzen an klassische Poesie und darüber wie er seinem Protagonisten im Laufe der Handlung eine Entwicklung gibt.

In unserer Top 3 geht es passenderweise um die besten, oder viel mehr die längsten Sterbeszenen der Filmgeschichte.

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Episode 141: The Lodger (1927) – Der erste echte Alfred-Hitchcock-Film

Dreimal haben wir uns bereits in unserem Podcast mit Alfred Hitchcock auseinandergesetzt. Dabei haben wir uns vor allem mit seinen amerikanischen Filmen der 50er Jahre auseinandergesetzt. Dieses Mal reisen wir weit zurück in die Vergangenheit… weit weit zurück. Im Jahr 1927 entstand mit The Lodger einer der wenigen Stummfilme Hitchcocks, den der Großmeister selbst als seinen ersten echten Hitchock-Film bezeichnet hat.

Wir tauchen tief hinein in die Schaffensphase des jungen Alfred Hitchcock, irgendwo zwischen deutschem Expressionismus und britischer Suspense. Gleichzeitig versuchen wir aber auch sein –   eher nicht so bekanntes – Frühwerk in den Kontext seines Gesamtschaffens einzuordnen. Wo stand Alfred Hitchcock 1927? Wo sollte er danach in den 30ern als wichtigster britischer Regisseur stehen? Wie ging es weiter, nachdem er 1940 in die USA aufgebrochen war? Wie wurde er dann zum wichtigsten Thrillerregisseur Hollywoods? Und dann geht es auch schon wieder zurück, immer mit der Frage im Nacken: Welche typischen Hitchcock-Trademarks finden wir in diesem spannenden Frühwerk?

In unserer Top 3 schauen wir auf die besten Filme, bei denen Mieter und Untermieter im Mittelpunkt stehen.

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