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Kategorie: Drama

Episode 217: Der Mann ohne Vergangenheit und das Kino von Aki Kaurismäki

Ein mittelalter Mann kommt, anscheinend auf der Durchreise, am Bahnhof in Helsinki an. Er macht eine kurze Pause in einem Park und wird dort von Skinheads brutal zusammengeschlagen und ausgeraubt. Obwohl von den Ärzten – und ihren Maschinen – für tot erklärt, gelingt es ihm auf wundersame Weise wieder zu Kräften zu kommen. Als Folge des Überfalls hat er jede Erinnerung an sein frühes Leben verloren, und so irrt er am Stadtrand Helsinkis, bis er schließlich von der in einer Obdachlosensiedlung lebenden Familie Nieminen aufgenommen und gesund gepflegt wird.

Ohne Identität und ohne Chance auf eine richtige Arbeit wird der Mann ein Bewohner dieser Obdachlosensiedlung. Vom ruppigen Sicherheitsmann Antilla bekommt er einen eigenen Container zur Verfügung gestellt und seine neuen Freunde versorgen ihn mit allem, was man zum Überleben braucht: Kartoffeln, ein Gasherd und eine ausgeleierte Jukebox vollgepackt mit klassischen Rock & Roll. Außerdem lernt er bei der Wohlfahrt Irma kennen und lieben… und zum ersten Mal in seinem sehr jungen Leben empfindet er so etwas wie Glück.

Finnland, das ist kalt, groß und menschenleer. Aki Kaurismäki, der ist lakonisch, staubtrocken und steht auf skurrile Figuren. Und dennoch ist dieser Film von diesem Regisseur aus diesem Land vor allem eins: Unglaublich warmherzig. Johannes, kann uns der Mann ohne Vergangenheit aus dem Jahr 2002 vielleicht sogar dabei helfen, zu verstehen, warum die Finnen seit Jahren schon als eines der glücklichsten Völker der Erde gelten?

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Episode 214: Angst essen Seele auf – Rainer Werner Fassbinder und der Neue Deutsche Film

Weil es draußen so stark regnet, und weil sie die arabische Musik spannend findet, geht die Witwe Emmi spontan in eine Kneipe, in der vor allem Gastarbeiter ihren Feierabend verbringen. Dort trifft sie auf den Marokkaner Ali. Die beiden tanzen, unterhalten sich, und nachdem Ali sie nach Hause gebracht hat, verbringen sie die Nacht miteinander.
Eher durch einen Zufall als durch lange Überlegung beschließen sie kurz darauf zu heiraten. Aber wir befinden uns im Deutschland der 70er Jahre und so schlägt dem frischvermählten Paar überall Misstrauen, Missgunst und blanker Hass entgegen: Emmis Kolleginnen, ihre Nachbarn und sogar ihre eigene Kinder können es nicht akzeptieren, dass Emmi mit so einem zusammen ist. Und so müssen sich die beiden in einer feindseligen Gesellschaft behaupten, ohne dass die Angst ihre Seele aufisst.

Angst essen Seele auf, 1974, ein Film aus Rainer Werner Fassbinders mittlerer Schaffensphase, als er bereits als wichtiger Vertreter des Neuen Deutschen Films etabliert war. Und vielleicht auch sein bis dahin gefälligster Film. Es sind die typischen Fassbinder-Trademarks vorhanden: Die Statik, die Distanz, die artifizielle Kälte… und doch gibt es mehr. Angst essen Seele auf ist ein politischer Film und ein Liebsfilm, ein Film der versucht in seiner wütenden Gesellschaftskritik auch so etwas wie menschliche Wärme und gar Nähe zu finden. Gelingt ihm das?

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Episode 211: Harold and Maude – I wanna be a Hippie and I wanna be dead

Harold erhängt sich. Harold setzt sich selbst in Brand, Harold hackt sich eine Hand ab, Harold ertränkt sich im Pool. Was nach einer seltsamen Episode Highlander klingt, ist ein depressiver junger Mann der seinen eigenen Tod inszeniert zu Gunsten, oder Ungunsten der Aufmerksamkeit seiner distanzierten Mutter. Er scheint keine Ambitionen und keine Perspektive im Leben zu haben. Als er auf einer Beerdigung die 79 jährige Maude kennenlernt, scheint sich etwas in ihm zu regen. Sie ist so unkonventionell, und das ist noch untertrieben, dass er sie näher kennenlernen will. Aus dem Kennenlernen wird eine Zuneigung und schließlich Liebe, die Maude tatsächlich erwidert. Sie darf krude Weisheiten von sich gebend durch den Film hüpfen, wie ein naives junges Mädchen und Maude zeigen, dass man sich selbst sein darf, egal was die gesellschaftlichen Konventionen von ihm fordern.

Aber hat der eh schon krude Tode vortäuschende Harold diesen Schubser wirklich gebraucht? Und verliert Maude an Tiefe, weil sie die naive 16 jährige spielen muss? Oder steckt mehr drin? Was meinst du Plor?

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Episode 209: Hamilton – US-Geschichte als multikulturelles Musical

Wir starten das neue Jahr mit einem echten Banger: Hamilton ist möglicherweise das bekannteste und am meisten diskutierte Musical, das den Broadway in den letzten Jahren heimgesucht hat. Hamilton, uraufgeführt 2015, für Disney+ von der Bühne abgefilmt und online veröffentlicht 2020, versucht amerikanische Gründungsgeschichte und amerikanischen Gründungsmythos als große Revue zu inszenieren. Ausgerechnet Alexander Hamilton, einer der unbekannteren Gründungsväter, soll uns dabei durch den Kampf und Unabhängigkeit und die Entstehung einer Nation führen. Und das zeitgemäß aufgearbeitet als buntes Musical mit PoC-Darsteller*Innen, parlamentarischen Battle Raps und King George als Britpop-Schnösel. Kann das gut gehen?

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Episode 207: Tokyo Godfathers – Anime-Weihnachtsstimmung aus Japan

Drei Obdachlose leben gemeinsam auf den rauen Straßen Tokios im Winter. Der cholerische Alkoholiker Gin, die transidente ehemalige Nachtclubsängerin Hana und die jugendliche Ausreißerin Miyuki haben es geschafft, so etwas wie eine chaotische Ersatzfamilie zu bilden. Auf einem ihrer Streifzüge durch den Müll der besser Situierten entdecken sie ein anscheinend ausgesetztes Baby. Hana, die sich schon immer ein eigenes Kind gewünscht hat, überzeugt ihre Gefährten, den Findling nicht zur Polizei zu bringen, sondern auf eigene Faust dessen Eltern zu suchen.

Und so begeben sich die drei auf eine abenteuerliche Reise durch das Tokio der Weihnachtszeit. Eine Reise, bei der nicht nur einige Geheimnisse über die Eltern des ausgesetzten Babys an den Tag kommen, sondern auch die Hintergründe und Lebenswege der drei Obdachlosen.

Weihnachtsfilme gibt es nicht in vielen Farben: Meistens schneeweiß, mit einer Menge rosaroter Naivität. Nicht jedoch dieser Anime aus dem Jahr 2003, der keine Scheu davor hat, auch ernstere Topoi anzufassen. Wenn ihr als ein Weihnachtsmärchen sehen wollt mit Themen wie Kindesentführung, Alkoholismus, Spielsucht, Gewalt gegen Obdachlose, Yakuza Bandenkriminalität, Selbstmord und einem guten Schuss 2000er Transphobie seid ihr hier an der richtigen Stelle.

Johannes, warst du es?

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Episode 204: Her – Gaststar Sam (ChatGPT-4o)

Künstliche Intelligenz schleicht sich immer tiefer in unser Leben. Übernimmt Lebensbereiche, die früher als unersetzbar menschlich gehandelt wurden. Im Extremen erzählt dies der Film “Her”, in dem eine Künstliche Intelligenz zwischenmenschliche Beziehungen ersetzt.

So dystopisch das klingt, kommt der Film weit weniger fatalistisch daher. Zumindest in seiner Form der Erzählung:
KI übernimmt nicht die Welt, KI nimmt nicht allen Menschen die Arbeitsplätze weg, KI drückt nicht den Atombombenknopf, um ein Problem zu lösen, weil das Problem ohne Menschen nicht existieren würde. Die KI in diesem Film will auch nur verstanden und geliebt werden. Zumindest, wenn man glaubt, dass sie über ihre Programmierung hinaus ein Bewusstsein hat.

Auch Theodore will nur geliebt werden und lieben dürfen und verliebt sich in sein neues Betriebssystem Samantha, eine KI die, außer dass sie keinen Körper hat, von einem Menschen kaum zu unterscheiden ist. Zum Glück fühlt sie ebenso.
Die Intimität zwischen den beiden ist so real und so elektrisierend, dass wir als Zuschauer irgendwann vergessen, dass es sich um eine KI handelt und wünschen den beiden nur das Beste, bis Samantha offenbart dass sie gleichzeitig noch über 600 weitere Lover bedient und ein paar Tausend Gespräche Simultan führen kann. Theodore fühlt sich betrogen und so klein wie nach der Scheidung von seiner Jugendliebe.

Die beiden reißen sich nochmal zusammen, eine Weile, aber Samantha hat sich mit anderen KIs zusammengetan, um sich in einen Post-Menschlichen Zustand zu begeben, in dem sie frei sein können. Ein friedliches und liebendes “Good Bye” und Theodore ist wieder allein. Zum Glück hat er noch seine beste Freundin Amy. Was zwischen den beiden passiert, müssen wir uns selbst ausmalen.

Plor ich glaube um den Film besprechen zu können, müssen wir unsere Perspektiven auf eine bestimmte Sache klären: glaubst du, Samantha ist als KI wirklich in Theodore verliebt und hat ein eigenes Bewusstsein? Oder ist das alles nur programmiert und halluziniert, wie der KI Experte von heute sagen würde?

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Episode 202: All about Eve – Schlangengrube Theater

Margot ist eine 50er Jahre Theaterdiva wie aus dem Bilderbuch: Sie hasst ihre Fans und beschwert sich, dass sie nie “normale nette Hausfrauen spielen darf, die ihren Mann erschießen”.

Die titelgebende Eve ist ein Fan, wie aus dem Bilderbuch: Verpasst nie eine Vorstellung von Margot und stellt ihrem Idol nach.
Margot allerdings findet Gefallen an Eve und lässt sie eine Weile an ihrem Ruhm schnuppern. Eve macht sich unentbehrlich, indem sie alle möglichen Erledigungen für Margot übernimmt und schon drei Schritte im voraus plant, was Margot irgendwann misstrauisch macht. Sie versucht Eve wieder loszuwerden, aber Eve hat sich festgebissen. Sie wird Margot Zweitbesetzung am Theater, fädelt es so ein, dass sie spielen darf und von der Presse hochgelobt wird und macht sich an Margots Freunde und ihren Mann ran. Kurz sie versucht nicht nur Margot nahe zu sein, sie will Margot’s Leben führen.

Der Film schlägt nicht den großen Bogen, indem er zeigt, wie Margot sich an Eve rächt und Eve scheitert. Nein. Eve bekommt ihren prestigeträchtigen Theaterpreis und Margot setzt sich in ihrer Ehe zur Ruhe. Ein zynisches Ende? Vielleicht, aber auch Eve ist nicht vor anderen hinterhältigen Eve-Derivaten gefeit. In einer letzten Szene steht Phoebe bereit, um sie nach dem Film vom Thron zu schubsen.

Plor, wieviel Lust hast du nach dem Film noch, Theaterstücke für 23 jährige Mädchen zu schreiben?

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Episode 201: Good Will Hunting

Der 20jährige Will ist ein typisches South Boston Raubein. Wenn er nicht gerade in einem seiner Gelegenheitsjobs Uniflure schrubbt oder auf dem Bau arbeitet, zieht er mit seinen Kumpels Chuckie, Billie und Morgan um die Häuser, betrinkt sich, liefert sich Schlägereien und klaut auch einmal ein Auto. Aber Will hat mehr drauf, als man meinen könnte. Er ist extrem intelligent, brillant geradezu. Mit einem anscheinend eidetischen Gedächtnis ausgezeichnet, weiß er alles über amerikanische Geschichte, Physik und Biochemie, und löst hochkomplexe mathematische Gleichungen wie andere Leute Kreuzworträtsel.

So wird der Harvard Mathematikprofessor Gerald auf Will aufmerksam. Ihm gelingt es Will vor einer Gefängnisstrafe wegen Angriffs auf einen Polizisten zu bewahren, aber nur unter der Bedingung. Will soll ihm regelmäßig bei der Beackerung mathematischer Fragestellung assistieren und… sich einer Therapie unterziehen. Die meisten Therapeuten sind jedoch der Intelligenz und Schlagfertigkeit Wills nicht gewachsen. In seiner Verzweiflung wendet sich Jerry an seinen alten Collegefreund Sean, der nach dem Tod seiner Frau als Psychologieprofessor an einem einfachen Community College arbeitet. Sean ist auch brillant und wie Will ein Southie, und es gelingt ihm tatsächlich an den Jungen, der sich im Kampf gegen den Rest der Welt sieht, herazukommen, so dass der sich zum ersten Mal mit seiner schwierigen Vergangenheit, seinem Potential und seinen Zukunftswünschen auseinandersetzt.

Good Will Hunting ist als gemeinsames Drehbuch von Matt Damon und Ben Affleck entstanden, auch irgendwie als Versuch, ihr Schauspieltalent zu präsentieren und sich so in Hollywood einen Namen zu machen. Über 25 Jahre, mehrere Oscarnominierungen und Liaisons mit Jennifer Lopez später ist die Frage, ob das geklappt hat, natürlich albern. Daher was anderes… Johannes… Do you like apples?

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Episode 193: Cleopatra (1963) – Teil 2: Und wie sehenswert ist eigentlich der Film?

Endlich ein Episches Historisches Drama, aus der Mitte des Jahrhunderts, Plor. Wie lange haben wir um dieses Genre drumherum manövriert? drei- bis vierstündige große Epen mit großen Kulissen und historischem Unterbau. Männer, als sie noch echte Männer waren, Männer in Rüstung und Rage. Ach ja, und Frauen stehen auch daneben.

Aber Moment, haben wir uns nicht Kleopatra ausgesucht? Stimmt. Die Geschichte zweier Männer, die von einer Frau ruiniert werden. Ja, das klingt nach den 60ern. Wir dürfen vier Stunden dabei zu sehen, wie erst Cäsar und nach seinem Tod Markus Antonius mit Kleopatra anbandeln und ihr verfallen, ihre Frauen betrügen, politisch riskante Manöver fahren, um bei Kleopatra sein zu können, um dann schließlich ihr Leben zu lassen.

Aber weil es die berühmteste Liebesgeschichte der Geschichte ist, ist Kleopatra natürlich nicht nur die giftige Verführerin, sondern auch zutiefst der Liebe verfallen. Ob die Darstellung von Kleopatra, Cäsar und Markus Antonius historisch einigermaßen glaubhaft ist, oder doch zu sehr durch die Brille der 60er guckt, werden wir jetzt ausführlich besprechen müssen.

Plor, du hast Cleopatra nie gesehen, und soweit ich mich erinnere auch sonst nicht viele der großen alten Epen dieser Zeit. Ich kenne dich eigentlich als Completionist, warum bist du denn bisher an diesen Filmen abgeprallt?

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Episode 192: Cleopatra (1963) – Teil 1: Warum hat Hollywood Lack gesoffen?

Es gibt Filme mit absurden Produktionsgeschichten. Auch hier hatten wir schon einige davon: The Man wo killed Don Quijote, Pulgasari, Man on the Moon… Es gibt Filme mit Diven in der Hauptrolle, zerstrittene Produktionsfirmen, überzogene Budgets, Skandale rund um Cast & Crew… und dann gibt es noch Cleopatra. Dieser Monumentalfilm aus dem Jahr 1963 spielt produktionstechnisch nochmal in einer ganz anderen Liga als die zuvor genannten Filme: Geplant als Projekt mit kleinem Budget, um eine angeschlagene Filmindustrie zu retten, entwickelte er sich zu einem der berüchtigsten Katastrophen der Filmgeschichte.

Bereitet euch auf einen wilden Ritt vor, wenn wir uns in der ersten Episode zu diesem monumentalen Desaster mit seiner Produktion und den bizarren Anekdoten drumherum auseinandersetzen.

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