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Kategorie: Europäisches Kino

Episode 115: Triangle of Sadness – Sorgenfalten, Klassenkampf und Kotzgelage

Triangle of Sadness verdient allein schon wegen des Titels seine Preise. Aufgepasst und aufgemerkt liebe Mittdreißiger, das wird langsam wichtig für euch! Das Triangle of Sadness ist der Bereich auf der Stirn, wo die Sorgenfalten auf die Zornesfalten treffen. Beides viel bemühte Bereiche, besonders wenn man Kinder hat, nicht wahr Plor?

Und schon wissen wir: Es geht um Oberflächlichkeiten, wie sie nur der Kapitalismus so hart feiern kann. Folgerichtig geht es um die super rich, die Modewelt und den Klassenkampf. Der Film ist in drei Teile geteilt. Im ersten lernen wir den Struggle der Influencer Carl und Yaya kennen, die eigentlich nur wegen der Follower zusammen gekommen sind – und einen durchaus ernst genommenen Genderrollenkonflikt austragen.

Diese beiden sehen wir im zweiten Teil auf einer Yacht für Superreiche, wo sie mit den anderen Gästen um die Wette nicht nur Geld und Arroganz kotzen dürfen, um schließlich im dritten Teil auf einer einsamen Insel gestrandet ums Überleben zu kämpfen. Der Klassenkampf dreht sich hier um. Die superreichen sind auf die Kenntnisse der Arbeiterklasse angewiesen, um nicht direkt zu verhungern. Abigail, die auf der Yacht noch Toilettenfrau war, erschafft sich hier nun ihr Matriarchat und ist nicht gerade die bessere Monarchin, nur weil sie aus der Arbeiterklasse kommt.

Plor, wie subtil hättest du als Filmemacher diesen Film gemacht und nach wieviel Kotze wolltest du den Film abbrechen?

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Episode 110: Teorema von Pier Paolo Pasolini – Kunstkacke oder rätselhaftes Meisterwerk?

Pier Paolo Pasolini gilt als einer der widersprüchlichsten und kontroversesten Regisseure des 20. Jahrhunderts. Vom Schriftstellertum kommend entdeckte er in den 60er Jahren den Film, drehte einige Werke im Geist des italienischen Neorealismus, um dann seine ganz eigene Vision eines sozialkritischen, marxistischen Kinos zu entwickeln: In diesem ist Jesus ein Subproletarier, wird die sexuelle Entgleisung eines Marquis de Sade mit dem Faschismus der Moderne in Zusammenhang gebracht und – wie in Teorema aus dem Jahr 1968 – wird eine Kritik des Bürgertums anhand der Feiler Erotik, Liebe und Spiritualität entworfen:

Ein einfacher, handgeschriebener Zettel, überbracht von einem engelsgleichen Postboten kündigt von der Ankunft eines Besuchers. Dieser wird von der prototypischen großbürgerlichen Familie, die im Zentrum von Teorema steht, in Empfang genommen und bewirtet: Nach und nach erliegen sie alle seinem Charme (und seinem Schritt): Magd, Mutter, Sohn, Tochter und Vater. Und jeder macht in den anschließenden sexuellen Begegnungen eine Entwicklung durch: Die Magd entdeckt die Spiritualität und zieht zurück aufs Land, die Mutter erlebt einen zweiten sexuellen Frühling, der Sohn kann sich endlich seiner Homosexualität und unterdrückten künstlerischen Ader stellen. Die Tochter wird erwachsen und katatonisch und der Vater lässt alle bürgerlichen Statussymbole hinter sich.

Teorema lässt viel Raum für Interpretation. Ist hermetisch, kryptisch und schreit geradezu nach einer hermeneutischen Analyse, die Pasolinis ambivalentes Leben, Verhältnis zum Bürgertum, Sozialismus, Staat und Religion einschließt…

…Aber wir wollen hier ja auch ein bisschen Spaß haben. Also Johannes: Wenn du von einem gottgleichen Jüngling nochmal komplett aus der Spur gerissen wirst, wohin soll die Reise gehen? In die abstrakte Kunst? In die Arme zahlloser junger Männer? In die Katatonie? Als Wunderheiler aufs Land? Oder doch lieber nackt schreiend in die Wüste?

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Episode 98: Ginger & Rosa …und die Frage ob so ein Film etwas bei einer Girl’s Night zu suchen hat

London 1962, die Welt befindet sich am Rande eines atomaren Schlagabtauschs zwischen Ost und West und das geht auch an Großbritannien nicht spurlos vorbei. Die beiden 16jährigen Mädchen Ginger und Rosa sind praktisch seit ihrer Geburt miteinander befreundet und versuchen in dem soziopolitischen Chaos der Zeit irgendwie zurecht zu finden. Während Rosa dies tut, indem sie sich entweder purem Hedonismus oder ihrem tiefen christlichen Glauben hingibt, schreibt die sensible Ginger Gedichte und fühlt sich zum politischen Aktivismus hingezogen.

Die Freundschaft der beiden wird auf die Probe gestellt, als Rosa eine Affäre mit Gingers unkonventionell lebenden Vater beginnt. Ginger fühlt sich hin- und hergerissen zwischen der Angst vor einem nuklearen Holocaust und den emotionalen Herausforderungen des fragilen sozialen Gefüges, in dem sie sich bewegt.

Sally Potters “Ginger & Rosa” aus dem Jahr 2012 ist ein einfacher Film, ein kleiner Film, der dennoch die ganze Wucht der damaligen Zeit in sich trägt: Ambivalente Charaktere, komplexe Konflikte und ein berührendes Mäandern zwischen intimem Coming of Age und universellem Blick auf den politischen Aktivismus der Jugend. Vor allem getragen von seinen faszinierenden Protagonistinnen und dem hervorragenden Spiel ihrer Schauspielerinnen.

Johannes, passt das zu einer Girls Night? Oder ist das zu wenig Party, zu wenig Lebensfreude und zu viel emotionaler Ballast?

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Episode 91: Eine Taube sitzt auf einem Zweig und denkt über das Leben nach

So. Jetzt hast du es geschafft Plor, ich bin auch beim Surrealismus gelandet. Falls man den Film dort einsortieren kann.

“Eine Taube sitzt auf einem Zweig und denkt über das Leben nach” erzählt in 39 Szenen kleine Ausschnitte aus dem Leben, die sehr kondensiert und überspitzt daher kommen, ihren Bezug zur Realität aber nie gänzlich verlieren. Es geht ihm darum, wie wir unser Leben leben, sagt Roy Anderson und meint damit offenbar die Ambiguität alltäglicher banaler Situationen, die eben manchmal zwischen Absurdität, Fröhlichkeit, Traurigkeit und hin und wieder auch Grausamkeit gleichzeitig stattfinden.

So weiß man auch nicht immer eindeutig, ob man lachen, weinen oder manchmal kotzen will, wenn man die Bilder Roy Andersons sieht. Klingt als würde ich eine Kunstausstellung beschreiben, aber das ist es auch. Alle 39 Bilder könnten als Standbild an die Wand gehängt werden und es wäre eine gelungene Ausstellung.

Ach, wenn wir grad dabei sind, welches der Bilder dieser Ausstellung würdest du dir kaufen, wenn du könntest, Plor? Du müsstest es dir ja nicht hinhängen, denn wer hat schon gern deprimierte Scherzartikelverkäufer an der Wand hängen…?

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Episode 89: Letztes Jahr in Marienbad – Auf der Suche nach dem Sinn im Surrealismus

Letztes Jahr in Marienbad aus dem Jahre 1961 von Alain Resnais ist schwer in kurze Worte zu fassen.

Worum, geht es in diesem Film?

Auf dem Papier ist die Story sehr simpel. Ein Mann versucht in einem mondänen Hotel eine Frau davon zu überzeugen, dass sie sich letztes Jahr kennengelernt und geliebt haben. Ob er ihr in der Erinnerung auf die Sprünge helfen kann, bleibt offen. 1,5 Stunden lang.

Wenn man die Frage “Worum geht es in diesem Film?” jedoch ernsthaft beantworten möchte, gerät man unweigerlich ins straucheln. Die Dialoge und Monologe des Films scheinen nicht den wesentlichen Teil der Handlung zu tragen. Vielleicht nichtmal die handelnden Figuren. Es ist eher die Art der Inszenierung, der Erzählung, wenn man sie so nennen will.

Soweit mein Gestrauchel. Plor, worum geht es in diesem Film?

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Episode 85: Brazil – Die bizarrste Dystopie der Filmgeschichte

Wir befinden uns um das Jahr 2000 in einer mir fremden Wohnung eines Freundes der Familie, der mich für ein paar Tage bei sich untergebracht hat. Ich werde vor den Film Brazil gesetzt, ohne vorher gewarnt zu werden, was mich erwartet. Ich glaube ich bin allein während der Film läuft, es kann aber auch sein, dass ich einfach nur alle um mich herum vergesse, während der Film mich in seinen Bann zieht.

Von Anfang an ist Terry Gilliams Brazil aus dem Jahr 1985 eine surreale, dystopische, dreckige und absurd-komische Welt, in der ein Bürokrat im langweiligsten Job der Welt davon träumt als fliegender Held seine große Liebe zu retten. Als ihm bei einem Außendienstvorfall eine Frau begegnet, die genauso aussieht wie die Frau in seinen Träumen, kommt er in gefährliches Fahrwasser revolutionärer Terroristen, die das dysfunktionale System stürzen wollen.

Eine sehr düstere Bürokratie-Satire, die beim 19 jährigen Ich eine Messlatte für Science Fiction gesetzt hat, die nicht viele Filme erreichen sollten.

Plor, dein Konsum des Films ist ja auch schon sehr lange her, wie ist denn deine Origin-Story dazu?

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Episode 77: Asterix erobert Rom und der Passierschein A38

Der dritte Film der Asterix Zeichentrickreihe „Asterix erobert Rom“ aus dem Jahr 1976 basiert im Gegensatz zu seinen Vorgängern nicht auf einem bereits existierenden Comic. Die Story wurde original für den Film geschrieben. Sie bedient sich der Sage des Herakles und der zwölf Aufgaben, die er absolvieren muss. So legt Cäsar unseren Helden zwölf Aufgaben auf, die klären sollen, ob es sich bei den übermenschlich starken Galliern um Götter handelt. Alles mit dem Asterix typischen Humor den man als Kind nur so halb verstanden hat.

Dieser Film ist wieder eine heilige Kuh meiner Kindheit die ich Plor zur Schlachtung vorwerfe. Wobei ich dieses mal recht sicher bin, dass der Film bei Dir, Plor, auf wohlwollende Augen trifft. Oder? Nein? Doch? Der Film doch recht sicher und positiv im kulturhistorischen Kanon verankert. Obwohl, das hat dich ja nie abgehalten einen allgemein geliebten Film zu zerreißen.
Argh! Ich weiß es nicht!

Ok, lass mich kurz überlegen, ob der Film plortauglich ist oder nicht.
– Der Film hat keine japanischen Untertitel – Minuspunkt.
– Es gibt keine zehnminütige Plansequenz, in der gefühlt nichts passiert. Der ist Film für deine Verhältnisse doch recht gradlinig und leicht zu verstehen.
– Es gibt kein Gore, keine prätentiöse Wckelkamera, keine russischen Gedichtrezitationen,
…Ach Gott dem Film fehlt wirklich alles Plortypische… nicht mal richtig absurd… Moment, absurd! Er ist schon streckenweise sehr absurd, und nein, wenn ich so drüber nachdenke, ist er schon was für dich: Er referiert auf griechische Mythologie, kommt aus Frankreich, dem Land der Nouvelle Vague und basiert auf einer quasi-literarischen Vorlage.

So Plor, jetzt sag doch auch mal was. Ist Asterix ein Plorfilm?

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Episode 76: Dracula (1958) Und die Horrorfilme von Hammer

Es gibt nur einen wahren König der Vampire. Graf Dracula. Der berühmteste Blutsauger der Horrorgeschichte, von Bram Stoker 1897 erschaffen und seitdem in zahllosen Büchern und Filmen weitergesponnen. Und es gibt nur eine wahre Königin der Horrorfilmgeschichte: Hammer Productions Ltd. Gegründet im Jahr 1934 und spätestens seit den späten 50er Jahren Aushängeschild für mal mehr (mal weniger) gehobenen Gothic Horror mit schmalem Budget.

Ein wesentlicher Grund für die enorme Reputation von Hammer in Horrorfilmkreisen dürfte Dracula aus dem Jahr 1958 sein: Der erste Dracula-Film in Farbe, das Debüt Christopher Lees als Obervampir und das Debüt Peter Cushings als sportlicher Van Helsing. Die Hammer’sche Dracula-Version ist so etwas wie ein Kondensat des Urstoffes: Reduziert auf das Wesentliche, den Kampf des Menschen gegen die unsterbliche Bestie, ohne großen erzählerischen Schnickschnack, dafür aber mit einer Menge Action und einer ungeheuren Liebe zum Detail, die sich vor allem im wunderschönen Setting und den prunkvollen Kostümen widerspiegelt.

Aber natürlich ist der Film auch ein Kind seiner Zeit, seiner Herkunft und seines Budgets: Zwischen Naivität und düsterem Horror pendelnd, mal pathetisch, mal frivol, mal brutal, mal unfreiwillig komisch. Eine Modernisierung des Draculas für das Jahr 1958 in einem sehr speziellen Stil, der wegweisend sein sollte auch für spätere Hammer-Filme… und der mit Sicherheit nicht jedem liegt. Wie sah es denn bei dir aus, Johannes?

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Episode 64: Dancer in the Dark – Lars von Trier, Björk und das düstere Ende eines Musicals

Dancer in the Dark… 2000. Lars von Trier. Wer ihn kennt weiß dass man den Rest des Abends knicken kann. Entweder weil einem Schlecht ist, oder weil man depressiv geworden ist… oder beides.

In diesem Falle ist eine depressive Episode vorprogrammiert und ich hatte mir Taschentücher bereitgelegt, allerdings hat es mich am Ende doch gar nicht sooo schlimm erwischt wie ich dachte. Woran liegt das? Das Melodram hat alles was es braucht:
Selmas deprimierendes Leben in einem Trailer im Garten eines befreundeten Pärchens, Ihre fortschreitende Krankheit die sie erblinden lässt, ihre aufopferungsvolles Sparen für die OP für den Sohn, die Flucht in Musical-Fantasien die die Tragik nur noch intensivieren, der Vermieter der ihr Erspartes klaut um seine eigene Ehe zu retten, und der Unfall/Mord an selbigem der zur Verurteilung der gefühlt unschuldigen Selma führt… und schlussendlich der Tod durch den Strick.

Jetzt wo ich es so aufschreibe, fällt mir doch auf: das ist ganz schön viel. Ist der Film zu überladen und holt deswegen nicht alles an Tränen aus mir raus, was er könnte? Was meinst du Plor?

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Episode 47: Fahrraddiebe und der italienische Neorealismus

Also dann… Machen wir wieder einmal einen Ausflug in die filmhistorische Hochkultur. Die Nouvelle Vague aus Frankreich haben wir ja in unserer “Außer Atem” Episode bereits abgehandelt. Mit Vittorio de Sicas Film Fahrraddiebe aus dem Jahr 1948 reden wir heute über die europäische Filmbewegung, die der Nouvelle Vague unmittelbar vorausging: Den italienischen Neorealismus. Dieser entstand in den frühen 40er Jahren, in der Endzeit des italienischen Faschismus unter Mussolini, und gehört zu den großen Filmschulen des 20. Jahrhunderts.

Fahrraddiebe ist ohne jeden Zweifel Peak Neorealismus, der Film, der am besten auf den Punkt bringt, was diese filmische Schule ausmacht: Erzählt wird in der (damaligen) Gegenwart, eine einfache Geschichte aus dem Arbeitermilieu: Dem Tagelöhner Antonio wird das Fahrrad geklaut, das er für seinen neuen Job als Plakatierer zwingend benötigt. Keine Banalität für den Familienvater, der dadurch die Existenz seiner gesamten Familie auf dem Spiel sieht. Verzweifelt zieht er mit seinem Sohn durch Rom, auf der Suche nach dem Diebesgut und den Dieben.

In dieser einfachen Geschichte, die vom Zufall geleitet wird, verbindet sich ein dokumentarischer Blick mit einem humanistischen Pathos, der den alltäglichen Kampf des Prekariats ums Überleben nuanciert und mitreißend darstellt. Auch heute noch, gut 70 Jahre später für mich absolut fesselnd und berührend, einfach einer der besten Filme aller Zeiten, ein Urteil das ich mit dem Gros des Feuilleton und der Filmkritik teile.

Also bitte Johannes. Hier ist wieder einmal eine heilige Kuh. Bereit für die Schlachtung?

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