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Kategorie: Kunstkacke

Episode 110: Teorema von Pier Paolo Pasolini – Kunstkacke oder rätselhaftes Meisterwerk?

Pier Paolo Pasolini gilt als einer der widersprüchlichsten und kontroversesten Regisseure des 20. Jahrhunderts. Vom Schriftstellertum kommend entdeckte er in den 60er Jahren den Film, drehte einige Werke im Geist des italienischen Neorealismus, um dann seine ganz eigene Vision eines sozialkritischen, marxistischen Kinos zu entwickeln: In diesem ist Jesus ein Subproletarier, wird die sexuelle Entgleisung eines Marquis de Sade mit dem Faschismus der Moderne in Zusammenhang gebracht und – wie in Teorema aus dem Jahr 1968 – wird eine Kritik des Bürgertums anhand der Feiler Erotik, Liebe und Spiritualität entworfen:

Ein einfacher, handgeschriebener Zettel, überbracht von einem engelsgleichen Postboten kündigt von der Ankunft eines Besuchers. Dieser wird von der prototypischen großbürgerlichen Familie, die im Zentrum von Teorema steht, in Empfang genommen und bewirtet: Nach und nach erliegen sie alle seinem Charme (und seinem Schritt): Magd, Mutter, Sohn, Tochter und Vater. Und jeder macht in den anschließenden sexuellen Begegnungen eine Entwicklung durch: Die Magd entdeckt die Spiritualität und zieht zurück aufs Land, die Mutter erlebt einen zweiten sexuellen Frühling, der Sohn kann sich endlich seiner Homosexualität und unterdrückten künstlerischen Ader stellen. Die Tochter wird erwachsen und katatonisch und der Vater lässt alle bürgerlichen Statussymbole hinter sich.

Teorema lässt viel Raum für Interpretation. Ist hermetisch, kryptisch und schreit geradezu nach einer hermeneutischen Analyse, die Pasolinis ambivalentes Leben, Verhältnis zum Bürgertum, Sozialismus, Staat und Religion einschließt…

…Aber wir wollen hier ja auch ein bisschen Spaß haben. Also Johannes: Wenn du von einem gottgleichen Jüngling nochmal komplett aus der Spur gerissen wirst, wohin soll die Reise gehen? In die abstrakte Kunst? In die Arme zahlloser junger Männer? In die Katatonie? Als Wunderheiler aufs Land? Oder doch lieber nackt schreiend in die Wüste?

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Episode 91: Eine Taube sitzt auf einem Zweig und denkt über das Leben nach

So. Jetzt hast du es geschafft Plor, ich bin auch beim Surrealismus gelandet. Falls man den Film dort einsortieren kann.

“Eine Taube sitzt auf einem Zweig und denkt über das Leben nach” erzählt in 39 Szenen kleine Ausschnitte aus dem Leben, die sehr kondensiert und überspitzt daher kommen, ihren Bezug zur Realität aber nie gänzlich verlieren. Es geht ihm darum, wie wir unser Leben leben, sagt Roy Anderson und meint damit offenbar die Ambiguität alltäglicher banaler Situationen, die eben manchmal zwischen Absurdität, Fröhlichkeit, Traurigkeit und hin und wieder auch Grausamkeit gleichzeitig stattfinden.

So weiß man auch nicht immer eindeutig, ob man lachen, weinen oder manchmal kotzen will, wenn man die Bilder Roy Andersons sieht. Klingt als würde ich eine Kunstausstellung beschreiben, aber das ist es auch. Alle 39 Bilder könnten als Standbild an die Wand gehängt werden und es wäre eine gelungene Ausstellung.

Ach, wenn wir grad dabei sind, welches der Bilder dieser Ausstellung würdest du dir kaufen, wenn du könntest, Plor? Du müsstest es dir ja nicht hinhängen, denn wer hat schon gern deprimierte Scherzartikelverkäufer an der Wand hängen…?

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Episode 89: Letztes Jahr in Marienbad – Auf der Suche nach dem Sinn im Surrealismus

Letztes Jahr in Marienbad aus dem Jahre 1961 von Alain Resnais ist schwer in kurze Worte zu fassen.

Worum, geht es in diesem Film?

Auf dem Papier ist die Story sehr simpel. Ein Mann versucht in einem mondänen Hotel eine Frau davon zu überzeugen, dass sie sich letztes Jahr kennengelernt und geliebt haben. Ob er ihr in der Erinnerung auf die Sprünge helfen kann, bleibt offen. 1,5 Stunden lang.

Wenn man die Frage “Worum geht es in diesem Film?” jedoch ernsthaft beantworten möchte, gerät man unweigerlich ins straucheln. Die Dialoge und Monologe des Films scheinen nicht den wesentlichen Teil der Handlung zu tragen. Vielleicht nichtmal die handelnden Figuren. Es ist eher die Art der Inszenierung, der Erzählung, wenn man sie so nennen will.

Soweit mein Gestrauchel. Plor, worum geht es in diesem Film?

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Episode 70: Stalker – Science Fiction als Reise ins Innere (Gast: Marcus)

Mit unserem Gast Marcus sprechen wir über Andrei Tarkowskis Science Fiction Klassiker STALKER aus dem Jahr 1979.

1979, das ist ein Jahr nach George Lucas’ Space-Oper Star Wars und das Jahr in dem Rildey Scott uns in einer Art Antithese zu Star Wars mit Alien das fürchten lehrt. Während ersterer Science Fiction Klassiker unverhohlen auf Effekt, Action und Dynamik setzt, ist letzterer schon zurückhaltender.

Das Visuelle, die Cinematografie ist eindrücklich aber nicht aufdringlich. Fast die gesamte Dynamik, die in Alien transportiert wird, beschränkt sich auf die fremde Körperhaftigkeit eines unbekannten Wesens aus dem All einerseits und auf die Angst, die innere Bewegtheit, die uns Scott lehren will, andererseits. In diesem Sinne ist Alien auch ein inneres Erlebnis, ausgelöst durch eine Begegnung mit dem Fremden.

1979 erschien aber auch noch ein weiterer Science Fiction Klassiker, einer der kulturell nicht weniger Wirkung erzielte, sich aber nie inmitten eines Franchise-Getöses wiederfand. Die Rede ist von Andrei Tarkowskis Stalker, der gewissermaßen noch antithetischer ist. Als Gegenentwurf zur effekthascherischen Blockbuster-Aufdringlichkeit, entfaltet Stalker in seiner Ruhe und Verschlossenheit eine Sogwirkung, der man, ist man einmal von ihr erfasst, nicht mehr entkommen kann.

Nach Solaris ist es Tarkowskis zweiter Science Fiction Film, nur… fast ohne Science Fiction.
Man begegnet hier nichts Fremden, keinem Wesen aus einer anderen Welt, sondern sich selbst, vielleicht.

Stalker spielt in der Nähe der sogenannten Zone, die ein Überbleibsel eines unbekannten Ereignisses ist, oder sein soll. Sei es ein Meteoriteneinschlag, oder die Landung einer Außerirdischen Zivilisation. Ein als Stalker bezeichneter Abenteurer, der dafür bezahlt wird Menschen in und durch die Zone zu leiten, wurde von zwei Männern angeheuert, sie in ein Zimmer zu bringen, welches sich in der Zone befindet und in welchem Wünsche bzw. die insgeheimen Wünsche in Erfüllung gehen sollen. (Dieser Unterschied ist wichtig.) Bei den Männern handelt es sich um einen Schriftsteller, dem die Inspiration abhanden gekommen ist und einen Wissenschaftler, der, so scheint es zunächst, nach dem Nobelpreis strebt.
Merkwürdige Dinge sollen in der Zone geschehen, gefährlich soll es in ihr zugehen, der kürzeste Weg sei nicht der schnellste, überall lauerten tödliche Fallen, die es aufzuspüren gilt.
Aber… so viele Anzeichen, die darauf schließen ließen, dass wir uns hier in einer fremden und gefährlichen Umgebung befinden, gibt es gar nicht. Keine Effekthascherei, keine Action, vielmehr wird der Weg zum Wunschzimmer zu einer Reise ins Innere.
Stalker ist kein dynamischer Film, zumindest nicht in physischer Hinsicht aber er bewegt viel tiefgehender, weil Tarkowski hier etwas berührt, was in uns selbst stattfindet und was sich in weitestem Sinne als Conditio humana oder Psyche bezeichnen ließe und selbst nichts festes, sondern etwas dynamisches ist.

Diese Dynamik ist im Film verborgen, man muss sie sich erschließen, sie entdecken. Sie entfaltet sich in dem Augenblick, wenn man sich selbst dem Film öffnet und beginnt hinter die Fassade zu blicken, die uns Tarkowski hier vorspielt.

Denn es ist keineswegs eindeutig, was hier die Zone ist! Ist es wirklich das Gebiet, das von der Natur zurückerobert wird und in dem es gefährlich sein soll? Oder ist es vielleicht doch die in Sepia getauchte karge Welt, die eindeutig die Anzeichen von Ideologie trägt und in der Soldaten oder Polizisten mit Waffengewalt verhindern wollen, dass man hinter die Grenze gelangt? Was meint Ihr? Was ist die Zone?

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Episode 64: Dancer in the Dark – Lars von Trier, Björk und das düstere Ende eines Musicals

Dancer in the Dark… 2000. Lars von Trier. Wer ihn kennt weiß dass man den Rest des Abends knicken kann. Entweder weil einem Schlecht ist, oder weil man depressiv geworden ist… oder beides.

In diesem Falle ist eine depressive Episode vorprogrammiert und ich hatte mir Taschentücher bereitgelegt, allerdings hat es mich am Ende doch gar nicht sooo schlimm erwischt wie ich dachte. Woran liegt das? Das Melodram hat alles was es braucht:
Selmas deprimierendes Leben in einem Trailer im Garten eines befreundeten Pärchens, Ihre fortschreitende Krankheit die sie erblinden lässt, ihre aufopferungsvolles Sparen für die OP für den Sohn, die Flucht in Musical-Fantasien die die Tragik nur noch intensivieren, der Vermieter der ihr Erspartes klaut um seine eigene Ehe zu retten, und der Unfall/Mord an selbigem der zur Verurteilung der gefühlt unschuldigen Selma führt… und schlussendlich der Tod durch den Strick.

Jetzt wo ich es so aufschreibe, fällt mir doch auf: das ist ganz schön viel. Ist der Film zu überladen und holt deswegen nicht alles an Tränen aus mir raus, was er könnte? Was meinst du Plor?

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Episode 41: Inland Empire

David Lynch… achja, David Lynch. Ich weiß gar nicht, wo ich anfangen soll: Meine erste surreale Filmliebe. Ich war wahrscheinlich 16, als ich zum ersten Mal Lost Highway gesehen habe. Und natürlich habe ich nicht verstanden, was da auf dem Bildschirm vor sich geht. Muss man bei Lynch auch gar nicht, und sollte man wahrscheinlich auch nicht. David Lynchs große surrealen Filme funktionieren nämlich trotz ihres akademischen, experimentellen Gestus vor allem als emotionale Filme, die Unterhaltung und Arthaus, traditionelles Kino und Experiment miteinander verbinden. Sie bedienen sich beim Pulp, beim Mystery, beim Film Noir, beim Horror, beim Thriller und bei der Erotik und zerfransen und zerfasern sich dann aber so, dass sie im Gegensatz zu den traditionellen Genrefilmen keine kohärente Handlung mehr besitzen. Sie sind Puzzles, die nicht gelöst werden können, nicht gelöst werden wollen. Cineastische Möbiusbänder, auf Zelluloid gebannte Paradoxien. Aber eben auch verflucht unterhaltsame Trips ins Unterbewusstsein. Kein Wunder, dass Lynch als der Mainstreamigste unter den Experimentalfilmern gilt… oder eben auch der experimentellste unter den Mainstream-Regisseuren, je nachdem aus welcher Richtung man kommt.

Dennoch ist sein letzter Langfilm Inland Empire aus dem Jahr 2006 harter Tobak. Wahrscheinlich sein experimentellster und dekonstruktivistischster Film seit seinem Debüt Eraserhead. Zu Gunsten des Spiels mit der damals noch jungen digitalen Videotechnik verzichtet Lynch größtenteils auf die von ihm sonst bekannten düsteren Hochglanzbilder und erzählt in dreckigen, überbelichteten, unterbelichteten, mit dem Look & Feel von homemade Amateurfilmen spielenden Sequenzen die Geschichte von einer Frau in Nöten. So beschreibt er selbst zumindest den Film in einem Satz. Und den Rest sollen wir uns selbst zusammenreimen.

Also dann… ohne groß auf den Inhalt einzugehen und dich möglicherweise zu sehr zu beeinflussen, Johannes. Lass uns ein wenig puzzlen. Lass uns herausfinden, worum es in diesem improvisierten Patchwork-Film geht.

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Episode 36: Blue Movie aka Fuck (Andy Warhol Porno), Only Lovers Left Alive

In dieser Episode wird es romantisch… kind of. Wir sprechen zum ersten Mal in der Geschichte des Podcasts über einen echten Porno. Blue Movie von Andy Warhol aus dem Jahr 1969. Und wir widmen uns einer stylischen Vampirromanze, Jim Jarmuschs Only Lovers Left Alive aus dem Jahr 2013. Es wird also viel geredet, geliebt und über Sex nachgedacht.

Passend dazu gibt es eine Top 3 zum Thema unsimulierter Sex in der Filmgeschichte und zu unsterblichen cineastischen Figuren.

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Episode 35: Doctor Sleeps Erwachen, I’m Thinking of Ending Things

Der Urlaub hat uns gezwungen, für diese Episode einen etwas anderen Weg bei der Filmauswahl zu gehen. Was finden wir denn auf Netflix, was wir auch bequem im Zug / am Strand / im nirgendwo schauen können? war dabei die alles entscheidende Frage. Unsere Wahl fiel auf eine junge Stephen King Verfilmung, Doctor Sleeps Erwachen, die zugleich auch die Fortsetzung von Stanley Kubricks Horrorklassiker Shining ist. Und unsere Wahl fiel auf I’m Thinking of Ending Things, die jüngste Geburt aus Charlie Kaufmans verschrobenem Verstand.

In der Top 3 geht es passend um die coolsten Menschenfresser der Filmgeschichte und die besten Schlussmachfilme.

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Episode 18: Tatis herrliche Zeiten (Playtime), Die Rechnung ging nicht auf (The Killing)

In unserer 18. Episode kommen wir zu einem epischen Zweikampf zwischen Frankreich und den USA. Playtime von Jaques Tati ist eine ungewöhnliche Slapstickkomödie zwischen Utopie und Dystopie. Das Frühwerk von Stanley Kubrick The Killing ist ein kleiner, dreckiger und roher Pulp Thriller zwischen Film Noir und Gangsterballade. Auf der einen Seite haben wir also die Monumentalversion, feinsinniger, intellektueller und vor allem französischer Komik, auf der anderen Seite haben wir ein Destillat des knüppelharten, amerikanischen Krimis. Ob wir mit der Wahl des jeweils anderen etwas anfangen können, führt in dieser Episode zu heftigen Rededuellen.

Für Harmonie dagegen sorgen unsere dazu passenden Bestenlisten. Wir werfen einen Blick auf die besten nonlinear erzählten Geschichten und schwelgen in den schönsten Filmen in, von und über Paris.

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Episode 11: Der Spiegel (Serkalo), The Hateful Eight

In der elften Episode treten zwei Filme gegeneinander an, die unterschiedlicher nicht sein könnten. The Hateful Eight aus dem Jahre 2015 und Serkalo aus dem Jahre 1975. Nicht nur 40 Jahre trennen diese beiden Filme sondern ganze Welten: Auf der einen Seite haben wir Quentin Tarantino, Independent- und Hollywooddarling des 21. Jahrhunderts, der im letzten Jahrzehnt ein besonderes Faible für Western entwickelt hatte, dass er in The Hateful Eight besonders auslebt. Auf der anderen Seite haben wir Andrei Tarkowski, Publikumsschreck und Cineastenliebling des 20. Jahrhunderts, der mit Serkalo seine Experimentierfreude und seinen Avantgardismus auf die Spitze treibt. Auf der einen Seite haben wir sowjetisches Kino mit Hang zum Epochalen, auf der anderen Seite US-amerikanische Westernnarrative, wie sie amerikanischer nicht sein könnten. Wir haben Avantgarde und Pop, Moderne und Postmoderne, Film als Spiel und Film als Seelenschau. Ob sich diese beiden Extreme miteinander versöhnen lassen?

Natürlich haben sich auch wieder zwei Top-Listen in unsere Episode geschmuggelt. Dieses Mal reden wir über die stärksten Mutterrollen in Filmen sowie die besten Kammerspiele aller Zeiten. Falls Ihr Anmerkungen, Kritik und Wünsche habt, schickt sie uns an florian@mussmansehen.de oder johannes@mussmansehen.de. Und falls euch die Episode gefällt, abonniert unseren Podcast in der App eures Vertrauens und hört auch in die älteren Episoden rein.

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